Kleine Helferlein

12.06.2017 10:15
Nach dem Internet der Dinge gilt die Künstliche Intelligenz (KI) als zweitwichtigster technologischer Trend. Das geht aus einer Umfrage von Deloitte unter 3.700 Managern aus aller Welt hervor. Die Pharmamanager gehen allerdings davon aus, dass nur das Internet der Dinge in den nächsten drei bis fünf Jahren an Bedeutung gewinnt, nicht aber die Künstliche Intelligenz. Und irgendwann heißt es dann: Trend verpennt, der Zug ist abgefahren, die Pharmabranche kommt nicht hinterher. Dabei haben Unternehmen heute schon viele Möglichkeiten, sich mit der KI im Rahmen von kleinen Chatbot-Projekten in der Pharmakommunikation vertraut zu machen. Denn auch hier gilt: Wer jetzt nicht übt, der verpasst irgendwann den Anschluss.

>> „Bots sind die neuen Apps“, ließen Ende 2016 gleich mehrere Web-Vordenker verlauten, darunter auch der Microsoft-Chef Satya Nadella. Weil in einem Chatbot eine natürliche, menschliche Konversation viel besser abgebildet sei als in einer App. Einige Marketing-Experten sehen nun den App-Markt gesättigt, die sinkenden Downloadzahlen sprechen aus ihrer Sicht dafür. Angeblich verbleiben die User nun lieber in den ihnen bekannten „Ökosystemen“, dazu gehören die Echtzeit-Chats wie WhatsApp oder der Facebook-Messenger.

Eine Möglichkeit, sich als Unternehmen diesen Trend zunutze zu machen ist die, eigene Bots in die Messengerdienste wie WhatsApp zu integrieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Chatbots an anderen Stellen zu platzieren, im Idealfall dort, wo sich die Zielgruppe befindet. Der Vorteil besteht in beiden Fällen darin, dass mit einer automatisierten Bearbeitung von (An-)Fragen die Kundenservice-Mitarbeiter entlastet werden und der Kunde rund um die Uhr einen virtuellen Ansprechpartner hat.

Das haben einige PR- und Digitalagenturen bereits früh erkannt und sich mit dem Einsatz von Chatbots auseinandergesetzt. Befragt hat „Pharma Relations“ zwei Agenturen, die bereits Chatbot-Pilotprojekte in der Healthcare-Kommunikation testen und eine Agentur, die zwar Pharmakunden hat, aber noch keine Bot-Projekte für sie umsetzt – wohl aber für andere Branchen. Finc3 heißt die Agentur aus Hamburg. Ihr Geschäftsführer Bjoern Sjut erzählt, dass sein Team sich bereits seit drei Jahren mit Bots beschäftigt. Im Unternehmensbereich CRM-Beratung und -Implementierung geht es für seine Kunden um die Frage, wie der Umsatz aus den Einnahmen bei den Bestandskunden schneller gesteigert werden kann. Ein sinnvoller CRM-Mix besteht aus seiner Sicht nicht nur aus E-Mail, Direct Mail und Telekommunikation. „Messenger Plattformen gehören dazu“, konstatiert Sjut. Und spätestens mit den Fragen „Wie kann man diese Plattformen effizient bespielen?“ und „Wie muss das dem Nutzer präsentiert werden?“ lande man bei den Automatisierungsszenarien, beziehungsweise bei den Bots.

„Im Prinzip geht es immer um die Frage: Was muss jemand heute manuell immer wieder machen, und wie kann man so ein Szenario automatisieren?“, führt der Finc3-Geschäftsführer aus und setzt fort: „Grundsätzlich gilt – je standardisierter die Fragen und die Antworten sind, desto besser lässt sich dieser Bereich mit Bots abdecken.“ Die Grenze von Chatbots sieht er dort verlaufen, wo komplexe Inhalte wie etwa Studienergebnisse vermittelt werden sollen: „In solchen Fällen ist E-Mail oder Post Mailing immer noch das besser Mittel.“

