Das Ziel nie aus den Augen verlieren
>> Frau Weber, wie sind Sie gestartet? Was war der Impuls?
Es gab vielfältige Impulse. Ich habe mich in meinem Master-Studiengang Psychologie damals schon recht viel in Digital Health bewegt. In einer meiner beiden Master-Arbeiten ging es um eine Anwendung für Soldaten, um Posttraumatische Stress- präventionsprogramme, die auch bei der Bundeswehr eingesetzt wurde. Das war mein erster Zugang zu dem Thema. Dann habe ich selber ein Neuro-Spiel entwickelt, das man mit Gehirnbällen steuern konnte. Durch diese beiden Projekte wurden meine Ambitionen geweckt, ein Startup zu gründen. Allerdings habe ich dann entschieden, zuerst noch Erfahrung in der Industrie zu sammeln, um gute Voraussetzungen dafür zu schaffen, auch langfristig erfolgreich zu sein.
Welchen Weg haben Sie da gewählt?
Um meine Produktentwicklungserfahrung auszubilden, habe ich mich als UX Researcher und UX Designer bei IBM beworben. Dort konnte ich mein Auge für die Produktentwicklung schulen. Natürlich war mir immer klar: Wenn man gründet, braucht man den perfekten Co-Founder. Und da habe ich meine Augen damals offen gehalten – in dem Bewusstsein, dass der irgendwann um die Ecke kommt. Mit Eddie Rietz, meinem Co-Founder, der zur gleichen Zeit Entwickler bei IBM war, ist das dann auch eingetreten. Im Unternehmen haben wir gemeinsam Projekte realisiert. Dabei haben wir festgestellt, dass der Traum des Gründens uns beiden eigen war sowie das Interesse für Psychologie. Wir haben mit kleineren Seitenprojekten erst einmal angefangen, um zu schauen: Passt das zusammen? Dann haben wir uns initial für einen Accelerator beworben. Bei einem Pitch vorab mit einer befreundeten Psychotherapeutin haben wir von ihr allerdings das Feedback bekommen: „Nein! Das müsst ihr ganz anders machen.“
Was war das Problem und mit welcher Indikation haben Sie sich beschäftigt?
Wir haben uns aufgrund unserer Erfahrungen für das Thema „Angst“ entschieden. Beim genannten Pitch wurden wir von der Expertin darauf hingewiesen, wie man das Thema „Angst“ therapeutisch am besten angeht. Auf ihre Empfehlung hin haben wir zuerst die Autoren des Behandlungsmanuals angeschrieben; die haben uns schließlich mit ihrem Know how vom Prototyp an begleitet und uns dabei beraten, wie man diese therapeutischen Methoden erfolgreich ins Digitale übersetzen kann. Das war sehr hilfreich.
Welcher war der nächste Schritt?
Wir haben uns im September 2018 für den Accelerator beworben, und wurden im Rahmen eines Pitch-Decks ausgewählt. Das war für mich der Zeitpunkt der Entscheidung, IBM zu verlassen und Vollzeit das Startup-Unternehmen anzugehen. Der Accelerator „Startupbootcamp“ war Vollzeit auf 3 Monate angelegt und wirklich sehr hilfreich, weil wir über 150 Mentor:innen aus dem Gesundheitsbereich hatten und damit jede Menge Feedback und Ideen bekamen. So konnten wir Probleme identifizieren und Lösungen entwickeln.
Diese konnten Sie dann umsetzen?
Ja, nach dem Startupbootcamp sind wir nach Stuttgart zurück, haben eine Exist-Bewerbung durchgeführt und im April 2019 die Zusage dafür bekommen. Das ist ein Gründer-Stipendium, das eine einjährige Förderung impliziert. Darüber hinaus hatten wir einen Entwickler dabei und ein Büro an der Stuttgarter Uni gehörte dazu. Dort haben wir konkret mit der Praxis begonnen. Es war immer das Ziel, ein Medizinprodukt zu entwickeln – und Ende 2019 haben wir die Klasse-1-Zertifizierung erhalten (CE-Konformität). Nach einem weiteren Workaround sind wir mit der ersten Version auf den Markt.
Und dann kam das Digitale-Versorgung-Gesetz ...
