Vermarktungsexperte mit Mehrwert

05.04.2022 12:05
Ende des vergangenen Jahres hat das IVMP – Institut für Vertrieb und Marketing im Pharmamarkt eine Online-Befragung unter Entscheidern im OTC-Markt durchgeführt. Thema waren der Apothekenaußendienst und Key Account Management in Zeiten von Corona. Wir sprachen mit Thomas Pielenhofer und Michael Müller, beide Partner des IVMP, über die nachhaltigen Veränderungen beim Apothekenaußendienst. Corona ist nach Einschätzung der beiden Experten ein Katalysator für Entwicklungen im Außendienst. Deutlich wird im Gespräch auch, dass der Kampf gegen den Online-Kanal ein „Kampf gegen Windmühlen“ ist. Der Fokus sollte deshalb darauf liegen, eine passende Multichannel- oder Omnichannel-Strategie zu haben, denn diese ist für den zukünftigen Erfolg der Außendienstaktivitäten essenziell.

>> Herr Pielenhofer, das IVMP hat im November letzten Jahres eine Online-Befragung unter Entscheidern im OTC-Markt zum Thema Apothekenaußendienst und Key Account Management in Zeiten von Corona durchgeführt. Was sind die zentralen Ergebnisse dieser Befragung?
Thomas Pielenhofer: Die Corona-Pandemie hat zu einschneidenden Veränderungen in der Vertriebsorganisation von OTC-Unternehmen geführt: Während im Außendienst eher personell abgebaut wurde, wurde das Key Account Management (KAM) tendenziell verstärkt. Der Bedeutung von Top-Apotheken, häufig Filial- und Clan-Apotheken, sowie dem Versandhandel wird durch eine separate KAM-Organisation Rechnung getragen. In 2022 sind weitere strukturelle Anpassungen im Vertrieb geplant.

Wie schätzen Sie das ein, Herr Müller?
Michael Müller: Das Key Account Management gewinnt gegenüber dem tendenziell rückläufigen Außendienst grundsätzlich weiter an Bedeutung, während sinnvolle Anpassungen im Innendienst noch nicht erfolgt sind, was sich in der Projektarbeit des IVMP als Defizit in der Praxis absolut bestätigt. Grundsätzlich gibt es aber keine einheitliche Entwicklung, sondern durchaus – wahrscheinlich in Abhängigkeit von der Ausgangssituation der Unternehmen – unterschiedliche Strategien.

Welches Ergebnis hat Sie dabei am meisten „überrascht“? Oder waren die Ergebnisse Ihrer Erfahrung nach in dieser Form „vorhersehbar“?
Michael Müller: Nicht erwartet haben wir, dass 37 Prozent der befragten Unternehmen eine steigende Bedeutung des klassischen Hineinverkaufens von Ware in die Apotheke durch den Außendienst erwarten. Dabei lauten die Argumente wie seit Jahrzehnten: „Warendruck sorgt für Abverkauf und blockiert Platz für den Wettbewerb“. Eher zu erwarten war, dass 40 Prozent der Befragten eine sinkende Bedeutung attestieren.

Hat Corona bestimmte Entwicklungen, die es im Vertrieb davor schon gab, einfach nur sehr viel mehr beschleunigt oder hat die Pandemie auch grundsätzliche Marktveränderungen angestoßen?
Thomas Pielenhofer: Das Ausbleiben der Erkältungs- und Grippewelle im ersten Corona-Jahr war für die Apotheken mit deutlichen Umsatzrückgängen verbunden, die nur teilweise durch andere Warenkategorien, wie z.B. Desinfektion, kompensiert werden konnten. Industrieunternehmen mit dem Schwerpunkt auf Erkältungspräparate hatten im Zuge dessen ebenfalls Umsatz- und Ertragsprobleme und mussten Kosten senken. Corona hat die notwendigen strukturellen Anpassungen des OTC-Vertriebs zur Kostensenkung also weiter beschleunigt. Durch Corona-bedingte Kontaktbeschränkungen wurde mehr im Home-Office gearbeitet in Verbindung mit der stärkeren Nutzung digitaler Kommunikationskanäle (Online/Remote), speziell im KAM-/Großkundengeschäft. Was noch vor über einem Jahr als starke Veränderung in der Vertriebsarbeit galt, ist inzwischen in vielen Unternehmen in der Großkundenbetreuung zur Regel geworden. Corona hat stark beschleunigt, dass ein stärkeres Bewusstsein in den Unternehmen existiert, die Qualität der Vertriebsteams auszubauen und die verkäuferischen Skills des Außendienstes sehr genau unter die Lupe zu nehmen und zu verbessern.
Michael Müller: Das kann ich nur unterstreichen – die Corona-Pandemie ist ein Beschleuniger und Katalysator von Entwicklungen, insbesondere im Hinblick auf die Remote-Zusammenarbeit im Key Account Management.

