Vertrauen als Zünglein an der Waage
>> Die Zahlen der Edelman-Studie zeigen, dass das Vertrauen in das Gesundheitswesen und die in diesem Sektor tätigen Unternehmen von mehreren Seiten auf dem Prüfstand steht. So haben Gesundheitsunternehmen das Vertrauenshoch hierzulande, welches zu Beginn der Pandemie erreicht wurde (Mai 2020: 72 %), wieder eingebüßt (März 2022: 60 %). Es zeigt sich zudem, dass die deutschen Befragten gespaltener Meinung sind, ob das Gesundheitssystem gut gerüstet ist, um künftige größere Gesundheitskrisen zu bewältigen – nur 50 % von ihnen sagen, dass ihre Zuversicht im Laufe der Pandemie gestiegen ist.
Eine große Herausforderung, die diese Entwicklung aus Sicht der Studienverantwortlichen weiter befeuert, ist die andauernde „Infodemie“. „Die Schwierigkeit, die es beim Lösen des Informationsproblems gibt, ist, dass eine Vielzahl an Menschen nicht erreicht wird. Weniger als die Hälfte (44 %) der hierzulande Befragten sagt, dass sie wöchentlich oder öfter gesundheitsrelevante Informationen von großen Nachrichtenorganisationen, Unternehmen oder Influencern konsumieren“, sagt Nils Giese, Managing Director Healthcare bei Edelman Deutschland.
Deutlich werden die Unterschiede beim Informationsverhalten und dem Vertrauen in die unterschiedlichen Quellen beim Blick auf Geimpfte und Ungeimpfte. So geben vollständig Geimpfte an, dass sie sich auf ihren Arzt und die Empfehlungen nationaler Gesundheitsexperten als Quelle für Informationen und Empfehlungen bezüglich Impfungen am meisten verlassen. Bei Ungeimpften, die sich auch zukünftig nicht impfen lassen wollen, zeigt sich ein anderes Bild: Sie setzen am meisten auf Internetrecherchen, bevor sie Familie und Freunde konsultieren. Bei denjenigen, die nicht geimpft sind, weil sie nicht geimpft werden möchten, ist die drittbeliebteste Quelle für Informationen und Ratschläge zu Impfungen „niemand“ – sie geben häufiger an, sich auf keinerlei Informationen verlassen zu haben, als dass sie ihren Arzt um Rat fragen. Ein möglicher Faktor für den deutlichen Unterschied bei der Suche nach Informationen von Geimpften und Ungeimpften könnte die Sorge sein, dass die Wissenschaft politisiert wird. 43 % der Deutschen sagen, dass sie besorgt seien, dass die medizinische Wissenschaft zur Unterstützung einer politischen Agenda benutzt wird.
Vertrauen als kritischer Faktor
Wie wichtig jedoch Vertrauen für das Gesundheitsökosystem ist und welchen Einfluss es sowohl auf das öffentliche als auch das persönliche Gesundheitsverhalten hat, zeigt sich darin, dass die „Misstrauischen“ unter den in Deutschland Befragten deutlich seltener vollständig gegen Covid-19 geimpft sind: 92 % der Menschen mit einem höheren Vertrauen sind vollständig geimpft, unter denen mit einem geringeren Vertrauen sind es nur 68 %. Eine ähnliche Kluft tut sich auch beim Thema Vorsorgeuntersuchungen auf: 74 % der Befragten mit einem größeren Vertrauen hatten im vergangenen Jahr eine Vorsorgeuntersuchung, bei denen mit einem relativ geringen waren das nur 57 %.
Vertrauen ist darüber hinaus entscheidend, so ein weiteres Ergebnis der Studie, wenn es um die Unterstützung und Einhaltung von öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen geht. So stimmen hierzulande 61 % derer mit höherem Vertrauen in das Gesundheitsökosystem zu, dass Argumente für die persönliche Freiheit nicht gelten, wenn die Gesundheit anderer Menschen dadurch gefährdet wird. Die Mehrheit derjenigen, die weniger Vertrauen haben, ist dagegen der Auffassung, dass niemand zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen gezwungen werden sollte, die er nicht möchte.
Ein vergleichbares Bild zeigt sich auch bei der Akzeptanz, dass wissenschaftliche Fortschritte zu Änderungen der Expertenempfehlungen führen können. Von denjenigen mit einem höheren Vertrauen nehmen 79 % an, dass neue Empfehlungen wahrscheinlich besser sind als die alten, da die Gesundheitsexpert:innen dazu gelernt hätten, während das weniger als die Hälfte der eher „Misstrauischen“ annimmt.
„Der ‚Edelman Trust Barometer 2022 Special Report: Trust and Health‘ zeigt, dass Vertrauen das Zünglein an der Waage ist, wenn es um die Akzeptanz von Maßnahmen und Entscheidungen im Sinne der öffentlichen Gesundheit geht“, erläutert Nils Giese. „Diejenigen, die ein höheres Maß an Vertrauen in das Gesundheitsökosystem haben, nehmen mit größerer Wahrscheinlichkeit an gesundheitsfördernden Verhaltensweisen wie der Gesundheitsvorsorge teil und sind eher bereit, ihre Freiheiten zugunsten des Gesundheitsschutzes einzuschränken.“
Ganzheitlicher Ansatz gefragt
Welchen Impact das Handeln von Unternehmen des Gesundheitssektors für die Branche bzw. das gesamte System hat, auch das zeigen die Ergebnisse des Special Reports: Wenn Unternehmen des Gesundheitswesens ihr Vertrauen gewinnen und erhalten wollen, finden es 73 % wichtig, dass sich diese Unternehmen für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Vertrauens in das gesamte Gesundheitssystem des Landes einsetzen. Und nicht nur das: Die Mehrheit der Befragten in Deutschland findet auch, dass Healthcare-Unternehmen auch andere Themen, die Einfluss auf die Gesundheit haben, adressieren müssen, wenn sie vertrauenswürdig erscheinen wollen.
„Für Unternehmen im Gesundheitssektor heißt dies, dass sie ihre Rolle kennen und wissen müssen, wie sie ihre Stärken sinnvoll in das gesamte Ökosystem einbringen können. Damit dies nicht nur bei einem Teil der Gesellschaft gelingt, muss die bestehende Vertrauenskluft überwunden werden. Es reicht nicht mehr, nur eine Strategie zu fahren und die Informationskanäle und Interessen einer Zielgruppe zu betrachten“, betont Nils Giese. „Es ist entscheidend, dass Gesundheitsunternehmen und andere Institutionen die Bedeutung der verschiedenen Stimmen und Einflussnehmer verstehen und das richtige Konzept anwenden, um möglichst viele zu erreichen.“
Für Nils Giese ist eine grundsätzliche Schlussfolgerung aus dem „Special Report Trust and Health“, dass die Kommunikator:innen anerkennen müssen, dass das allgemeine Vertrauen in die Gesundheit wie auch das Vertrauen in die Regierung nicht kurzfristig und nicht über die klassischen Kanäle der Mainstream-Medien wiederhergestellt werden kann. „Stattdessen müssen diejenigen, die weniger Vertrauen in das Gesundheitssystem haben, direkt angesprochen werden. Dies können Ärzt:innen und Apotheker:innen, aber auch Arbeitgebende sein.“ <<