Genau, Mitte 2020 – wir waren gerade dabei, das Thema Krankenkassen, Selektivverträge etc. anzugehen – kam das DVG und: Jackpot! Es hat sich so angefühlt, als hätte jemand ein Gesetz nur für uns gemacht. Daraufhin haben wir nochmal einiges im Backend geändert, um auch den ganzen Datenschutzrichtlinien und der Datenschutzsicherheit gerecht zu werden, haben Studien vorbereitet und präklinische Studien durchgeführt. Das hat noch einmal ein halbes Jahr gedauert, bis wir soweit waren, dass wir den DiGA-Antrag tatsächlich stellen konnten, aber am 2.1.2020 hatten wir‘s dann geschafft.
Das Fast-Track-Verfahren hat also gehalten, was es verspricht?
Innerhalb von 3,5 Monaten haben wir das Fast-Track-Verfahren durchlaufen und die Zulassung Ende April 2021 in den Händen gehalten. Wir sind glaube ich jedoch einer der wenigeren Fälle, die in den angekündigten 3 Monaten durchgekommen sind.
Wie war das mit der Finanzierung? Mussten Sie sich oft bis zur Decke strecken oder war die weitestgehend gesichert?
Es ging. Wir haben uns immer nach unseren Finanzen ausgerichtet und tatsächlich mit 3 bzw. 3,5 Leuten als Team den DiGA-Antrag gestellt. Ich glaube, wir waren generell das allerkleinste Team, das je einen DiGA-Antrag gestellt hat. Wir hatten den Vorteil, dass wir kompetenztechnisch recht gut aufgestellt waren. Mit einem CTO als Entwickler, mit mir als Designer mit Psychologie-Hintergrund – ich wusste einfach, wie man Studien aufsetzt, wissenschaftlich schreibt, logistische Argumente aufbaut, systematische Literaturrecherche betreibt. So konnten wir nahezu alles ohne externe Berater machen. Auch im Bereich Datenschutz. Hier hat sich ein Teammitglied so weitergebildet, dass er schließlich diesen Bereich übernommen hat. Das war eine absolute Win-win-Situation. Um auf die Finanzierung zurückzukommen: Wir haben uns lange über unsere privaten Ansparungen selbst finanziert und haben kurz vor dem Stellen des DiGA-Antrags die Pre-Seed-Phase abgeschlossen. Das heißt wir haben über einen Angel IBB-Geld (Investitionsbank Berlin) erhalten, um die erste Phase zu überstehen. Gleichzeitig mit dem Antrag haben wir zudem unser Team vergrößert.
Ende April 2021 ist die App dann ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen worden und da ist sie jetzt als vorläufig gelistet. Das heißt ja, es müssen noch wissenschaftliche Studien begleitend durchgeführt werden. Wie sehen die aus? Was müssen Sie noch an Daten zusammentragen und wie machen Sie das?
Um den DiGA-Antrag überhaupt stellen zu können, braucht man präklinische Daten, und die müssen recht ähnlich zu der Evaluationsstudie sein, was dann eine randomisierte Kontrollgruppenstudie ist – nicht sein muss – aber das machen die meisten.
In unserem Fall macht das auch am meisten Sinn, denn die präklinische Studie musste bereits deutliche Effekte zeigen. Und da hatten wir den Vorteil, dass bereits vier Versorgungseffekte mit mittlerer Effektstärke signifikant wurden. Das war eine prima Voraussetzung; deshalb fiel es wahrscheinlich dem BfArM auch etwas leichter, uns durch das Fast-Track-Verfahren zu führen. Und die Studie, die wir jetzt machen, ist eine vergleichende Studie – heißt, es gibt eine Interventionsgruppe sowie eine Wartezeitkontrollgruppe: Die erste Gruppe nutzt die App, die andere Gruppe wartet im Prinzip und wir schauen die uns daraus generierten verschiedenen Effekte an. Diese Studie läuft derzeit noch; sie ist auf ein Jahr ausgerichtet.
Wie groß ist die Gruppe der Studienteilnehmer?
92 Teilnehmer sind dabei. Die Anzahl fußt auf einer statistischen Berechnung. Man muss dem BfArM eine Fallzahlberechnung vorlegen, die dieses auf Plausibilität prüft. Deshalb ist die Studienpopulationsgröße immer unterschiedlich. Das hängt von den Effekten ab, der Anzahl der Messungen und anderen Parametern.
Die App muss zum Arzt. Wie gelingt Ihnen die Kommunikation mit der Zielgruppe der DiGA-Verschreiber Arzt/Therapeut?
