Datentransfer: „Papier muss Geschichte sein“
>> „Deutschland braucht dringend eine nachhaltige eHealth-Strategie. Gelingt es nicht, in puncto digitale Technologien aufzuholen, werden wir ins Hintertreffen geraten. Die Unzufriedenheit der Bürger mit dem Gesundheitssystem wird weiter steigen und sich zum zentralen politischen Thema entwickeln“, prognostiziert Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. Er führt den Abwärtstrend in Sachen Zufriedenheit allerdings nicht darauf zurück, dass die Versicherten die fachliche Kompetenz von Health Professionals anzweifeln oder die Qualität der Gesundheitsversorgung allgemein in Frage stellen, sondern vielmehr seien die Bürger auf organisatorischer Ebene unzufrieden.
So kritisieren 40 Prozent, dass der Arzt sich zu wenig Zeit für sie nimmt, 21 Prozent bemängeln die Öffnungszeiten der Praxen, und 19 Prozent fühlen sich vom Arzt und seinen Mitarbeitern nicht ernst genommen. Speziell die Berufstätigen äußern ihren Unmut über den Service. „Während unter den Berufstätigen nur 29 Prozent gar keine Kritik äußern, sind es unter den Nicht-Berufstätigen 44 Prozent. In diesem Punkt sehe ich großen Handlungsbedarf“, erklärt Burkhart.
Dagegen setzt sich den Ergebnissen zufolge der Aufwärtstrend des Images der Krankenkassen aus den letzten Jahren fort: Im Vergleich zu 2018 (86%) sind 2019 88 Prozent mit ihrer Versicherung zufrieden. Acht von zehn Deutsche bestätigen, von ihrer Krankenkasse alle für eine gute medizinische Versorgung notwendigen Leistungen zu bekommen. Allerdings, betonen die Studienautoren, ist die Zufriedenheit mit der Leistungsbewilligung bei den Mitgliedern einer privaten Krankenversicherung höher als bei den Versicherten einer gesetzlichen Krankenkasse (90 versus 79 Prozent).
Darüber hinaus können sich auch die Pharmaunternehmen über einen Imagegewinn freuen. Hier kann man ebenfalls schon von einem Trend sprechen, denn inzwischen stimmen nur noch 68 Prozent der These des „Gewinnmaximierers“ zu, während es 2014 noch 76 Prozent waren. Parallel dazu steigt der Prozentsatz derer, die Pharmaunternehmen als Innovatoren wahrnehmen – von 15 Prozent im Jahr 2014 auf 19 Prozent aktuell. Innovationen sind ein wichtiger Wunsch an die Branche: 69 Prozent erwarten, dass die Konzerne neue Medikamente zur Bekämpfung von Krankheiten entwickeln, während nur 23 Prozent günstige Nachahmer-Arzneimittel für zentral halten.
„In einer konsequenten Digitalisierung unseres Gesundheitswesens
liegt ein großes Einsparpotenzial“
Beim Stichwort Innovationen fällt der Blick auf das im November 2019 vom Bundestag verabschiedete Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Sevilay Huesman-Koecke, International Director und Head of Business Development im Bereich Gesundheitswirtschaft bei PwC, fordert wie ihr Kollege eine nachhaltige Digitalisierungsstrategie, „die viele andere europäische Länder bereits seit langem konsequent umsetzen. Telemedizinische Lösungen, Gesundheits-Apps und Video-Sprechstunden könnten es gerade Berufstätigen ermöglichen, Behandlungen leichter in ihren Alltag zu integrieren.“
Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz gehe die Bundesregierung jetzt erste Schritte in die richtige Richtung. „In einer konsequenten Digitalisierung unseres Gesundheitswesens liegt ein großes Einsparpotenzial – und das bei gleichzeitiger hoher Versorgungsqualität“, erklärt Huesman-Koecke.
Zwei Drittel der Bundesbürger haben von diesem Gesetz zumindest schon einmal gehört oder gelesen. Allerdings weiß nur jeder Zehnte konkret, worum es bei diesem Gesetz im Einzelnen geht; ganze 33 Prozent haben weder etwas vom DVG gehört oder gelesen. Inhaltlich sind von diesem Gesetz besonders die Regelungen zur Digitalisierung von Verwaltungsprozessen (Stichwort: eRezept) und die Stärkung der Telemedizin bekannt. Gut jeder zweite Deutsche hat schon einmal von Gesundheits-Apps auf Rezept oder der zentralen Gesundheitsdatenbank gehört oder gelesen.
Die Corona-Krise zeigt sich in Sachen Telemedizin als wesentlicher Treiber. Seit 2018 ist zwar bereits eine Diagnosestellung und die Verschreibung von Medikamenten per Videochat möglich, doch in nennenswertem Maße genutzt wird die Fernbehandlung erst seit Beginn der Pandemie. So stieg zum Beispiel nach Angaben des Software-Spezialisten CompuGroup Medical, der Telemedizin-Lösungen anbietet, die Zahl der in Deutschland angeschlossenen ambulanten Arztpraxen von 700 beim Start der Plattform im Februar 2020 auf rund 17.500 Ende März. Zudem seien inzwischen 100 Kliniken dabei, erklärt CompuGroup-Manager Ralph Körfgen.
