Die Macht der Kunden
>> Betrachtet man das Online-Apotheken-Ranking für Deutschland 2020 von Dr. Kaske, so findet sich Amazon hinter der erstplatzierten Shop-Apotheke und den darauf folgenden DocMorris, Medpex, Medikamente-per-Klick und Apotal auf Platz 6. Nimmt man allerdings die Wachstumsdynamik für Non-Rx-Produkte in den Blick, ergattert der US-amerikanische Online-Versandhändler Platz 1: 40% Wachstum im deutschen Gesundheitsmarkt stehen hier zu Buche.
Und der Blick in die Zukunft lädt zum Träumen ein. Mit dem Start des E-Rezeptes am 01. Januar 2022 für alle Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für alle gesetzlich Versicherten, eröffnen sich große Marktpotenziale. Das Autorenteam um Fabian Kaske stellt daher die These auf: „Amazon kommt mit Wucht auf den deutschen Apothekenmarkt, getrieben durch die Umsatzchancen des E-Rezepts, aber es dauert länger als einige vermuten.“ Bezugnehmend auf den Launch von Amazon Pharmacy in den USA im ersten Quartal dieses Jahres, der die Akquisition der Pill Pack im Jahr 2018 vorausging, werde es in Deutschland ähnlich lange oder länger dauern, bis man wirklich handlungsfähig sei. „Aber die Rx-Chance ist mit vielen Milliarden Euro einfach zu groß, um nicht aktiv zu werden. Als wahrscheinlichste Markteintrittsoption erscheint weiterhin der Kauf von Shop Apotheke oder DocMorris“, so die Autoren. Ihre Prognose: Sobald Amazon im deutschen Markt aktiv sei, würden (Online-)Apotheker schnell die Macht von 45 Mio. aktiven deutschen Amazon-Kunden spüren. Eigene OTC-Produkte gibt es laut Kaske bei Amazon USA seit Februar 2018. Diese würden vermutlich parallel zum Launch eines Rx-Angebots in Deutschland verfügbar sein und für zusätzlichen Wettbewerbsdruck sorgen. Daher sollten Hersteller heute schon auf Amazon aktiv sein, um Morgen optimal dazustehen.
Wer steht hinter den Amazon-Verkäufern?
Im zweiten Teil der insgesamt vierteiligen Studie arbeiten die Autoren heraus, dass es bezüglich der Marktanteile der Top 100 Pharma-Brands zwischen Amazon und den Onlineapotheken große Unterschiede gibt. Den größten Amazon-Marktanteil im Bereich Medikamente erzielt die Marke „Bite Away“ der MibeTec, gefolgt von „Kolloidales Silber“ und „Manuka“. Mit „Voltaren“, „Canesten“ und „Ciclopoli“ fänden sich nur 3 bekannte Pharma-Marken unter den Top 8 Amazon-Medikamenten. Digital-first-Player wie „Evolsin“ und „Kolloidales Silber“ dominierten gegenüber den etablierten Konzernen. Ähnlich wie der OTC-Markt unterliege der Amazon-Medikamenten-Markt teils hohen saisonalen Schwankungen. Die in der Studie abgebildeten Produkte lägen im Jahresdurchschnitt ganz vorne.
Nimmt man den Marktanteil je Hersteller in der Kategorie Medikamente ins Visier – zu der nicht die Nahrungergänzungmittel zählen – so finden sich bei den umsatzstärksten Amazon-Herstellern einige Überraschungen neben den OTC-Platzhirschen. „Die Kategorisierung einiger Produkte erscheint aus pharmazeutischer Sicht teils willkürlich oder falsch“, merken die Autoren an.
Doch wer steht hinter den Amazon-Verkäufern? „Zum Großteil sind dies Versandapotheken (53%), teils bekannte Versender wie apo-discounter, teils Amazon-Spezialisten wie CuraVendi. Immerhin jeder 10. Kauf wird direkt über den Hersteller abgewickelt“, analysiert das Team und hat auch die einzelnen Indikationen in der Kategorie „Medikamente“ untersucht. Die Nr. 1-Indikation „Multivitamine“ erzielt bei Amazon 20 Millionen Euro pro Jahr. Auf Platz 2 folgen „Fieber & Schmerzen“, und „Erkältung“, „Allergie“ sowie „Muskel, Knochen & Gelenke“ folgen.
E-Commerce-Strategie: Wie relevant ist Amazon?
Nach einer ausführlichen Brand- und Hersteller-Analyse wartet die Untersuchung dann mit einer Herstellerumfrage auf, die zuallererst eruiert, wie die Unternehmens-Produkte auf Amazon verkauft werden. Geantwortet haben laut Studiendesign 48 Pharmaunternehmen, die in diesem Jahr dazu befragt wurden. Mehr als die Hälfte der befragten Hersteller verkauft auf Amazon über den Marketplace (52,1%), 12,5% geben den Direktverkauf an, und ebenfalls nur 12,5% verkaufen ihre Produkte nicht über Amazon. 14,6% nutzen beides.