Patientenbetreuung mit einem Chatbot

Standardisierte Fragen und Antworten – die gibt es auch in der Pharmakommunikation zuhauf: zwischen dem Pharma-Außendienst und den Ärzten, oder wenn ein Patient im Internet nach Gesundheitsinformationen sucht oder sich bei einer Krankenkasse nach bestimmten Leistungen erkundigt. Viele Szenarien sind hier denkbar, aber wie sieht es derzeit in der Praxis aus? Im englischsprachigen Raum und in China gibt es bereits einige Health-Bots, aber auch hierzulande treibt der Bots-Trend erste Blüten (s. Kasten unten).

Michael Grüterich, Geschäftsführer der TWT Digital Health GmbH, berichtet darüber hinaus von einem geplanten Projekt zum Patient Engagement im Rahmen der Operationsvorbereitung. „Hier spielen Bots neben anderen Services und Kanälen eine wichtige Rolle“, erklärt er. Krankenhäuser können in diesem Rahmen als Mehrwert Programme anbieten, mit denen sich Patienten auf Operationen vorbereiten: mit körperlichen Übungen etwa oder auch mental durch Angstbewältigung. „Nach der Operation erhalten sie zudem eine Nachbetreuung, die einerseits zur Qualitätssicherung des Krankenhauses beiträgt und andererseits die Fragen des Patienten oder mögliche Komplikationen schnell adressieren kann“, so Grüterich.

Letztendlich stünden die Krankenhäuser in der Gesundheitslandschaft isoliert dar, führt er weiter aus. Der Patient befinde sich nur während der Behandlung im Krankenhaus, davor oder danach gebe es keine Berührungspunkte. Der Ansatz bestehe hier darin, nicht nur eine Operation zu bieten, sondern ein ganzheitliches Patient-Engagement-Konzept, das auf viele pharmakologische Therapien übertragbar ist.

An dieser Stelle habe TWT „einen echten Need“ auf der Seite der Patienten ausgemacht. Auf der Strecke zwischen der Verordnung der Operation und dem Termin selbst würde der Patient allein gelassen, gleichzeitig habe er aber ganz viele Fragen und Probleme. „Und diesen Service kann man sehr gut mit einem Chatbot abbilden“, ist Grüterich überzeugt. Dadurch entstehe eine Kommunikationsstrecke, bei der der Patient Fragen posten kann, Anstöße bekommt und sich betreut fühlt – in den Wochen vor und nach dem Eingriff. Der Service befindet sich gerade in der Entwicklung, erste Pilotprojekte gehen im Sommer an den Start.

Doch wie erfährt der Patient davon? Bei dieser Frage spielt der Arzt eine entscheidende Rolle, denn dieser empfiehlt den Service dem Patienten. Das ganze Angebot besteht wiederum aus mehreren Bausteinen. Es ist als Programm konzipiert und beinhaltet die Kommunikation mit einem Chatbot, eine Online-Plattform sowie eine App und einen involvierten Callcenter-Service. Dieser springt dann ein, wenn die Grenze der Kommunikation mit einem Chatbot erreicht ist. Versteht der Chatbot beispielsweise nicht, was der Patient ihn fragt, wird der Patient gebeten, in dem Callcenter anzurufen.

„Ganz generell sollte man, wenn man einen Bot aufsetzt, nicht so tun wollen, als hätte man es hier mit einem Menschen zu tun“, empfiehlt Grüterich. Stattdessen sollte deutlich gemacht werden, dass man mit einem Bot kommuniziert der versucht zu helfen, aber manche Erwartungen eben auch nicht erfüllen kann. Denn wirklich intelligent im Sinne Künstlicher Intelligenz, die stets dazulernt, seien die derzeitigen Chatbots noch nicht.

