Basierte das Engagement in Sachen Nachhaltigkeit lange auf unternehmerischer Selbstverpflichtung, so sind diese Freiheiten Geschichte und der Gesetzgeber hat mit dem Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetz (LkSG), der EU-Taxonomie oder der CSRD-Berichtspflicht einen obligatorischen Rahmen für Unternehmen vorgegeben. 
So laufen mit zunehmender Dichte auch Nachhaltigkeitsberichte von Pharmaunternehmen ein, wie zum Beispiel von Stada im Dezember 2023. Die unabhängige Agentur Sustainalytics stufte Stada in ihrem Environmental, Social and Governance (ESG)-Risiko-Rating zum ersten Mal als „geringes Risiko“ ein und reihte Stada damit unter die besten sechs Prozent aller Unternehmen der Pharmabranche ein, von denen fast 900 Unternehmen im Hinblick auf ESG-Risiken bewertet wurden. „Stada setzt seit langem auf das Thema Nachhaltigkeit", erklärt Frank Staud, Executive VP Global Communications, Branding & Sponsoring bei Stada. „Dies wurde sehr stark auch von unseren weltweiten Produktionsstätten vorangetrieben, die das Thema auf lokaler Ebene bereits lange forcieren. In Serbien zum Beispiel, wo wir mehr als 3.600 Kolleginnen und Kollegen beschäftigen, wird seit mehr als zehn Jahren ein Nachhaltigkeitsbericht erstellt.“ Ende 2022 hat die Stada Arzneimittel AG dann den ersten globalen Sustainability Report veröffentlicht. Er führt Aktivitäten und Initiativen zusammen, die das Unternehmen weltweit unternimmt, um einen positiven Einfluss auf die Menschen und ihre Gesundheit, die Wirtschaft und die Umwelt zu nehmen. 

Wie organisiert man nachhaltige Struktur- und Prozessveränderungen im Unternehmen?
„Organisatorisch gibt es ein Team, das sich um das Thema Nachhaltigkeit auf globaler Ebene kümmert und eng mit den Kollegen der lokalen Standorte in den verschiedenen Ländern zusammenarbeitet“, sagt Staud. Interne wie auch externe Kommunikation zu diesem Thema sei dahingehend wichtig und sollen weiter ausgebaut werden. „So haben wir 2023 beispielsweise in Ländern wie Serbien und Rumänien die sogenannte Stada Expo gestartet, weitere Länder werden folgen.“ Dabei handelt es sich um eine multimediale Ausstellung, die Menschen vor Ort auf interaktive Weise einen Einblick in Produktionsprozesse in der Pharmaindustrie und speziell bei Stada gewährt. In mehreren, hochmodern ausgestatteten Containern informiert das Unternehmen über die Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit. Im Jahr 2024 soll die Stada Expo auch nach Deutschland kommen.

Achten Sie als Pharmaunternehmen bereits auf Nachhaltigkeitsaspekte bei Agenturen? Staud: „Natürlich ist es uns bei der Auswahl wichtig, dass unsere Partner nachhaltig handeln und dies auch nachweisen können.“ Vor allem komme es dabei auf nachhaltige Materialien und Herstellungsbedingungen an. Auch stehe das Unternehmen zu diesem Thema in engem Kontakt mit Apothekern und beziehe sie bei der Entstehung von Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen mit ein. „Darüber hinaus sind wir Mitglied des UN Global Compact, weshalb uns die Einhaltung der UN-Nachhaltigkeits-Richtlinien bei allen Dienstleistern und Partnern auch ein besonderes Anliegen ist.“ Auf die Frage, ob nachvollziehbar nachhaltige Agenturen einen Wettbewerbsvorteil haben, antwortet Staud: „Wir achten bei der Auswahl von Agenturen gleichermaßen auf Erfahrung, Eignung für die jeweiligen Aufgaben und ein nachhaltiges Handeln. In bestimmten Fällen kann der Aspekt Nachhaltigkeit jedoch den Ausschlag für eine zukünftige Zusammenarbeit geben.“

Diese sind bereits unterwegs. So habe man sich Ziele gesetzt, Programme initiiert und mitunter externe Experten beschafft, um das Gesamtkonstrukt Agentur nachhaltig zu machen. So beispielsweise Pink Carrots, die seit 2021 die Initiative „Pink Goes Green“ mit dem zertifizierten CSR- & ESG-Berater Frank Polz aufgesetzt haben.
 