Die Frage nach der Relevanz von Amazon für die E-Commerce-Strategie der Unternehmen, beantworten 22,9% mit „sehr wichtig“ und 18,7% mit „wichtig“. 29% bewegen sich im Mittelfeld und geben „teils, teils“ an. Für 14,6% spielt Amazon eine „weniger wichtige“ Rolle, und nur 12,5% geben an, dass dieser Online-Marktplatz „gar nicht wichtig“ für sie ist. Sieht man sich nun den Online-Umsatz der befragten Pharma-Hersteller auf Amazon an, so ist das Resultat, dass jeder fünfte Hersteller bereits mehr als 15% seines Online-Umsatzes über die Plattform generiert.
Dr. Kaske hat die Unternehmen auch gefragt, seit wann diese aktiv ihre Produkte auf Amazon unterstützen, sei es durch Produktseitenoptimierung oder Werbung. Für die Jahre 2017 und 2018 geben das jeweils 2,1% der Befragten an. Im Jahr 2019 waren es bereits 12,5% der Unternehmen, was im Jahr 2020 in einen bisherigen Spitzenwert von 20,8% gipfelt. Die Autoren sehen einen Einfluss der Corona-Krise auf diese Entwicklung.
6,3% der 48 befragten Pharma-Hersteller geben an, dass sie ihre Produkte nicht aktiv unterstützen und 20,8% verkaufen keine Produkte über Amazon. Diese sind dann wohl raus, wenn es um die Frage geht, on das Unternehmen Werbung auf Amazon schaltet, um den Abverkauf zu steigern. 58,3% sagen hier „Nein“, 14,6% erklären „Ja, direkt“ und 27,1% heben die Hand bei „Ja, via Partner (z.B. Agentur, Versandapotheke)“. Steckt also noch eine Menge Potenzial drin. Und die Agentur Kaske tritt an, diese zu heben. Mit Amazon Advertising, so erfährt der Leser im 4. Kapitel, könnten beispielsweise der Sales Rank und der Marktanteil der Produkte erhöht werden. Auch Amazon Brand Stores werden vom Kaske-Autorenteam untersucht: Mehr als die Hälfte (58,1%) der Umfrageteilnehmer haben ihre Produktseiten auf Amazon bereits aufgehübscht, 35,4% haben das bisher nicht getan und 6,3% machen dazu keine Angaben. Das Kaske-Team gibt Tipps, wie sich Produktseiten auf Amazon optimieren lassen, nämlich durch
• SEO-optimierte Produkttexte
• Hochauflösende Produktbilder und -videos
• Berücksichtigung SEO relevanter Kriterien
• Anschauliche USP-Darstellung als Blickfang
• Amazon A+ Content für die Produktseite.
Doch auch durch gezielte Werbeaktionen sei es für Hersteller möglich, Produkte ins Rampenlicht zu setzen. Mögliche Werbeaktionen sind laut Kaske
• Preisnachlässe
• Blitzangebote
• Kostenloser Versand
• Gratisprodukt
• Gewinnspiele
• Social Media Promo Codes.
Aber braucht es diesen Invest in die Plattform? Die vom Autorenteam eingangs aufgestellte These der möglichen Übernahme einer Onlineapotheke, mit der Amazon sich direkten Zugang zum Markt beschaffen könnte, wird von der Mehrheit der Befragten bestätigt. „Amazon stieg 2020 in den USA mit Amazon Pharmacy in den Apotheken-Markt ein. Wie wahrscheinlich sehen Sie in den nächsten 3 Jahren eine ähnliche Entwicklung in Deutschland?“, haben die Autoren die Studienteilnehmer gefragt. Ergebnis: Knapp 70% der Hersteller sehen ein ähnliches Szenario in DE als (sehr) wahrscheinlich an.
„Wir gehen davon aus, dass Amazon sich in den nächsten 12 Monaten durch die Übernahme einer Onlineapotheke auch in Deutschland positionieren wird“, prognostizieren die Autoren, und erklären: „Danach beginnt eine Adaptions- und Lernphase, final wird Amazon in 3-5 Jahren voll einsteigen und den Pharma-Versandhandel relevant beeinflussen.“ Knapp 70% der Hersteller sehen ein ähnliches Szenario in Deutschland als „(sehr) wahrscheinlich“ an, 18,8% halten ein solches für „teilweise wahrscheinlich“, 10,4% für „unwahrscheinlich“, 2,1% für „sehr unwahrscheinlich“.
Die Studie kommuniziert anonymisiert einige Aussagen von Pharma-Herstellern dazu, zum Beispiel: „In Deutschland haben wir eine wichtige Rolle der Onlineapotheken, Amazon wird sich in diesen Markt integrieren. Offen bleibt für mich, wie die Onlineapotheken, die bisher Amazon auch zusätzlich als Plattform nutzen, darauf reagieren werden. Durch Amazon kommt Bewegung hinein.“ Oder auch: „Wenn das E-Rezept (GKV/Arzneimittel) ab 2022 in Deutschland eingeführt ist, werden Amazon und andere Player Deutschland (Cigna/Express-Scripts) den Rx-Markt angreifen.“
Aber auch eine optimistischere Stimme mischt sich unter die doch eher skeptischen Stimmen: „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und auch die Stärke der stationären Apotheken und den Versandhandelsapotheken sind nicht zu unterschätzen.“ <<