Was für Ärzte

Das zweite Beispiel für einen Chatbot in der Gesundheitskommunikation stammt von antwerpes. „Im Pharmabereich ist der Rund-um-die-Uhr-Dialog, etwa zwischen den Ärzten und der Pharmaindustrie, ein wichtiges Thema“, schickt Thilo Kölzer, Vorstand der antwerpes ag, vorweg. Persönlich könne man diesen Service aber nicht immer abdecken. Und wenn der Arzt abends um 22.00 Uhr eine Fachfrage stellen möchte, sei niemand mehr da. Um dieses Service-Defizit auszugleichen könnte man Chatbots nutzen, ist Kölzer überzeugt. Die Bots werden dabei so trainiert, dass sie ein Fachgespräch führen können.

So, wie in dem Projekt von antwerpes, das nach der Klärung von Pharmakovigilanzfragen demnächst an den Start gehen soll. Für die Indikation Diabetes hat das Unternehmen einen Chatbot programmiert, der zu einem speziellen Diabetes-Aspekt mit Ärzten auf DocCheck interagieren soll. Anbieter des Chatbots ist ein Hersteller von Diabetes-Medikamenten, der auch als solcher in Erscheinung treten wird. Mit diesem Projekt wolle antwerpes die Chatbot-Kommunikation auf DocCheck testen, so Kölzer.

Guter Bot, schlechter Bot

Unbestritten, Beispiele für schlechte Bots gibt es viele, so wie den CSU-Bot Leo, der lediglich vordefinierte Antworten abspult, anstatt wirklich intelligent auf Fragen zu reagieren.

Worauf kommt es also bei der Entwicklung eines guten Chatbots an? Geht es nach Grüterich, sollte man sich zunächst „eine ganz banale Frage“ stellen, nämlich: Hat meine Zielgruppe die richtige Hard- und Software dafür und nutzt sie diese? Je nach Alter der Zielgruppe müsse man sich diese Frage genau überlegen. Darüber hinaus empfiehlt der Agenturchef, sich mit dem Thema Datenschutz intensiv zu befassen und mit der Frage, wem die Daten gehören. „Wenn ich etwa den Facebook-Messenger einsetze, sollte ich genau wissen, was da mit den Daten passiert“, sagt er. Da Facebook aber vieles nicht bekannt gebe, müsse das Unternehmen abwägen, ob das Bekannte oder auch das Unbekannte im Rahmen der Nutzung vertretbar ist oder nicht.

Darüber hinaus müsse man sich als Anbieter von einem Chatbot fragen, ob man mit dem Rückfluss der Daten überhaupt etwas anfangen kann. Sprich:
• Bin ich darauf vorbereitet, dass da eine Menge an Daten zurückkommt?
• Und bin ich in der Lage, aus den Daten Rückschlüsse für das Marketing abzuleiten?

Jetzt schon sei das Marketing stärker datengetrieben als früher, stellt Grüterich fest, „und es wird noch stärker datengetrieben sein müssen“. Die Unternehmen täten seiner Ansicht nach gut daran, sich das Know-how anzueignen oder externe Experten zu engagieren, um mit diesen Daten auch umgehen zu können und von den gewonnen Insights zu profitieren. „Hier sehen wir eine Riesenbaustelle“, sagt er, nur manche Unternehmen hätten bereits erkannt, dass das Berufsbild des Data Analysts eine große Rolle im Marketing spielt.
Was die Entwicklung von Chatbots angeht, so handele es sich hier um „eine besondere Disziplin der Kommunikation“. Hier werde das Know-how benötigt, um in Dialogen und Skripten zu denken, weiß Grüterich aus Erfahrung.

