Lernen auf neuem Niveau

03.12.2019 11:55
Die Thieme Gruppe und das amerikanisch-dänische Softwareunternehmen Area9 haben ein Joint Venture gegründet und entwickeln gemeinsam adaptive E-Learning-Angebote für Fachärzte, Ärzte in Weiterbildung, Medizinstudierende, aber auch für Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, wie beispielsweise aus Sales, Marketing und Communications. Im Gespräch mit „Pharma Relations“ erklären Oliver Fock von Thieme und Dr. Claus Biermann von Area9 Lyceum, die das deutschsprachige Geschäft mit der Pharma- und Healthcare-Industrie vorantreiben, die Ziele der Kooperation und die Vorteile des neuen adaptiven Lernsystems.

>> Thieme und das amerikanisch-dänische Softwareunternehmen Area9 haben ein Joint Venture für adaptive E-Learning-Angebote gegründet. Welche Motivation steht hinter dieser Kooperation?
Dr. Claus Biermann: Wir sind ein Technologie-Provider mit einer adaptiven E-Learning-Plattform und haben einen Partner für den Bereich medizinischen Content gesucht. Denn uns war von Anfang an klar, dass unsere Technologie nur dann ihr volles Potenzial entfalten kann, wenn sie mit entsprechend hochwertig aufbereitetem Inhalt arbeiten kann. Mit Thieme haben wir eine absolute Premium-Brand im Medizinbereich als Partner gewinnen können.
Oliver Fock: In unserer Kooperation vereinen wir mehr als 130 Jahre Erfahrung im Bereich medizinischer Fort- und Weiterbildung mit 20 Jahren ausgewiesener Technologie-Erfahrung. Gemeinsam können wir unsere Stärken zusammenbringen und den Kunden innovative Lösungen für neue Formen des Lernens anbieten. Area9 bringt das Know-how in der Plattformentwicklung ein. Wir von Thieme steuern unsere Kompetenz in der redaktionellen und didaktischen Aufbereitung von medizinischen Inhalten bei. Als kleine Fußnote zu unserem Joint Venture gibt es noch eine schöne Anekdote zu berichten.

Die da lautet?
Oliver Fock: Möglicherweise wurde der Grundstock für die Kooperation schon vor 20 Jahren gelegt, denn die beiden Mitgründer von Area9, Dr. Khurram Jamil und Dr. Ulrik Juul Christensen, haben nach eigenen Berichten während ihres Medizinstudiums sehr viel mit englischsprachigen Thieme-Büchern gelernt und fanden schon damals die Aufbereitung der Inhalte hervorragend. Aber das nur am Rande.

Welche Ziele verfolgen Sie mit der Kooperation namens Thieme|Area9?
Dr. Claus Biermann: Wir möchten nicht weniger, als das Lernen und die Weiterbildung der Zukunft mitgestalten und weiterentwickeln. Schon heute bieten wir Unternehmen das Konzept des adaptiven Lernens an. Ein Megatrend der Zukunft ist lebenslanges Lernen und die damit verbundene Frage, wie dieses Lernen und Weitergeben von Wissen zum einen didaktisch, zum anderen aber auch nutzerindividuell umgesetzt werden kann.
Oliver Fock: Uns ist es wichtig, dass wir in der Kombination unserer jeweiligen Stärken – sprich profunder didaktischer Wissenaufbereitung und technologischen Know-hows – neue zielgerichtete Services im Bereich des Lernens für unsere Kunden aus der Industrie entwickeln und umsetzen können.