Gerade was die Online-Versorgungspraxis angeht, fallen die Befragungsergebnisse der PwC „Healthcare Barometers 2020“ positiv aus: 76 Prozent würden das elektronische Rezept (E-Rezept) nutzen, 54 Prozent die Videosprechstunde und 87 Prozent die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Internet.
Neues Gesetz will sensible Patientendaten schützen
Während die Telemedizin also tatsächlich bereits an Fahrt aufgenommen hat, steht das E-Rezept noch in den Startlöchern. Am 1. April hat das Bundeskabinett den Entwurf zum „Patientendaten-Schutz-Gesetz“ beschlossen. „Wir erleben gerade, wie digitale Angebote helfen, Patienten besser zu versorgen. Mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz wollen wir dafür sorgen, dass solche Angebote schnell im Patienten-Alltag ankommen: Das E-Rezept wird nutzbar, Facharztüberweisungen gibt es künftig auch digital. Und jeder Versicherte bekommt die Möglichkeit, seine Daten in der elektronischen Patientenakte sicher zu speichern“, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über den Gesetzentwurf.
Mit einer neuen, sicheren App könnten Versicherte E-Rezepte in einer Apotheke ihrer Wahl einlösen, wie das Bundesgesundheitsministerium berichtet. Das kann laut Gesetzentwurf eine Apotheke vor Ort sein oder eine Online-Apotheke. Die App werde Teil der sicheren Telematikinfrastruktur und soll im Laufe des Jahres 2021 zur Verfügung stehen. Wenn der Versicherte sein Rezept lieber in einer anderen App speichern möchte, könne er es über eine Schnittstelle dorthin weiterleiten.
Facharzt-Überweisungen sollen sich zukünftig digital übermitteln lassen, und Patienten sollen ein Recht darauf bekommen, dass der Arzt ihre elektronische Patientenakte (ePA) befüllt. Ab 2022 sollen Versicherte darüber hinaus die Möglichkeit bekommen, über ihr Smartphone oder Tablet für jedes in der ePA gespeicherte Dokument einzeln zu bestimmen, wer darauf zugreifen kann. Sie könnten also zum Beispiel festlegen, dass eine Ärztin oder ein Arzt zwar auf die ePA zugreifen darf, dass aber bestimmte Befunde nicht angezeigt werden. Wer seine Daten in der ePA einsehen möchte, kann das auf dem eigenen Smartphone oder Tablet tun. Auch Versicherte, die kein mobiles Endgerät besitzen, bekommen die Möglichkeit, ihre ePA zum Beispiel in einer Filiale ihrer Krankenkasse einzusehen. Die Kassen werden laut Bundesgesundheitsministerium verpflichtet, die technische Infrastruktur dafür ab 2022 zur Verfügung zu stellen.
Die Befragten der aktuellen PwC-Studie präsentieren sich allerdings sensibel, was die Preisgabe ihrer persönlichen Daten betrifft. „Alle digitalen Lösungen, die den Alltag des Patienten leichter machen, finden die Zustimmung der Bürger: etwa Gesundheitsapps, die vom Arzt verschrieben werden, das elektronische Rezept oder Video-Sprechstunden. Wir müssen allerdings auch die Bedenken der Versicherten ernst nehmen. Sie äußern deutlich, dass sie die Hoheit über ihre Daten behalten möchten, wie 93 Prozent bestätigen“, mahnt Burkhart. Immerhin die Hälfte sagt aber auch, dass sie sich zugunsten einer Alltagserleichterung weniger Gedanken um den Datenschutz macht. Die Ergebnisse zeigten, so Burkhart, dass die Übermittlung von Informationen auf Papier im Gesundheitswesen definitiv Geschichte sein müsse.
Die obengenannten 93 Prozent wollen, dass eine Weitergabe von Informationen nicht ohne ihre ausdrückliche Zustimmung erfolgen darf, und 77 Prozent haben Bedenken, dass Daten an kommerzielle Anbieter außerhalb des deutschen Gesundheitssystems weitergegeben werden könnten. Auf der anderen Seite ist laut Studie den meisten Menschen bewusst, dass die Medizin anonymisierte Daten braucht, um Therapien voranbringen zu können: So halten es 82 Prozent für ein Gebot der Ethik, dass diese Daten genutzt werden dürfen. Genau das soll laut Patientendaten-Schutz-Gesetz-Entwurf ab 2023 möglich sein: in der ePA abgelegte Daten freiwillig pseudonymisiert und verschlüsselt der medizinischen Forschung zur Verfügung zu stellen. <<