Nicht mehr wegzudenken aus dem Instrumentarium der PR ist die Kommunikation über Social Media. Wobei sie sich bei der Zielgruppe der Patienten/Endverbraucher stark ausdifferenziert. Je nach Zielgruppe und strategischem Ansatz („Social first oder nicht“) müssten alle verfügbaren Kanäle individuell und zielgruppenspezifisch ausgewählt und bedient werden, sagt Franziska Thiele (DP-Medsystems). Jeder Kanal habe seine eigenen kommunikativen Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf Sprache, Tonalität, Bildsprache und Bewegtbild. Für eine erfolgreiche Umsetzung seien daher ein agiles Content Marketing und spezielle Reporting-Systeme unverzichtbar.

Facebook und YouTube sind Standards

Sehr ähnlich bewerten Dirk Fischer (Dorothea Küsters Life Science Communications) und Dr. Torsten Rothärmel (Weber Shandwick) die verschiedenen Kanäle. Für Fischer sollten Facebook und YouTube als reichweitenstärkste Kanäle zu den Standards gehören, „jedoch mit Ergänzungen, abhängig von Zielgruppe und Content“. Facebook sei vor allem bei „älteren“ Personen Ü30 relevant. Im Fall von YouTube unterstreicht Rothärmel, dass die Plattform von fast allen Zielgruppen als Suchmaschine genutzt werde. Instagram sei ebenfalls ein „Muss“, und auch für Fischer ist dieser Kanal wichtig, um konsumfreudige Menschen unter 30 „unmittelbar und spontan zu inspirieren“. Hinzu komme Pinterest für eher kreative Inhalte und TikTok für jüngere und vor allem weibliche Zielgruppen der Generation Z. Für Rothärmel müssen aber immer „auch Paid-Maßnahmen mitgedacht werden, denn organischer Content alleine reicht nicht aus, die gewünschten Reichweiten zu erzielen“.

Die Wahl des Kanals hängt für Julia Bressem (FleishmanHillard) nur von einer Frage ab: „Welche Story wollen Sie erzählen?“ Davon ausgehend seien Formate und Kanäle festzulegen. Diese würden zwar nach Alters- und Zielgruppe variieren, aber das Augenmerk würde sie aktuell auf Instagram, YouTube und Podcasts legen, bei Jüngeren auch auf TikTok: „Oft erzielt ein Mix das beste Ergebnis.“ Nicole Tappée nennt neben den gängigen Kanälen noch das Thema Medfluencer und Patienten-Influencer, die in der Laienkommunikation eine immer größere Rolle spielten und damit auch deren Plattformen – „das kann zum Beispiel auch mal Twitch sein“.

Für Nils Giese (Edelman) ist eine „Krux“, dass die Menschen laut aktuellem Edelman Trust Barometer (siehe auch S. 18/19) zunehmend eigene Recherchen bei Gesundheitsfragen anstellen. Mehr als ein Drittel der jüngeren Befragten glaube sogar, so eine ähnliche Expertise erlangen zu können wie Ärzte. Damit die Stimmen von Experten auch in Social Media Gehör fänden und Falschinformationen Einhalt geboten werde, müssten Patientenbeziehungen vertieft und der Arzt als gleichberechtigter Ansprechpartner wahrgenommen werden. „Dies sollten Unternehmen und Experten ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass nur richtige Information Einzug in die Kommunikation halten. Ist dies gewährleistet, kann Social Media User in ihrer alltäglichen Lebensrealität erreichen“, so Giese.

LinkedIn ist sehr relevant

In der Fachkommunikation sei LinkedIn praktisch unverzichtbar, aber natürlich nicht der einzige Social-Media-Kanal, der zur Verfügung steht. „LinkedIn ist extrem relevant in der Ausspielung von wissenschaftlichen Inhalten an die Fachzielgruppe. Aber auch Twitter bleibt trotz ‚Faktor Musk‘ wichtig“, sagt Nicole Tappée. LinkedIn habe stark an Bedeutung gewonnen, sagt auch Nils Giese, „insbesondere um Reichweite und KOL-Management zu treiben“. Er stellt aber auch fest, dass die Verzahnung von On- und Offline-Angeboten bei den gängigen Fachverlagen immer besser und integrierter werde. Für Dr. Torsten Rothärmel ist LinkedIn ein wichtiger Kanal, um thematische Aufmerksamkeit zu generieren, sich mit inhaltlicher Expertise zu positionieren und auf unternehmenseigene Informationshubs zu verweisen. „Vergessen sollte man aber auch nicht, dass HCPs als Privatpersonen auch die gängigen Social-Media-Kanäle ‚konsumieren‘“, betont Rothärmel.