Kommunikation schafft Orientierung
„Neben der professionellen externen Unterstützung gibt es bei uns ein agenturinternes, interdisziplinäres Core-Team, das sich aktiv dem Thema Nachhaltigkeit widmet, in enger Zusammenarbeit mit besagtem Berater und der Geschäftsführung“, erklärt Stephanie Heuser, Geschäftsführerin bei Pink Carrots. Erste Maßnahmen habe man bereits umgesetzt und konnte dadurch auch schon Etappen-Erfolge feiern. „Das ist für uns essenziell, um das Thema langfristig mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu verfolgen“, so Heuser. „Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist aus unserer Sicht ein individueller Prozess, der zu der jeweiligen Organisation und ihrer Ausrichtung, ihren Zielen passen sollte. Und vor allem zählt hier die auf einen selbst und die eigene Organisation bezogene Frage: Wo stehen wir und was ist uns wofür wichtig?“ So sei die Agentur gerade dabei, klar messbare KPIs für ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. „Auf dem Weg dahin haben wir bereits eine Unternehmens- sowie Umfeldanalyse erstellt, unsere Stakeholder und ihre Bedürfnisse erörtert und priorisiert. Daraus haben wir die für uns wesentlichen Themen und relevanten Hebel abgeleitet.“

Auch die Kommunikation rund um die Nachhaltigkeit beinhalte wichtige Aspekte. Intern fungierten die Mitglieder des Core-Teams als Multiplikatoren, die das Thema in das gesamte Unternehmen tragen, beispielsweise im Rahmen von Lunch&Learn-Sessions. Geplant sei außerdem ein Online-Ideen-Sammelpool, zu dem alle Mitarbeitenden beitragen könnten. Ideen würden dabei „eingereicht“ und vom Core-Team geprüft. So gehe nichts verloren. Aus tragfähigen Ideen würden Mini-Projekte, die wiederum Eingang in die externe Kommunikation finden. Extern sei die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts geplant, „in dem wir transparent über unsere Zielsetzungen und Fortschritte berichten werden. Damit schaffen wir Orientierung nach innen und außen“, erläutert Heuser. 

Auch bei fischerAppelt hat man mit der Agenda N 2020 eine Nachhaltigkeitsinitiative ins Leben gerufen, um sich als Agenturpartner und Arbeitgeber für die Zukunft aufzustellen. „Das Thema Agenda N wird zentral aus einem Sustainability-Team der fischerAppelt AG heraus für alle zugehörigen Agenturen der Gruppe und die einzelnen Standorte verantwortet. Dort gibt es jeweils Agenda-N-Beauftragte, die unsere Vision mittragen und direkte Ansprechpartner im Alltag sind“, erklärt Managing Director Eva Weghmann. Zum Start der Agenda N seien alle Kolleginnen und Kollegen über die Zielsetzung, den Prozess und die Teilziele informiert und aufgerufen worden, sich bei der Umsetzung einzubringen. „Es war uns dabei besonders wichtig, alle Mitarbeitenden mitzunehmen – getreu unserem Motto: mit 1.000 Ideen zu 0 % CO2. Aktuell beraten wir uns monatlich mit der Agenda-N-Crew, wo wir neue Projekte in Angriff nehmen können und wo es noch nicht rund läuft. Dabei hilft uns neben den regelmäßigen Videomeetings auch eine standortübergreifende Chatgruppe“, umreißt Weghmann die Aktivitäten. Die Agentur hat 2023 ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) mit seinen 20 Kriterien – grob unterteilt in die Themenblöcke Strategie, Prozessmanagement, Umwelt und Gesellschaft – biete einen guten Rahmen für den Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung, so Weghmann. 

Sind Zertifikate Pflicht?
„Aktuell haben wir noch keine Zertifizierung im Nachhaltigkeitsbereich. Wir beobachten jedoch die Entwicklungen am Markt sowie die Anforderungen unserer (Pharma-)Kunden, von denen viele in den Anwendungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) fallen. Insgesamt werden Nachhaltigkeitsthemen bei der Auswahl des Agenturpartners immer entscheidender“, teilt Weghmann ihre Erfahrung. Dabei stünden insbesondere Umweltaspekte– allen voran die Reduzierung der CO2-Emissionen – sowie Themen wie Menschenrechte, Diversity & Inclusion im Vordergrund. „Diese Punkte sind auch für uns als Agentur sehr wichtig. Wir treiben sie daher gezielt mit eigener Agenda zum Beispiel in unserem Diversity-Equity-and Inclusion-Team voran. Darüber hinaus treten wir auch verstärkt offiziellen Initiativen und Programmen bei. Zuletzt der Science Based Targets Initiative (SBTi), bei der wir uns dazu verpflichten, wissenschaftsbasierte Klimaziele zu erarbeiten und umzusetzen.“ Die Fortschritte in allen drei Dimensionen, also Ökologie, Ökonomie und Soziales, misst fischerAppelt jährlich mithilfe des EcoVadis-Nachhaltigkeitsratings. „Auch mit einigen unserer Pharma-Kunden teilen wir inzwischen unseren Score über die EcoVadis-Plattform.“

Pain-Themen Pflicht-Reporting und ESG-Rating
Eine interne Kompetenzgruppe Nachhaltigkeit/ESG hat auch komm.passion etabliert. Ökostrom, nachhaltiger Einkauf und 
umweltschonende Standards für Geschäftsreisen stehen im Team um Geschäftsführerin Jelena Mirkovic auf der Agenda; man beteiligt sich wie fischerAppelt an der Science Based Targets Initiative (SBTi) und EcoVadis. „Insgesamt ist dies mit einem nicht unerheblichen personellen und finanziellen Aufwand verbunden“, berichtet Mirkovic.

