„Die Qualität auf ein höheres Level heben“
>> Frau Dr. Rödel, welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aspekte des Gesetzentwurfs, mit dem das Bundesgesundheitsministerium Digitalisierung und Innovation fördern will?
Ein ganz zentraler Punkt ist aus meiner Sicht, dass ab dem Jahr 2020 vom BfArM zugelassene Apps und andere digitale Gesundheitsanwendungen von Ärzten verordnet werden können und dann auch von den Krankenkassen erstattet werden müssen. Ab 2021 soll zudem die elektronische Patientenakte (ePA) allen Patienten zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass ärztliche Leistungen rund um die Anwendung der zugelassenen DiGA und der elektronischen Patientenakte vergütet werden.
Zudem sieht der Entwurf vor, Telematik und Telemedizin weiter auszubauen, zum Beispiel indem Videosprechstunden vereinfacht werden, Arzneimittel mit E-Rezepten verordnet werden können oder auch indem Krankschreibungen elektronisch an die Kassen übermittelt werden.
Wenn ich Entwickler einer Health-App bin, wie gelange ich dann mit dieser Anwendung in die Regelversorgung?
Wenn die Anwendung ein Medizinprodukt der Klasse I oder IIa nach neuer Medizinprodukte-Verordnung (MDR) ist, kann der Anbieter einen Antrag beim BfArM stellen. Es folgt dann ein Prozess, der sich „Fast Track“ nennt und der die Prüfung der Anwendung und die weiteren Schritte im ersten Jahr umfasst.
Welche Anforderugnen muss eine digitale Anwendung mindestens erfüllen, damit sie verordnet und erstattet werden kann?
Die DiGA muss bestimmte Grundanforderungen erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel die Interoperabilität, das heißt die DiGA muss kompatibel mit der digitalen Infrastruktur sein. Und schließlich müssen auch Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sein.
Zusätzlich zu diesen Grundanforderungen ist es aber zwingend notwendig, den Nutzen der DiGA – im Gesetzentwurf heißt das „positive Versorgungseffekte“ – nachzuweisen. Diese positiven Versorgungseffekte können entweder durch einen medizinischen Nutzen entstehen oder auch durch Verfahrens- oder Strukturverbesserungen.
Die Kriterien der genannten Anforderungen müssen in den nächsten Monaten aber noch genau ausgearbeitet werden. Zum Beispiel sind die Anforderungen an den Nutzennachweis noch nicht definiert. Der Nutzennachweis soll allerdings nicht so streng ausgelegt werden, wie bei Arzneimitteln. Man muss zwar Evidenz nachweisen, aber zum Beispiel keinen Zusatznutzen gegenüber einer Vergleichstherapie.
Angenommen, ich habe mit meiner DiGA die notwendigen Anforderungen erfüllt, wie geht es dann weiter?
Dann wird Ihre Anwendung in ein zentrales, voraussichtlich vom BfArM betriebenes Verzeichnis aufgenommen und kann verordnet werden. Anschließend startet die Preisverhandlung mit der GKV. Im ersten Jahr gilt der Herstellerpreis, danach wird der festgesetzte Preis gültig. Wie eingangs bereits kurz erwähnt, werden dann auch die Ärzte für ihre Leistungen vergütet, also wenn sie beispielsweise eine zugelassene DiGA erklären, einstellen oder auswerten.
Was passiert, wenn ich die positiven Versorgungseffekte meiner DiGA noch nicht nachweisen konnte?
Sind diese positiven Versorgungseffekte noch nicht – oder noch nicht ausreichend – nachgewiesen, was bei den meisten Herstellern momentan der Fall sein dürfte, kann stattdessen ein Konzept eingereicht werden, wie der Nutzen in einer einjährigen Erprobungsphase nachgewiesen werden soll. In dieser Erprobungsphase wird das Produkt aber bereits zum Herstellerpreis erstattet.