Auch in der Fachkommunikation stelle sich zunächst die Frage, welche Inhalte vermittelt werden sollen, betont Bressem. Print sei entgegen allen „Unkenrufen“ nicht wegzudenken. Aber auch Online-Communities hätten sich in den letzten Jahren stark etabliert, da sie die Chance zur Vernetzung und zum Austausch bieten. Sie sieht ebenfalls LinkedIn hier weit vorne. Wichtig dabei: „Nicht einfach wild nach Lust und Laune posten, sondern langfristig denken – eine strategische Planung zugrunde legen, die Plattform in einen sinnvollen Kommunikationsmix integrieren und vor allem nicht nur senden, sondern aktiv zur Interaktion mit der Zielgruppe nutzen.“

Vor allem YouTube stehe bei Ärzten hoch im Kurs, merkt Dirk Fischer an. Im Marketing-Funnel spielten YouTube, Facebook, Instagram und bei gesundheitspolitischen Themen auch Twitter eher eine wichtige Rolle für Awareness- und Traffic-Ziele. Bei der Lead-Generierung habe LinkedIn deutliche Vorteile. „Vor allem Mehrwert-Content wie Studienzusammenfassungen, Whitepaper und Patientenmaterialien erzielen Conversions, beispielsweise in Form von Registrierungen für den Download entsprechender Inhalte.“ LinkedIn erlaube eine spitze Selektion von Teilzielgruppen aus derzeit etwa 70.000 Ärztinnen und Ärzten, die das Portal nutzen, bleibe allerdings nach wie vor deutlich hinter der Bedeutung reiner Ärzte-Plattformen zurück. Auch lohne ein Blick auf die Entwicklung internationaler Plattformen wie auf das Diskussionsportal Sermo oder Figure 1, wo HCPs Bilder und Fallbeispiele posten können, die andere Mediziner wiederum kommentieren.

In der Pharmakommunikation mit Ärzten über Social Media gebe es zwar „vereinzelt“ Erfahrungen, „ein relevanter Kommunikationserfolg ist aber meines Wissens nicht erkennbar“, sagt Franziska Thiele. Sicherlich gebe es auch noch einige Hürden hinsichtlich HWG, Pharmakovigilanz, Compliance, Datenschutz etc. zu nehmen, und die klassischen Formate würden immer noch gut funktionieren. Im Hinblick auf Corporate Communications seitens der Pharmaunternehmen und eine europäische bzw. internationale Ansprache der Zielgruppen könnten aber auch LinkedIn-Lösungen relevant erscheinen. Und: „Die junge Ärztegeneration wird sicherlich ein anderes Kommunikationsverhalten zeigen und das gilt es im Auge zu behalten. Gerade Medical-Education-Formate über YouTube, Streamed Up etc. sind auf dem Vormarsch“, so Thiele.

Diskurs zu KI ist wichtig

KI-basierte Software, insbesondere ChatGPT, war zuletzt in aller Munde. Gibt es dazu bereits Erfahrungen in den PR-Agenturen? Bei welchen Tätigkeiten bzw. Aufgaben kann ein Einsatz sinnvoll sein und bei welchen ist er abzulehnen? Können KI-basierte Systeme vielleicht den Arbeitskräftemangel, der bereits im vergangenen Jahr anlässlich des Rankings bei uns Thema war, zumindest teilweise kompensieren?

Der Diskurs darüber, was KI darf und in welchen Bereichen sie sinnvoll helfen kann, sei wichtig, betont Nils Giese. „KI darf zu keiner Zeit eingesetzt werden, um über menschliche Lebensschicksale zu entscheiden – weder gesundheitlich noch finanziell oder juristisch.“ In Kommunikation und Marketing könnten KI-basierte Technologien aber bei der Personalisierung von E-Mail-Kampagnen, der Erstellung von Website-Inhalten oder der Automatisierung von Prozessen hilfreich sein. „In erster Linie können sie Vorteile bei wiederkehrenden Routinearbeiten bringen“, so Giese – auch in der Unternehmensorganisation und Personalentwicklung. Wichtig sei jedoch, dass dies nicht ohne menschliche Betreuung ablaufe, um fehlerhafte Interpretationen von Daten zu vermeiden.