Alles in allem sehen die Agenturexperten aber noch großes Potenzial in den Chatbots. „Von Apotheken, die heute schon Kundenrezepte per WhatsApp erhalten, bis hin zu Chatbot-basierten Patienteninformationssystemen, die die Expertise von Healthcare-Professionals mit Künstlicher Intelligenz verbinden: Die Geschwindigkeit, mit der neue moderne Kommunikationssysteme Einzug in unseren Alltag und auch in die therapeutische Praxis halten, beeindruckt“, sagt Bianca Eichner, Geschäftsführerin von WE Communications. Sie stellt aber auch klar: „Allerdings ist uns bei WE wichtig, dass neue Technologien nicht um ihrer selbst willen implementiert werden.“ Jeder technologische Fortschritt müsse sich der entscheidenden Frage unterordnen: „Hilft dieses neue Tool dem Patienten oder dem Arzt wirklich?“ <<

Beispiele für Healthcare-Bots

Während im deutschsprachigen Raum noch kaum Healthcare-Bots zu finden sind, gibt es bereits Pionier-Anwendungen aus den USA, Großbritannien und China. Ihnen gemeinsam ist, dass es sich um Bots handelt, die dem Patienten eine erste Orientierung bei bestimmten Symptomen bieten.

• Chatbot „Melody“: 2016 vom Suchmaschinenbetreiber Baidu in China gelauncht ist dieser Chatbot in die „Doctor“-App des Unternehmens integriert. Über die App können User Kontakt zu Ärzten aufnehmen, Fragen stellen und Termine vereinbaren. Der KI-Chatbot befragt den Patienten nach bestimmten Symptomen und deren Dauer. „Melody“ geht auf bestimmte Schlüsselbegriffe in der Frage ein und lernt mit jedem neuen Chat hinzu. Andrew Ng, Chief Scientist bei Baidu, sieht in dem Chatbot „erst den Anfang einer KI-getriebenen Transformation der Healthcare-Branche“.
• AOK Messenger Bot „AMG“: Eines der wenigen Beispiele aus Deutschland. Im Rahmen von „Abnehmen mit Genuss“ informiert der Bot abnehmwillige Teilnehmer über das Programm, schickt News und passende Rezepte.
• Florence ist ein Healthcare-Assistent-Bot und ein spannendes Projekt aus Deutschland, das sich noch in der Test- und Entwicklungsphase befindet. Bislang gibt es nur eine englische Version, der Bot ist über den Facebook und Skype Messenger verfügbar. Florence erinnert an Medikamenteneinnahme, trackt Werte wie Blutzucker, Gewicht und Herzfrequenz und checkt Symptome auf Basis von geprüften medizinischen Inhalten aus der Schweizer Datenbank ApiMedic, die auch von Krankenhäusern genutzt wird. Darüber hinaus können auch Ärzte in der Nähe gesucht werden. Bislang betrachtet der Entwickler David Hawig den Chatbot als sein Hobby-Projekt, er plant aber auch eine deutschsprachige Version von „Florence“. Link: https://florence.chat/
• Your.MD ist ein Personal Health Assistant auf KI-Basis aus Großbritannien. User könnnen den Chatbot zu Gesundheitsfragen oder etwa bestimmten Symptomen konsultieren. Die medizinsichen Informationen werden im Rahmen der Partnerschaft mit dem UK-Gesundheitsdienst NHS geprüft und zertifiziert. Der Chatbot ist auf den großen Messaging-Plattformen (Facebook oder Telegram)oder als einzelne App verfügbar.
• Auch Microsoft hat eine KI-Chatbot-Technologie für die Gesundheitsbranche im Rahmen der Health-Data-Plattform „HealthVault“ entwickelt uind bietet seinen „Partnern“ einen „Health bot“ an. Derzeit soll unter anderem MDLIVE, ein Anbieter von virtuellen Arztsprechstunden, bereits den Dienst nutzen, um Patienten vor der Videosprechstunde mit dem Arzt zu befragen.
• HealthTap – besteht aus einer App für Ärzte und einer App für Patienten; ist zugänglich in und außerhalb der USA. „Dr. A.I.“ (für Artificial Intelligence) ist ein Arzt-Bot, er beantwortet allgemeine Fragen zu Symptomen und Indikationen. Die App enthält auch die Möglichkeit, spezielle Fragen von echten Ärzten beantworten zu lassen. Angeschlossen sind 100.000 Ärzte, die die Frage innerhalb eines Tages be­­antworten sollen.

Ausgabe 06 / 2017