Ein wichtiges Ergebnis Ihrer Umfrage zeigt, dass einerseits der Vertrieb reduziert wird, aber gleichzeitig Key Account Organisationen weiter ausgebaut werden. Was heißt das konkret für die Vertriebsstrukturen in den Unternehmen?
Thomas Pielenhofer: Erstmal müssen wir unterscheiden zwischen richtigem Key Account Management – also Großhandel, Versandhandel, Apothekenkooperationen – und einer reinen Kundenbetreuung von (Top-)Apotheken. Die Bedeutung potenzialstarker A- und B-Apotheken und des Versandhandels spiegelt sich auch in dem Ausbau des KAM wider. Wichtig: Eine effektiv und effizient arbeitende Key Account Organisation benötigt professionelle Unterstützung von den am Vermarktungsprozess beteiligten Schnittstellen. Marketing, Trade Marketing, Vertriebsinnendienst, Außendienst und Key Account Management müssen enger zusammenarbeiten. Die Grenzen zwischen den Abteilungen verschwinden mehr und mehr, Teamwork ist gefragt im Hinblick auf die Entwicklung und Umsetzung der Vermarktungsinstrumente an den „Customer Touchpoints“.
Das Anforderungsprofil an die Vertriebsmitarbeiter steigt damit ebenfalls. Studien, das heißt Befragungen von Apothekern, des IVMP belegen, dass der OTC-Außendienst im Vergleich zu Unternehmen aus anderen Branchen (FMCG) noch hinterher hinkt, was den Nutzen und den Mehrwert des Außendienstbesuchs für den Apotheker betrifft. Circa jeder 3. Außendienst-Besuch der Industrie wird vom Apotheker ohne konkreten Mehrwert eingeschätzt.
Michael Müller: Als Folge für die Vertriebsstruktur sehe ich, dass ein kritischeres Hinterfragen des „return on invest“ im Außendienst eingesetzt hat. „Was bringt uns der Mitarbeiter an zusätzlichem Marktanteil/Umsatz/Ergebnis? Was verlieren wir, wenn wir die Außendienstorganisation – i.d.R. der mit Abstand teuerste Baustein im Vertriebsinstrumentarium – reduzieren? Daraus ergeben sich neue Anforderungen, nämlich die Professionalisierung des nationalen und regionalen Key-Account-Managements sowie der Ausbau leistungsfähiger CRM-Systeme zur Vertriebsplanung, -steuerung und -kontrolle. In großen Teilen der Branche sehen wir einen Nachholbedarf in den genannten Bereichen.

Und welche Konsequenzen gehen damit einher für die Apotheken?
Thomas Pielenhofer: Die vertriebliche Betreuung der Apotheken durch den OTC-Außendienst wird sich stärker auf die A- und B-Apotheken konzentrieren. Leistung/Gegenleistung und die Marktanteile der Produkte geraten mehr und mehr in den Fokus. Weniger Apotheken, mehr Frequenz. Grundlage hierfür ist ein potenzialorientiertes Targeting, d.h. die Klassifikation und Segmentierung von Apotheken anhand quantitativer und qualitativer Kriterien wie u.a. Umsatz, Größe und Lage der Apotheke, Vermarktungskompetenz der Apotheke, Kaufkraft im Umfeld der Apotheke etc. Hier besteht aus unserer Sicht ebenfalls vielfach noch Nachholbedarf.
Michael Müller: Konsequenzen sind eine stärkere Fokussierung der Außendienstbetreuung auf A- und B-Apotheken, weniger und selektivere Außendienstbesuche in C-Apotheken, zunehmende Bedeutung der Mitgliedschaft einer Apotheke in leistungsfähigen Ketten, Kooperationen und Verbünden. Damit einher geht die Bündelung von Marktmacht und Support für nicht-apothekentypische Aufgaben, wie Marketing etc.