Dirk Fischer sagt, „natürlich“ habe man schon mit ChatGPT „gespielt“ – schon alleine um zu wissen, was alles möglich ist. Komplexe Fachtexte für Healthcare Professionals oder Fachzeitschriften ließen sich damit aber noch nicht erstellen. „Es braucht noch den Menschen und journalistisch versierten Geist – zumal wir in der Regel jeden Satz mit einer Quelle belegen“, so Fischer. In anderen Bereichen sei die KI aber beeindruckend gut, liefere Textbausteine oder unterstütze bei der Gliederung. Auch Franziska Thiele ist der Meinung, gerade in der medizinischen Kommunikation, wo es um transparente Referenzierung und höchste Qualität der Inhalte gehe, müsse man noch abwarten. „Aber als Ideen- und Impulsgeber können auch wir diese Systeme nutzen und uns textlich und inhaltlich inspirieren lassen.“ Nicole Tappée berichtet, Text- und Designvorlagen sowie entsprechende Inspiration seien aktuell die Hauptanwendung von KI in ihrer Agentur. Aber sie sehe in Zukunft nur wenige Felder, in denen KI nicht unterstützen werde. Damit einhergehen würden dann auch neue Job-Beschreibungen, und das Skill-Set werde sich anpassen müssen.

„Human Check“ ist unerlässlich

Der Umgang mit KI-basierter Software werde intensiv erprobt, berichtet Rothärmel. Die rasante Entwicklung mache es derzeit aber schwierig, mögliche Anwendungsbereiche abschließend zu beschreiben. „Momentan erscheint es interessant, die sich bietenden Möglichkeiten zum Beispiel in den Bereichen Insight Research, Informationskonsolidierung und Ideenfindung zu nutzen. Aber auch er betont, der „human check“ sei unerlässlich. Es gebe aber darüber hinaus Bereiche zu bedenken, die erst noch beurteilt werden müssten, wie zum Beispiel Datensicherheit, rechtliche Verbindlichkeiten oder mögliche verzerrte Ergebnisse beziehungsweise die Verstärkung eines möglicherweise vorhandenen Bias.

Sobald etwas Neues auf den Markt kommt, wird es oft entweder verteufelt oder in den Himmel gelobt. Sie bevorzuge es, mit Bedacht an eine solche Sache heranzutreten, sagt Julia Bressem. So müsse zunächst die rechtliche Grundlage geschaffen und mit jeder Entwicklung erneut überprüft werden. Erst dann könne sie sich vorstellen, dass ChatGPT etwa für einen Basistext mit allgemein bekannten Inhalten genutzt werde. „Allerdings sollten auch dann Inhalte nie 1:1 übernommen, sondern immer durch einen Menschen geprüft werden“, ist ihr wichtig. KI werde die PR-Tätigkeit transformieren, aber: „Gesunder Menschenverstand ist nicht ersetzbar.“ Daher müsse man dem akuten Fachkräftemangel mit anderen Lösungen begegnen.

KI-basierte Software werde die Arbeitswelt und das Leben insgesamt revolutionieren, ist Oliver Ehrnstorfer überzeugt. „Ich glaube, außerhalb eines engen Kreises von Spezialisten kann kaum jemand absehen, wie weitreichend dies sein wird – wahrscheinlich haben auch diese Spezialisten nur eine dunkle Ahnung.“ Fäden zusammenzuführen und vernünftige Konzepte zu erstellen sowie die Umsetzung von Projekten inkusive Texterstellung und Redaktion mit Sinn und Verstand werde aber weiterhin Aufgabe menschlicher Beratung sein. Als große Herausforderung dürfte sich seiner Meinung nach die Nachprüfbarkeit von KI-generiertem Content entpuppen – hinsichtlich Richtigkeit und Aktualität. „ChatGPT hängt ja zum Beispiel um ein, zwei Jahre in der Aktualität zurück“, so Ehrnstorfer. „Wenn man dort nach Charles III. fragt, wird man recht naseweis darüber belehrt, dass Queen Elizabeth II. die Königin des Vereinigten Königreichs sei.“