Implantate aus dem Drucker
>> Seinen Ursprung hat das innovative System am Lehrstuhl für Medizintechnik an der TU München, wo Sebastian Pammer und Stefan Fischer im Rahmen eines Studentenprojekts ein Konzept für einen 3D-Drucker für Hochleistungskunststoffe entwickelten. Dieses Konzept sah dann so vielversprechend aus, dass sie beschlossen, diesen Apparat einfach mal zu bauen. Dieser erste Prototyp, eine Art Funktionsmuster, hat dann so gut funktioniert, dass sie bereits einige Bauteile damit drucken konnten. „Mit diesen Bauteilen sind wir auf Messen gegangen und haben uns im Umfeld des Lehrstuhls, der über ein großes Netzwerk in der Medizintechnik verfugt, umgehört“, berichtet Sebastian Pammer. Das Feedback war derart gut, dass die Beiden zusammen mit drei Kollegen ihren Drucker weiterentwickelten, einen Businessplan aufstellten und sich um eine Förderung durch den „Exist-Forschungstransfer“ bewarben, ein Förderprogramm, bei dem es darum geht, aussichtsreiche, an der Universität entstandene Innovationen so zu fördern, dass daraus ein vermarktungsfähiges Produkt bzw. Unternehmen werden kann. Die Förderung wurde bewilligt, sodass die fünf Gründer während der letzten 18 Monate als wissenschaftliche Mitarbeiter des Medizintechnik-Lehrstuhls tätig sein und dessen Einrichtungen und Infrastruktur nutzen konnten.
In dieser Zeit konnte das Team das Funktionsmuster so weit weiterentwickeln, dass es mittlerweile einen funktionierenden Prototypen gibt, der nun auch schon an erste Pilotkunden herausgegeben werden kann. Zusätzlich konnten sie im Sommer ihre Seed-Finanzierungsrunde abschließen, so dass die Folgefinanzierung für die gerade ausgelaufene „Exist“-Förderung gesichert ist. „Damit können wir seit Anfang Oktober als eigenständiges Unternehmen weiter wirtschaften, unabhängig von der Universität“, berichtet Stefan Fischer.
Der Hauptfokus bei der Produktion von Knochenimplantaten mittels 3D-Druck liegt auf dem Werkstoff PEEK (Poly-Ether-Ether-Keton), denn dieses Hochleistungsthermoplast ist besonders gut für die Herstellung von Medizinprodukten geeignet: Die mechanischen Eigenschaften sind dem menschlichen Knochen sehr ähnlich, es ist biokompatibel und ist zudem bereits für die Verwendung in der Medizintechnik zugelassen. „Der Werkstoff muss besondere Anforderungen erfüllen, deswegen muss er auch zertifiziert werden. Auch ein validierter Herstellungsprozess der Implantate ist notwendig, damit das gefertigte Produkt zugelassen werden kann“, sagt Fischer. Kumovis kümmert sich dabei in erster Linie um den Prozess, den man zwar momentan nicht zertifizieren lassen kann, was das Start-up aber kann, ist so weit Vorarbeit zu leisten, dass die Kunden keine Probleme dabei haben, das gefertigte Produkt zugelassen zu bekommen.
Ein ganz wesentlicher Aspekt für die Zertifizierung ist die Anforderung, dass bei der Herstellung von Implantaten Reinraumbedingungen gegeben sein müssen. „Genau dies können wir mit unserem Drucker leisten, was es in dieser Form bisher noch nicht auf dem Markt gibt“, betont Pammer.
Für welche Implantate der 3D-Druck mit PEEK in Frage kommt, lasse sich nur schwer pauschal beantworten, sagt Fischer, denn man müsse immer schauen, welche Anforderungen es für das Implantat gibt und aus welchen Materialien es bisher gefertigt worden ist.
