Der Patient im Mittelpunkt
„Die Komplexität Personalisierter Medizin kann für Patienten überwältigend sein“, meint Heiko Pröger (Spirit Link) und daher ist es für ihn von großer Bedeutung, dass Informationen in einer einfachen und leicht verständlichen Weise präsentiert werden. „Es müssen gleichzeitig Risiken und Grenzen sowie mögliche Vorteile wie Wirksamkeit und Sicherheit offen angesprochen werden.“
Kommunikationsagenturen könnten hier eine Schlüsselrolle als „Übersetzer“ einnehmen und komplexe Informationen so aufbereiten, dass sie bei der Zielgruppe nicht nur ankommen, sondern auch verstanden werden, fügt Martin Verdino (Verdino) hinzu. „In unseren Projekten erarbeiten wir hier sehr oft gemeinsam mit Patienten und auch Patientenorganisationen die passenden Wordings und erhöhen damit die Akzeptanz – und das Verständnis – bei der Zielgruppe“, erklärt der Gründer der österreichischen Digital-Agentur.
■ B2B & B2C aufeinander abstimmen
Für Jelena Mirkovic (komm.passion) ist es auch unerlässlich, dass die Kommunikationsmaßnahmen in Richtung Laien und Professionals gut aufeinander abgestimmt sind, „damit der Wissensstand für die jeweilige Zielgruppe adaptiert gespiegelt werden kann“. Und dann individualisiert: „Personalisierung ist auch in der Kommunikation zentral und die Bedürfnisse sollten im Mittelpunkt stehen.“
Führe man sich die Patienten vor Augen, werde schnell klar, dass die Stratifizierung aufgrund von Biomarkern eine enorme Auswirkung darauf hat, was diese überhaupt interessiert. „Patienten interessieren sich dabei nicht für alle Informationen zur Grunderkrankung, sondern ganz konkret für ihre eigene Situation“, erklärt Mirkovic, „an dieser Stelle muss Kommunikation – HWG-konform – ansetzen“.
■ On Time: Den richtigen Zeitpunkt finden
Die Expertin beobachtet, dass die Personalisierung der Patient Journey auch zu einer Personalisierung der Kommunikationszeitpunkte führt – wie schon bei der Fachkommunikation gebe es keine festgelegte Kommunikationsstrecke mehr.
In Bezug auf den Zeitpunkt teilt auch Pröger seine Erfahrung: „Es ist am effektivsten, Patienten dann zu erreichen, wenn sie am empfänglichsten für Informationen sind.“ Dies könne zum Beispiel der Zeitpunkt der Diagnose sein, wenn Patienten und ihre Familien nach Antworten und Lösungen suchen. Eine weitere wichtige Phase liegt für ihn vor der Durchführung genetischer oder molekularer Tests, um sicherzustellen, dass die Patienten die Bedeutung und mögliche Ergebnisse dieser Tests verstehen. Komplexe Konzepte gelte es hier zu vereinfachen.
Im rechtzeitig Vertrauen aufzubauen, verortet Verdino den Zeitpunkt für initiale Kommunikation zum Thema noch etwas früher. „Mit der regelmäßigen Bespielung von relevanten Informationen, zum Beispiel Symptomchecker, Alltagssituationen mit Krankheiten oder Therapien, Tipps für Arztbesuche, Checklisten et cetera, können sich Organisationen im Bewusstsein verankern und kommen daher im „Ernstfall“ eher in den Sinn.
Für Roche Austria hat das Team um Martin Verdino beispielsweise den „MiraBot“ entwickelt (siehe Abbildung), der auf die Stärkung der Gesundheitskompetenz von Jugendlichen abzielt und der Fragen auf die Antworten zur „Zukunft der Medizin“ gibt. „Personalisierte Medizin“ ist dabei ein Schlüsselwort.
„Die Erhöhung der Patientensicherheit ist freilich neben der Forschung und Entwicklung bei der Personalisierten Medizin ein zentrales Anliegen. Um die Chancen der Personalisierten Medizin bestmöglich nutzen zu können, braucht es informierte Patientinnen und Patienten, die eine gute Kommunikation zwischen Patienten und Angehörigen von Gesundheitsberufen voraussetzt. Wir müssen heute in die Jugend investieren, um sie zu unterstützen, zukünftig informierte Entscheidungen treffen zu können“, sagt Dr. Maria Kletečka-Pulker, Geschäftsführerin der Plattform Patientensicherheit in Österreich, neben Roche Partner des Projektes.
