Bevölkerung ist weiter als die Politik
Das sind die Ergebnisse der repräsentativen Studie „EPatient Survey“ 2022, die bereits seit dem Jahr 2010 einmal jährlich durchgeführt wird. 6.000 Menschen werden dafür befragt. Es handele sich damit um die bei weitem größte Bevölkerungsbefragung zur digitalen Gesundheit in Deutschland, sagt Studienleiter Dr. Alexander Schachinger.
„Die Bevölkerung in Deutschland“, so Schachinger, „ist bei der digitalen Nutzung von Gesundheitsangeboten weiter als die staatliche Gesundheitspolitik. Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dringenden Nachholbedarf. Es ist bisher nicht gelungen, eine nationale Strategie zu entwickeln, die sich zum Beispiel an den Erfahrungen von Großbritannien oder Dänemark orientiert.“
Der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens EPatient Analytics weist darauf hin, dass der E-Health-Markt in Deutschland in hunderte Einzellösungen zersplittert ist, die nicht zentral vernetzt und deshalb für die medizinische Forschung nicht nutzbar seien. Sein Fazit: „Das immer wieder verschleppte Einführen einer einheitlichen IT-Infrastruktur für eine elektronische Patientenakte führt zu einem völlig fragmentierten Marktgeschehen.“
Auch der wissenschaftliche Begleiter der Studie, Professor Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin, zieht kritische Bilanz: „Die deutsche Bevölkerung ist bereit für E-Health, aber die Politik liefert nicht. Wenn das so weitergeht, zeichnet sich der Ausverkauf der gesundheitlichen Vitaldaten der Bevölkerung in Deutschland ins Ausland ab. Schon heute wird der Einfluss vor allem der amerikanischen Internetkonzerne wie Google und Amazon immer stärker, weil sie sich über ihre Angebote Zugriff auf die Vitaldaten verschaffen und sich zusätzlich in Einrichtungen der medizinischen Versorgung und der Gesundheitsversicherung einkaufen.“
Die Trendanalysen des „EPatient Survey“ zeigen auf,
• dass der digitale Impfpass innerhalb weniger Monate von 0 % auf 50 % Verbreitung kam,
• dass die Nutzung von Online-Arztsprechstunden ebenfalls von 0 % auf 16 % wuchs – auch nach der Pandemie stabil bleibend,
• dass jeder Zweite Bewegung, Schlaf, Stress oder Schmerzen mit digitalen Helfern misst,
• dass 17 % regelmäßig eine Medikamenten-App nutzen und 16 % mit dem Handy ihr Rezept zur Online-Bestellung scannen, und
• dass jeder Dritte Leistungen wie Online-Diagnostik, Gesundheitskurse oder die Online-Arztsprechstunde ohne Erstattung aus eigener Tasche bezahlt.
Aufgrund der zu komplizierten Angebotslandschaft von digitalen Gesundheitslösungen ist deren Nutzung stark vom Bildungsstand und Nettoeinkommen abhängig, so ein weiteres Ergebnis der Befragung. So bestimme der soziale Status in Deutschland, ob Prävention und ärztliche Beratung bei der Bürgerschaft auch ankommen. Beispiel Online-Arztsprechstunde: Bei Personen mit Abitur oder Studium wurde sie schon zu 20 % genutzt, bei Personen mit Hauptschulabschluss zu 11 %.
„Die Gesundheitspolitik lässt die Patientinnen und Patienten nicht nur mit einem Anbieterflickenteppich allein, sie akzeptiert sogar eine Versorgungsungleichheit“, kritisiert Dr. Alexander Schachinger.