Gut vorstellbar der Prozess aber beispielsweise für Cranioplastiken, also Schädelplatten. Bei Cranioplastiken ergibt sich ein entscheidender Vorteil, wenn man sie patientenindividuell fertigt. Denn im Moment werden individualisierte Schädelplatten meist noch gefräst, was einen hohen Materialausschuss bedeutet – bei einem teuren Werkstoff wie PEEK ein nicht zu vernachlässigender Kostenfaktor.. „Bei der additiven Fertigung, in der schichtweise aufgebaut wird, benötigen wir höchstens eine Stützstruktur“, betont Fischer. Neben der Kostenersparnis beim Material sei ein weiterer wesentlicher Vorteil des Verfahrens von Kumovis, dass man die individuell gefertigten Bauteile in einer sehr kurzen Prozesszeit an den Patienten bekomme – im Durchschnitt dauert der 3D-Druck bei einer Craneoplastik in üblicher Größe zwischen vier und sechs Stunden.
In den meisten Fällen würde vor Beginn eines Eingriffs am Schädel ein CT-Scan gemacht, sodass man ein Bild der Knochenstruktur hat, die defekt ist oder ersetzt werden muss. Auf Basis dieses Bildes kann der Medizinproduktehersteller dann in Absprache mit den operierenden Ärzten das Implantat modellieren. In Abstimmung mit den Ärzten würde das Implantat bei Bedarf noch einige Schleifen durchlaufen, bis die Ärzte zufrieden sind, dann würde es noch etwas nachbearbeitet – zum Beispiel sterilisiert – und könnte dann in den OP geliefert werden.
Zurzeit arbeitet Kumovis parallel an zwei verschiedenen Produktlinien: Die „R&D-Line“, sozusagen die Entwicklungsanlage, enthält zwar die Kerntechnologien, insbesondere die Temperaturführung im Bauraum – „von der technischen Seite her der Knackpunkt bei der Verarbeitung von Hochleistungsthermoplasten“, so Fischer – , aber keine Reinraumtechnik und auch keine Prozessüberwachung, sie ist das Basismodell. Mit dieser Linie startet Kumovis gerade gemeinsam mit einigen Leadcustomern erste Pilotprojekte, Mitte 2019 soll dann die Serienproduktion starten.
Die „Production-Line“ ist die Anlage für die medizintechnische Produktion mit Reinraumintegration und Prozessüberwachung für die spätere Zertifizierung. Hier starten die ersten Pilotprojekte im kommenden Jahr, 2020 soll sie dann auf den Markt kommen.
Der wichtigste Kanal, um die Vermarktung ihres innovativen Systems anzukurbeln, sind für die Gründer Fachmessen, und zwar sowohl Messen für additive Fertigung als auch solche für Medizintechnik. „Gerade auf den Messen für additive Fertigung sind die innovativeren Unternehmen und Ärzte präsent“, berichtet Pammer. Zudem realisieren sie durch Fach-PR Publikationen in kunstoff- und medizintechnikbezogenen Fachzeitschriften.
Momentan ist das Start-up ganz klar in Richtung Medizintechnik fokussiert. „Das ist schließlich unser Background und das Gebiet, auf dem mit dem Reinraumsystem und der Prozessüberwachung unser größter USP liegt“, so Sebastian Pammer. „Allerdings ist die Verarbeitung von Hochleistungskunststoffen in der additiven Fertigung auch in anderen Branchen hochinteressant – die Luft- und Raumfahrttechnik wie die Pharma sind ebenfalls Märkte mit strengen Auflagen hinsichtlich der Fertigungsbedingiungen. Mittelfristig sind wir also auch für andere Branchen offen.“
Im Bereich der FML-Technologie („Fused Layer Modeling“) gebe es seines Wissens nach zurzeit niemanden, der Implantate und Medizinprodukte mit höheren Anforderungen fertigen könne als Kumovis, sagt Stefan Fischer. „Das ist der Markt, in dem wir primär mit unserer einzigartigen Lösung Erfolg haben wollen.“ <<