„Seit 2021 sind wir von Climate Partner als klimaneutrales Unternehmen zertifiziert und streben für 2024 das neue Label CO2-zertifiziertes Unternehmen an“, ergänzt Dr. Marianne Diehl, Director Health Strategy bei komm.passion. Darüber hinaus hat die Agentur in Know-how investiert und mit Jana Kern und Alex Vogt zwei erfahrene Beratende auf Director-Level engagiert, die das ESG-Team verstärken, denn komm.passion berät auch Kunden in Sachen Nachhaltigkeit. „Für unsere Kunden haben wir konkrete Angebote entwickelt, mit denen wir sie dabei unterstützen, die Frage zu beantworten, die sich viele Talente, Investoren und Stakeholder stellen: Wie haltet ihr’s mit der Nachhaltigkeit? Dazu haben wir konkrete Beratungsangebote entwickelt – von der ESG-Strategie über das Reporting und den Greenwashing-Check bis hin zur Stakeholder-Kommunikation.“

Auch Diehl stellt die zunehmende Konzentration der Pharmaunternehmen auf das agentureigene Nachhaltigkeitsengagement fest. Die führenden Pharmaunternehmen gingen hier klar voran. Nur gemeinsam mit den Agenturen, Beratungen und anderen Dienstleistenden könnten sie ihre oft ambitionierten Zero-Roadmaps erreichen und ihre Scope-3-Emissionen reduzieren. „Einige Unternehmen gehen bereits dazu über, ihre Supplier nach einem Ampelschema zu klassifizieren“, weiß Diehl. „Das legt den Schluss nahe, dass Dienstleistende, die nicht bereit sind, Informationen zur Verfügung zu stellen, oder die nur eine „rote“ oder „orange“ Bewertung erhalten, in Zukunft nicht mehr zu den bevorzugten Suppliern gehören werden.“
Aber sind diese dann benachteiligt? „Wir meinen nein“, konstatiert Diehl. Denn wer nachhaltig werden will, muss zunächst investieren. Es wäre unfair, wenn das vom Markt nicht honoriert würde. Nachhaltigkeit wird zur elementaren Voraussetzung für die Licence To Grow.“ Es ist also noch nicht zu spät, um loszulaufen. 

Den Spagat schaffen
Was empfinden die Agenturen als besondere Herausforderungen im Transformationsprozess, haben wir die Experten gefragt. „Wie in jedem Veränderungsprozess ist es wichtig, das Ziel im Blick zu haben und zu kommunizieren. Das erleichtert vieles, jedoch bleibt es herausfordernd, das Thema Nachhaltigkeit mit seiner Vielschichtigkeit neben dem eigentlichen Tagesgeschäft kontinuierlich weiterzuverfolgen“, erklärt Stephanie Heuser.

Bei fischerAppelt sind es „vor allem externe Faktoren, die uns immer wieder vor Herausforderungen stellen“, so Weghmann. Lieferengpässe von E-Autos hätten zum Beispiel zeitweise die Mobilitäts-Emissionen nicht so schnell sinken lassen, wie geplant. Auch die Umstellung auf Ökostrom an über zehn Standorten erfordere in einem
heterogenen Stromanbieter-Kontext viel Zeit und Administration. „Hinzu kommen komplexe Entscheidungsfelder, wie auch die Frage nach einem geeigneten CO2-Kompensationspartner, wenn man wirklich sichergehen möchte, dass die eingesetzten Ressourcen und finanziellen Aufwendungen Früchte tragen.“

Obwohl das Thema bei komm.passion eine breite Unterstützung erfahre und von den Mitarbeitenden und der Geschäftsführung mit großem Engagement gelebt werde, „doch so ehrlich müssen wir sein“, erklärt Jelena Mirkovic, „sowohl bei uns als auch bei vielen unserer Kunden ist es noch ein zweiter Schritt, Nachhaltigkeit aus der „Nice-To-Have“-Nische zu holen und in das Relevant Set für den Geschäftserfolg aufzunehmen“. In der Vergangenheit hätten die Projekte der Kunden im Vergleich zu internen Nachhaltigkeitsprojekten häufig Vorrang gehabt. Dadurch seien zweitere langsamer vorangekommen. Heute würden sie gleich priorisiert – denn das eine gehe meistens ohnehin nicht mehr ohne das andere. „Die große Herausforderung auf Kundenseite besteht darin, die große Chance zu erkennen, die die Pain-Themen Pflicht-Reporting und ESG-Ratings für die Positionierung im Wettbewerb bieten. Wer Nachhaltigkeit von Anfang an strategisch verankert, hat einen Wettbewerbsvorteil. Und zwar schon heute.“