Ein interessanter Aspekt Ihrer Befragung: Beim Außendienst und KAM sind Veränderungen angedacht – ausgenommen von den Veränderungen ist zum großen Teil der Vertriebsinnendienst. Wie passen diese Entwicklungen zusammen? Wäre es nicht sinnvoller, gerade jetzt diese Veränderungen zu nutzen, um das gesamte Vertriebs-Modell den neuen Anforderungen anzupassen?
Thomas Pielenhofer: In der Tat, der Vertriebsinnendienst (VID) ist derzeit von Veränderungen noch weitgehend verschont. Hier liegen noch erhebliche Effizienzreserven, die von der Industrie vielfach unterschätzt werden, gerade was die Abläufe und die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen betrifft. Der Vertriebsinnendienst führt vielfach noch ein „Schattendasein“ im Vergleich zu Außendienst und KAM. Positiv: Corona hat in einigen Unternehmen zwangsläufig zum „Umdenken“ geführt und der VID wurde aktiver in die Kundenbetreuung mit einbezogen. Hier kann von Unternehmen aus dem Mass Market sehr viel gelernt werden.
Michael Müller: Die notwendigen Anpassungen im Innendienst hinken – wie auch in anderen Branchen üblich – der Entwicklung im KAM und Außendienst hinterher. Wesentlicher Grund: Augenscheinliche und für das Management leicht nachvollziehbare Veränderungen im KAM und Außendienst stehen eher im Fokus, während Struktur- und Prozessoptimierungen im Innendienst eher „unter dem Radar“ der Führung liegen. Dadurch wird der Bedeutung des Innendienstes für die Effizienz der Apothekenbearbeitung derzeit noch nicht ausreichend Rechnung getragen.

Wie verändern sich die Aufgaben des Apothekenvertriebs in den kommenden Jahren? Welche Aufgaben sind für den zukünftigen Vertriebs-Erfolg wichtig? Was erwarten bzw. brauchen die Apotheken?
Thomas Pielenhofer: Bei den Aufgaben des Healthcare- Außendienstes zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Das Aufgabenprofil und die Marktbearbeitung wird sich vom rein traditionellen „Hineinverkäufer“ und „Auftragsabholer“ zum Vermarktungs-Experten mit Mehrwert für den Apotheker entwickeln müssen. Die Unterstützung der Apotheken beim Abverkauf wird zum zentralen Wettbewerbs- und Differenzierungsfaktor für den Außendienst. Dies bedeutet, weg von der „Gießkanne“ hin zu individuellen Vermarktungs- und POS-Konzepten in Abhängigkeit von Lage, Größe, Struktur, Positionierung und Sortimentskompetenz der Apotheke sowie im Hinblick auf das Käuferprofil. Die Apotheken brauchen Aktionen, die ihnen Kunden bringen. Der Vertrieb braucht umfassendes Know-how, angefangen vom Aktionsmanagement, über Handels-BWL-Kenntnisse bis hin zu Shopper Marketing Wissen.
Michael Müller: Der Apothekenaußendienst der Zukunft muss sich stärker auf die individuellen Anforderungen der Apotheken ausrichten und weniger sein vertriebliches „Standardprogramm“ in allen Apotheken gleichermaßen abspulen. Das KAM muss sich professionalisieren, um sich gegenüber der zunehmenden Qualität im Einkauf der großen Ketten, Kooperationen und Großhändler – unter anderem durch die bewusste Installation erfahrener Manager und Einkäufer aus Branchen mit hohem Verdrängungswettbewerb, wie z.B. dem LEH – zu behaupten. Die Apotheke erwartet, dass der Vertrieb ihre Bedürfnisse versteht und konkrete Lösungen und Unterstützung anbietet. Hierzu können gemeinsame, mittel- und langfristige Entwicklungsprogramme zählen, die Fragen thematisieren wie: „Wo wollen wir gemeinsam hin? Wie wollen wir das erreichen? Was können wir als Industrie dazu beitragen und welchen Beitrag muss die Apotheke für den Erfolg leisten?“.