Was wären Ihrer Meinung nach die wichtigsten Auswirkungen, wenn der Gesetzentwurf in dieser Form verabschiedet wird?
Die Erstattungspflicht für Anwendungen, die sich noch in der Erprobungsphase befinden, ist für die Kassen sicher ein „harter Brocken“. Andererseits gibt es unter den DiGA-Anbietern aber viele Startups mit wenig Budget für Forschung & Entwicklung. Daher ist diese Regelung ein sinnvoller Weg, um die Qualität der digitalen Medizin in Deutschland auf ein höheres Level zu heben.
Eine weitere Folge ist, dass sich Anbieter von DiGA, die in die Regelversorgung möchten, weiter professionalisieren müssen. Und diesbezüglich kommt einiger Aufwand auf sie zu: Sie müssen medizinische Studien durchführen und sie müssen umfangreiche Dokumentationen erstellen, um den Zulassungsantrag beim BfArM stellen und ihre Anwendung in Verkehr bringen zu können. Hinzu kommt, dass sie auch ein intensives Marketing betreiben müssen, denn alleine die Aufnahme in das BfArM-Verzeichnis bewirkt natürlich noch keine ärztliche Verordnung.
Im kommenden Jahr tritt ja auch die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung – die Medical Device Regulation (MDR) – in Kraft. Was bedeutet das für den Zulassungsprozess der DiGA?
Für die Prüfung solcher Anwendungen gibt es in Deutschland bisher zu wenige Benannte Stellen. Daher gibt es einen massiven Engpass beim Prüfprozess für Medizinprodukte. Wahrscheinlich werden alleine deshalb im Jahr 2020 noch nicht viele digitale Anwendungen in die Regelversorgung aufgenommen werden können. Der Health Innovation Hub (hih) des BMG hat gemeinsam mit verschiedenen Health Hubs und Verbänden eine Initiative gestartet, um diesen Engpass abzufedern: Es soll ein Talentpool aufgebaut werden, um ausreichend Experten zur Zertifizierung der DiGAs zu gewinnen.
Ist ein solches Gesetz nicht eigentlich schon überfällig?
Ja, denn faktisch sind DiGA für viele chronisch kranke Patienten längst Teil ihrer Patient Journey. Das Angebot wächst rasant, aber die Qualität ist sehr heterogen. Meiner Meinung nach war es daher dringend notwendig, Qualitätsstandards als Voraussetzung für eine Erstattung zu definieren.
Bei Spirit Link haben wir aus diesem Grund die Datenbank www.digimeda.de geschaffen. Diese bietet nicht nur einen Überblick, welche digitalen Gesundheitsanwendungen – zum Beispiel Apps, Websites, Skills für Sprachassistenten wie Alexa – es für bestimmte Erkrankungen gibt, sondern man kann außerdem schnell erkennen, welche dieser Anwendungen vertrauenswürdiger sind. Denn von unabhängigen Institutionen getestete und zertifizierte Anwendungen werden im Suchergebnis immer ganz oben angezeigt.
Sie bewerten die geplanten Maßnahmen also überwiegend positiv?
Das Gesetz wird auf jeden Fall ein Meilenstein für die Professionalisierung des digitalen Arms in der Gesundheitsversorgung. Viele Details sind aber eben noch nicht definiert. Die ersten Prüfungen und Preisverhandlungen werden ein Lernprozess für alle Beteiligten, aus dem sich dann vermutlich noch Feinjustierungen ergeben werden.
So wichtig Investitionen in digitale Innovationen sind, darf das meiner Meinung nach aber nicht dazu führen, dass der „menschliche Faktor“ in der Versorgung aus dem Blick gerät - im Gegenteil: Er sollte gestärkt werden. Denn auch in einer „digitalisierten“ Medizin bleiben Heilberufler wichtige Ansprechpartner für die Patienten.
Frau Dr. Rödel, vielen Dank für das Gespräch. <<