■ Mit dynamischen Grids die Zielgruppe erreichen
Social Media, insbesondere Facebook und Instagram, sind für Martin Verdino gut geeignete Kanäle, um die Zielgruppe zu erreichen und niederschwelligen Zugang zu Informationen zu ermöglichen. Auch die Möglichkeit von Google Ads sollte in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, meint er. In allen Fällen sei es wichtig, in einen relevanten Dialog zu treten und nicht einseitig Slogans und Botschaften zu senden. Erster Schritt müsse aber immer sein, den Patient Need zu identifizieren und mit welchen Schlagworten Patienten auf welchem Kanal nach Lösungen suchen.
In interaktiven Videos könnten sich Patienten ganz individuell an ihrer persönlichen Patient Journey entlang durch die Inhalte klicken, erklärt Mirkovic. Stichwort ist wie bei der HCP-Kommunikation hier Modular Content. Wie ist die Diagnose? Wurde schon eine Testung auf Biomarker vorgenommen und wenn ja, wie war das Ergebnis? Der Verlauf des Videos passe sich dann an das Informationsbedürfnis der Patienten an.
■ Keine zweite Wikipedia schreiben!
Auch für die Websites für Patienten gilt: „Es ergibt keinen Sinn, eine zweite Wikipedia zu schreiben. Stattdessen müssen wir Content viel stärker auf den Weg der Patienten ausrichten. Das erhöht erstmal die Komplexität einer Plattform und steht im Widerspruch dazu, dass User Informationen finden und nicht suchen wollen.“ Deswegen würden auch hier dynamische Grids relevant, die sich kontinuierlich dem Informationsfluss der User anpassen. Klingt traumhaft. Stefan Freundlieb von komm.passion umreißt, wie das funktioniert:
„Bei dynamischen Grids arbeiten wir mit einem Layout-Gitter, auf das unterschiedliche Content-Module gesetzt werden. Der Inhalt der Website ist nicht statisch, sondern wird jeweils in individuellen Varianten zusammengesetzt. Für die Ausspielung werden hierfür unterschiedliche Informationen kombiniert: Bei Patienten-Websites ist die Ausspielung stärker interaktionsgewichtet, weil in der Regel keine Informationen über den User vorliegen.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Gerade bei der Personalisierten Medizin müssen die Angehörigen als Zielgruppe in den Blick genommen werden, mahnt Mirkovic. Insbesondere wenn anhand von genetischen Merkmalen stratifiziert wird, können die Ergebnisse auch starke Auswirkungen auf das Leben und auf Lebensentscheidungen von Verwandten haben.
■ Wie steht es mit der Awareness bei Pharma?
„Wir machen leider noch immer zu oft die Erfahrung, dass die direkte Kommunikation bzw. Awareness-Schaffung sowohl bei HCPs als auch Patientinnen und Patienten unterschätzt wird“, bedauert Verdino. Viel zu oft würden Pharmaunternehmen lediglich Werbebotschaften versenden – häufig von der Konzernmutter oder den Brand-Teams entwickelt – die in den verschiedenen Märkten nicht funktionieren (können) und deren Aufbereitung und Anmutung die HCPs nicht dazu animiert, E-Mails überhaupt zu öffnen.
Auch in der Patientientenkommunikation stehe der Informationswille zu oft hinter dem Bedürfnis, die eigenen Produkte zu verkaufen. Verdino: „Der Verkauf ist jedoch eine logische Konsequenz von Vertrauen – und das aufzubauen, dauert seine Zeit und bedarf neben viel strategischer und konzeptioneller Arbeit vor allem des Willens, den Zielgruppen auch wirklich einen Nutzen zu bieten.“
■ Marktforschung und Modular Content
Pröger und Mirkovic sind der Meinung, dass Pharmaunternehmen den Wert guter Kommunikation in der Regel erkannt haben. Es sei aber durchaus möglich, dass bei manch einer personalisierten Therapie die Herausforderungen, die mit ihrer Einführung und Akzeptanz verbunden sind, unterschätzt würden, meint Pröger: „Dieses Risiko kann durch Marktforschung vor der Planung einer Kampagne abgemildert werden.“
Viele Unternehmen scheuen sich nach Mirkovics Erfahrung allerdings vor den Kosten: „Für uns ist daher wichtig festzuhalten: Persönliches und relevantes Material kann sehr effizient und mit wenig Mehraufwand erstellt werden“, ist sie sich sicher und verweist auf das „recyclebare Baukastensystem“ von Modular Content. Außerdem profitiere man im Special-Team Farner bei komm.passion von der Zusammenarbeit mit Yoveo. Spezialisiert auf den Bewegtbildbereich biete die Anwendung mit interaktiven und personalisierten Videos hervorragende Tools, um die Patientenaufklärung zu individualisieren und auf sehr unterschiedliche Patientenwege einzugehen.
Und das mit überschaubarem Aufwand – personell wie budgetär.