Welche Bausteine braucht es, um die Vertriebsaktivitäten bei den Apotheken zu optimieren? Welche Stellschrauben müssen heute gedreht werden, um auch in Zukunft relevant im Markt bzw. den Apotheken zu sein? Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass sich Apotheken und Unternehmen eventuell gemeinsam weiter verändern müssen, um bei den Kunden relevant zu bleiben?
Thomas Pielenhofer: Die Apotheke besitzt – im Gegensatz zu vielen anderen Vertriebskanälen – den großen Vorteil des persönlichen direkten Kontaktes zum Endkunden bzw. Shopper. Dies bedeutet, die Apotheke hat deutlich mehr Einflussmöglichkeiten auf die Kaufentscheidung des Apothekenkunden. Hier kann die Industrie mit Marktforschungs-Analysen und Informationen zum Käuferverhalten den Apotheker in seinen Beratungs- und Vermarktungsaktivitäten sinnvoll unterstützen. Der Endkunde/Patient nutzt die Apotheke je nach Krankheitsbild auch als Arztersatz. Insofern spielt die Beziehung zum Apothekenkunden und umgekehrt das Vertrauen des Kunden zum Apothekenteam selbst ein große Rolle.
Michael Müller: Der Online-Kanal ist ein inzwischen völlig etablierter Absatzkanal für Medikamente und insbesondere CHC-Produkte, der – unabhängig von allen Bemühungen der stationären Apotheken – weiter an Bedeutung gewinnen wird. Ein Kampf gegen den Online-Kanal ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Apotheken stehen daher immer stärker im direkten Wettbewerb um die Kunden vor Ort. Hier spielen detaillierte Kenntnisse der Bedürfnisse der Kunden und dauernde Kundenbindungsmaßnahmen, eine wichtige Rolle. Besonders wichtig: Fachlich und – in Bezug auf CHC-Produkte – verkäuferisch geschultes Apothekenpersonal.

Spielt auch die Betreuung von Online-Apotheken eine zunehmend wichtige Rolle? Oder liegt der Fokus „nur“ auf dem stationären Apothekenbereich und deren Online-Bereiche?
Thomas Pielenhofer: Der Online-Handel ist inzwischen ein etablierter Vertriebskanal und für die Consumer der Healthcare-Branche ein bedeutender „Spieler“. Insofern muss auch seitens der Industrie eine professionelle Betreuung – in der Regel durch das KAM der Industrie – gewährleistet sein. Der Online-Handel bietet dem Endkunden hauptsächlich zwei entscheidende Vorteile: Bequemer Einkauf „per Mouse-Klick“ und deutliche Preisvorteile im Vergleich zu den regulären VK-Preisen in der Apotheke. Die OTC-Industrie ist gefordert, ihre Preis- und Konditionenstrategie über die verschiedenen Kanäle zu harmonisieren, um das Marken-
image ihrer Produkte nicht durch Dauerniedrigpreise im Online-Handel zu gefährden und Kunden in den Online-Kanal zu treiben. Bei Produkten, die weniger beratungsintensiv und mehr „fast moving consumer goods“ sind, ist die Abwanderungsgefahr in den Online-Kanal besonders hoch.
Michael Müller: Der CHC-Vertrieb ist ein „high margin business“, bei dem die Umgehung einer Handelsstufe – der Apotheke – für den Hersteller, unter reinen Ergebnisgesichtspunkten, besonders attraktiv ist. Sofern es keine unerwarteten regulatorischen Eingriffe gibt, wird der Online-Kanal weiter an Bedeutung zunehmen. Dies gilt nicht nur für die Nutzung durch Digital Natives, sondern für fast alle Altersgruppen. Die klare Definition der Rolle des Online-Kanals für ein Unternehmen und sein Sortiment sind im Rahmen einer Multichannel- oder Omnichannel-Strategie zukünftig essenziell!

Ihre Zukunftsprognose: Wie sieht der Apothekenvertrieb in 5 Jahren aus?
Thomas Pielenhofer: Weiter rückläufige Entwicklung der stationären Apotheken bei weiter steigender Bedeutung des Versandhandels. Zunehmende „Filialisierung“ in der Apothekenlandschaft durch „Clan-Apotheken“ sowie durch Einkaufskooperationen von Apotheken. Die Verhandlungsmacht der erfolgreichen Apotheken sowie der Preis- und Konditionendruck gegenüber der Industrie steigt. Spannend wird die Frage sein, ob das Mehrbesitz- und Fremdbesitzverbot wie in anderen Ländern irgendwann fallen wird und sich große Online-Händler, wie beispielsweise Amazon, als „Game Changer“ im Pharma-Geschäft etablieren.
Michael Müller: Kurz zusammengefasst – es wird mehr Marktkonzentration mit mehr Online geben, mehr Key Account Management sowie eine rückläufige Bedeutung und Anzahl der stationären Apotheken.

Herr Pielenhofer und Herr Müller, vielen Dank für Ihre Einschätzungen. <<

Ausgabe 04 / 2022

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