Es ist in erster Linie sehr viel Aufklärungsarbeit. Es muss erst einmal ein Bewusstsein im Gesamtmarkt geschaffen werden, dass es sowas wie DiGAs gibt, und dass Therapeuten pötzlich Rezepte schreiben können. Da braucht es viel Information – was aber durchaus vonseiten des Verbandes übernommen wird. Auch Dachverbände oder die App-Hersteller selbst, versuchen Awareness zu schaffen. Da reden wir von CME-Fortbildungen, Produktschulungen oder auch Aufklärungskampagnen im Printbereich. Auch sehr beliebt bei den Therapeuten und Ärzten sind Testzugänge. Ich hätte nicht gedacht, dass das so exzessiv genutzt wird. Presse ist natürlich auch ein Riesenthema für die Awareness.
Wie treten Sie an die HCPs konkret heran?
Das läuft über unterschiedliche Kanäle. Zum einen gibt es ein Formular, über das sich die Therapeuten Info-Materialen holen können, d.h. Testzugänge, Webinar-Online-Anmeldungen oder Flyer für Patienten. Wir führen auch Kampagnen durch, bei denen wir Infomaterial direkt rausschicken, manchmal auch verbandsübergreifende, wo aus einer zentraleren Sicht über das Thema DiGA aufgeklärt wird. Nicht zuletzt haben wir auch Kooperationen mit Unternehmen, die wegen anderer Produkte sowieso schon an der Zielgruppe dran sind, seien es Pharma- oder PVS-Hersteller oder auch das Jobcenter. Es bieten sich viele Partner an, da muss man einfach kreativ werden.
Wie ist Ihrer Wahrnehmung nach die Resonanz auf DiGAs?
Da muss noch viel passieren – aber wir merken, in der zweiten Jahreshälfte 2021 gab es einen Umschwung. Ich vermute, durch ein paar große Präsenz-Kongresse, die eine große Masse aufgeklärt haben, bevor coronabedingt wieder alles runtergefahren wurde. Doch die kurze Zeit, in der man sich live sehen konnte, hat einen enormen Unterschied gemacht. Man muss noch sehr viel machen, das ist einfach ein langer Prozess. Aber das Feedback, wenn die HCPs uns kennengelernt haben, ist enorm positiv. Manche verschreiben die Anwendung, und entscheiden zum Beispiel nach der Wartezeit, wenn sie sich das Feedback der Patienten eingeholt haben, dass sie dabei bleiben und Mindable regelhaft verschreiben.
Therapeuten oder Ärzte? Wer liegt vorne bei den Verschreibungen?
Im Moment ist das 50:50. Hausärzte und Psychotherapeuten bzw. Psychiater sind unsere Hauptzielgruppe ins Sachen Verschreibung.
Die Krankenkassen können ja auch DiGAs verschreiben. Wie sieht das zahlenmäßig aus?
Die Statstik sagt, dass 2-5% der DiGAs über die Kassen verschrieben werden. Wir haben den Eindruck, dass das bei uns mehr ist, aber man hat nie 100%-tige Daten, weil es immer eine gewisse Dunkelziffer gibt. Wir haben allerdings deutlich mehr GKV- als PKV-Verschreibungen, aber PKV zieht jetzt auch an. Bei vielen Krankenversicherungen wurden die DiGAs vor kurzem auch in die AVBs als generische Leistung übernommen und zeigen insgesamt großes Interesse, das auch zu machen. Ansonsten gibt es häufiger auch Einzelfallprüfungen, aber in der Regel wird eine DiGA auch von der PKV übernommen.
Lohnt sich auch der kommunikative Weg zum Endverbraucher?
Ja, das machen wir. Wir pflegen unsere Social-Media-Kanäle, ansonsten haben wir noch kein großes Marketingbudget darauf gesetzt, aber das ist durchaus ein Kanal, der auch funktioniert. Die Hauptkanäle bei Social Media sind Instagram und Facebook. LinkedIn spielt vor allem bei der Kommunikation mit den HCPs eine Rolle und interessanterweise funktioniert Instagram auch relativ gut, um mit Therapeuten und Ärzten in Kontakt zu treten. Darüber hinaus testen wir gerade TikTok – mal sehen, wie das funktioniert.
Stichwort Zukunftsvision: Wie sieht Ihre aus?
Wir arbeiten an weiteren DiGAs, wie, so habe ich den Eindruck, viele Hersteller und schauen uns sehr genau die HCP-Seite an, um zu schauen, was wir in der Ansprache noch verbessern können. Dieses Jahr wird auf jeden Fall spannend.
Frau Weber, viel Erfolg für Sie und Ihr Team und vielen Dank für das Gespräch. <<