Sie sprechen von adaptivem Lernen. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Und worin unterscheidet sich dieser Ansatz von einem „traditionellen“ E-Learning-Programm?
Dr. Claus Biermann: Das traditionelle E-Learning-Programm ist ein eher starres System, das sich in keiner Weise den individuellen Stärken und Schwächen des Teilnehmers anpasst. Es erfolgt linear: Frage-Antwort, gefolgt von der nächsten Frage-Antwort-Möglichkeit und so weiter. Hinzu kommt, dass der Lerninhalt für alle Teilnehmer gleich ist. Letztendlich wird auch nicht überprüft, ob der Inhalt vom Teilnehmer tatsächlich verstanden beziehungsweise verinnerlicht worden ist. Genauso wenig wird überprüft, welches Wissen bei dem Nutzer vielleicht schon vorhanden ist. Diese unflexible Vorgehensweise führt in vielen Fällen dazu, dass das Training länger dauert, als notwendig und die Nutzer eher frustriert und wenig motiviert sind zu lernen.

Und was macht der adaptive Lernansatz anders?
Oliver Fock: Im Gegensatz dazu passt sich das adaptive Lernen individuell an die Bedürfnisse des Lernenden an. Wir berücksichtigen bei diesem Ansatz das relevante Vorwissen des Nutzers. Entsprechend werden nur die Inhalte ausgespielt, die ihm fehlen, um ein bestimmtes Kompetenzlevel zu erreichen. Jeder Lernende erhält damit im Prinzip seinen eigenen „Hauslehrer“.
Eine Stärke dieses Lernsystems ist auch, dass sogenannte unbewusste Inkompetenz aufgedeckt wird. Das heißt, der Lernende ist davon überzeugt über bestimmtes Wissen zu verfügen, was aber oft nicht der Fall ist. Mit dieser Methode wird der Nutzer hin zu einer bewussten Kompetenz geführt.

Durch welche Besonderheiten zeichnet sich das adaptive Lernen aus?
Dr. Claus Biermann: Dank innovativer Algorithmen und KI-gestützter Technologie nimmt diese Methode die Stellung eines persönlichen Tutors des Lernenden ein. Jeder Nutzer nimmt seinen ganz individuellen Lernpfad, basierend auf bereits vorhandenen Kompetenzen und der Interaktion mit der Lernplattform. Dadurch wird keine unnötige Zeit auf Themen verwendet, die der Lernende bereits weiß. Das Ziel ist, dass sich der Lernende komplett auf seine Lernziele fokussieren kann. Der Schwierigkeitsgrad passt sich kontinuierlich und in Echtzeit an das Niveau des Nutzers an. Nach unseren Erkenntnissen und Evaluationen erhöht diese Vorgehensweise die Motivation des Teilnehmers, weil er sich durch für ihn passende Aufgaben herausgefordert fühlt – und zwar im positiven Sinn.
Oliver Fock: Mit diesem Lernansatz und der Begleitung durch den „individuellen Hauslehrer“ simulieren wir ein effizientes 1:1-Training. Mit dem Resultat, dass das Lernen schneller, tiefgreifender und damit auch nachhaltiger erfolgt. Damit erreichen wir eine hohe Zeitersparnis. Außerdem werden selbst komplexe Inhalte auf diese Weise fest im Gedächtnis verankert. Ein entscheidender Punkt ist darüber hinaus, dass sich der Teilnehmer im Anschluss nachweislich kompetenter und sicherer in der Kommunikation mit seiner Zielgruppe fühlt.

Übersetzt in die Bedürfnisse eines Außendienstmitarbeiters heißt das?
Dr. Claus Biermann: In einer kompetitiven Studie, die in den USA durchgeführt wurde, hat sich gezeigt, dass mit einer veränderten Einstellung und Wahrnehmung zum Lernen mehr erreicht werden kann: mehr Spaß, höhere Motivation sowie eine bessere Selbstwahrnehmung über das eigene Wissen. Summa summarum fühlten sich die Sales-Mitarbeiter und Reps nach dem Training mit Thieme|Area9 stabiler und wissender im Umgang mit ihren Ärzten. Was sich letztlich auch in einer optimierten Gesprächsführung durch die erhöhte Qualität der Wissensvermittlung zwischen Arzt und Außendienstmitarbeiter gezeigt hat.
Oliver Fock: Ich möchte den Punkt der Zeitersparnis nochmals aufgreifen. Für einen Außendienstmitarbeiter bedeutet das, dass er mehr Zeit für Gespräche mit Ärzten nutzen und damit letztendlich höhere Umsätze generieren kann.

Wie setze ich konkret das adaptive Lernsystem im Unternehmen um?
Dr. Claus Biermann: Wir starten meist mit einem Pilotprojekt, das zu einem bestimmten Thema entwickelt wird. Der Inhalt wird vom Unternehmen bereitgestellt. Auf Wunsch kann der Inhalt auch um Thieme-Content erweitert werden. Die didaktische Aufbereitung erfolgt dann durch durch Thieme bzw. das Joint Venture.
Oliver Fock: Im Pilotprojekt wird ein circa 2-stündiger adaptiver Kurs von einem speziell ausgebildeten Learning Engineer entwickelt. Ein zentraler Punkt in dem Zusammenhang ist die genaue Definition der strategischen Lernziele. Im Rahmen eines Workshops werden diese zunächst gemeinsam mit dem Kunden entwickelt.

Haben Sie schon Erfahrungen in dem Bereich gesammelt?
Dr. Claus Biermann: Wir haben einige Pharmaunternehmen, die die Area9-Plattform für verschiedene Bereiche, sei es Medical Affairs, Communications und Sales nutzen. Denn das Thema Lernen betrifft absolut alle Bereiche eines Unternehmens. Klar ist allen Beteiligten in der Pharmaindustrie wie auch in anderen Branchen, dass die Wissensvermittlung, so wie sie bisher umgesetzt wurde, aus diversen Gründen nicht mehr sinnvoll und zielführend ist.

Und was sind die Gründe?
Dr. Claus Biermann: Es geht allgemein gesprochen um das Thema Innovation bzw. medizinischer Fortschritt und die Frage, wie ich das medizinische Fachwissen, dass sich durch die voranschreitende Forschung innerhalb weniger Jahre exponentiell erhöht, zu den Mitarbeitern und den Zielgruppen bringe. Wir sind überzeugt davon, dass neue agile Lernsysteme dabei helfen, flexibel und schnell auf Veränderungen und Neuerungen reagieren zu können.

Was wollen Sie in den kommenden Jahren erreichen?
Oliver Fock: Wir sind ganz klar am Beginn der Reise des zukünftigen Lernens, und wir werden sehen, wo es in den nächsten 5 Jahren hingeht. Deswegen kann man jetzt fairerweise noch nicht sagen, was alles passieren wird.
Was aber bereits klar ist: Bei uns geht es um 4-dimensionales Lernen. Während wir in den vergangenen Jahren den Fokus auf Knowledge gesetzt haben, geht es jetzt in Richtung der Skalierbarkeit, nämlich von Wissen, Fähigkeit und Charakter. Und das Ganze ummantelt von Konzepten zum Meta-Learning. In der Praxis bedeutet das schnelleres Lernen, motiviertere Mitarbeiter und bessere Lernergebnisse.

Herr Dr. Biermann und Herr Fock, vielen Dank für das Gespräch. <<

Thieme|Area9
Das Softwareunternehmen Area9 wurde 2006 von den Medizinern Dr. Ulrik Juul Christensen und Dr. Khurram Jamil gegründet und ist heute einer der Marktführer für adaptive Lernsysteme, die bereits erfolgreich in der College- Ausbildung und der betrieblichen und fachlichen Weiterbildung eingesetzt werden. Für Area9 sind über 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Niederlassungen in Boston, Kopenhagen, New York, Leipzig und Riyadh tätig. Am Joint Venture Thieme|Area9 sind beide Unternehmen mit jeweils 50 Prozent beteiligt. In Bezug auf die Aktivitäten in Richtung der deutschsprachigen Pharma- und Healthcare-Industrie sind Oliver Fock, Senior Vice President der Thieme Gruppe, und Dr. Claus Biermann, Executive Vice President, bei Area9 Lyceum und Board Member Thieme|Area9 die verantwortlichen Ansprechpartner.

Ausgabe 12 / 2019

pharma.berater