Nach Einschätzung von Daniel Schaller (good healthcare group) ist seit dem vergangenen Frühjahr der KI-Support zu einem normalen Begleiter des Alltags geworden. „Wir alle nutzen die Vorteile von niederschwelligen KI-Lösungen wie ChatGPT bei Recherchen oder Texten, Midjourney bei der Generierung von Bildmaterial oder die Onboard-Mittel in so vielen Tools oder Sprachassistenten“, führt Schaller aus und weist gleichzeitig darauf hin, dass er Regulierungen, wie beispielsweise den AI Act der Europäischen Union, für sinnvoll erachtet. Bei genauerer Betrachtung des Pharmavertriebs hänge der professionelle Einsatz weiterhin hinterher. „Sicherlich spielt die Unsicherheit mit dem Datenschutz und weiteren Regulierungen hier eine entscheidende Rolle“, erklärt Daniel Schaller. Ebenso stellten Befremdlichkeiten bei Nutzenden noch eine nicht unerhebliche Hürde dar. „Dennoch sehen wir einen vermehrten Einsatz Künstlicher Intelligenz, um präzisere Zielgruppenanalysen zu ermöglichen, indem diese hilft, die richtigen Ärztinnen und Ärzte und medizinischen Einrichtungen zu identifizieren und ganz neue Parameter in Targetings einfließen zu lassen“, so Schallers Erfahrung. „Außerdem werden KI-basierte Systeme verwendet, um personalisierte Inhalte für diese Zielgruppen effizienter zu erstellen und auszuspielen.“

Michael Frank (Die Crew) zeigt sich ebenso relativ ernüchtert, was die Nutzung von KI-Tools im Pharmavertrieb betrifft. „Unser Eindruck ist, dass die Verbreitung nicht sehr ausgeprägt ist“, fasst er die Erfahrung aus seiner Agentur zusammen. Es gebe erste Tests und Gehversuche, „aber Themen wie Datenschutz, die Komplexität der Toolauswahl und die fehlende systematische Schulung sowie die Fokussierung auf und Umsetzung konkreter Use Cases verlangsamen den breiten Einsatz“. Erste KI-Funktionen hielten Einzug in Tools, etwa im Bereich Sales Enablement, um zum Beispiel KI-unterstützte E-Mails zu schreiben.

Katrin Wenzler (Marvecs) sieht seit dem Frühjahr 2023 hingegen durchaus Bewegung im Pharmavertrieb mit Hilfe von unterstützenden KI-Tools. Die Gründe dafür: „Die Tools selbst sind leistungsfähiger und vielseitiger geworden. Sie bieten nun eine breitere Palette von Funktionen, darunter fortgeschrittene Analysen von Kundendaten, personalisierte Empfehlungen für Verkaufsstrategien und sogar automatisierte Interaktionen mit Kunden über verschiedene Kanäle wie E-Mail und soziale Medien.“

Nach den Gründen für den eher noch zähen und beschränkten Einsatz der KI-Tools im Salesbereich gefragt, antwortet Michael Frank, dass im Marketing die Adaption etwas schneller zu gehen scheine als im Vertrieb, aber insgesamt sei zu spüren, dass nach einem ersten Hype derzeit eine gewisse Ernüchterung eingetreten sei, was auch dem „Gartner Hype Cycle“ entspreche. Für Frank ist diese verhaltene Entwicklung eher verwunderlich, da es sowohl im Vertrieb als auch im Marketing viele „low hanging fruits“ gebe. Frank sieht die größte Herausforderung in der Schulung der Mitarbeitenden – „sofern die Tools überhaupt zur Verfügung gestellt werden –, denn auch mit diesen auf den ersten Blick sehr zugänglichen Tools muss man sich intensiv auseinandersetzen, um wirklich nützliche Ergebnisse zu erzielen“. 

Ein Bereich, in dem die Erwartungen vor einem Jahr möglicherweise zu hoch waren, ist nach Ansicht von Katrin Wenzler „die vollständige Automatisierung des Vertriebsprozesses“. Obwohl KI-Tools viele Aufgaben automatisieren könnten, gebe es nach wie vor komplexe zwischenmenschliche Interaktionen und strategische Entscheidungen, die menschliches Eingreifen erforderten. „Auf der anderen Seite könnten die Erwartungen in Bezug auf die Geschwindigkeit der Implementierung und Akzeptanz der KI-Tools im Vertriebsalltag zu niedrig gewesen sein“, berichtet Wenzler. Sie nimmt aber auch wahr, dass viele Außendienstmitarbeitende sich schnell an die Nutzung von KI-Tools gewöhnt hätten und den Wert erkennen würden, den sie für ihre Arbeit haben könnten.

Als ungenutztes Potenzial von KI-Tools im Pharmavertrieb beschreibt Daniel Schaller „die dynamische Anpassung von Marketingstrategien basierend auf sofortigem Feedback aus dem Markt“. Obwohl dies theoretisch machbar sei, seien viele Systeme in der Praxis noch nicht in die Lage versetzt worden, in Echtzeit zu reagieren und Anpassungen vorzunehmen, die auf kurzfristige Veränderungen in der Marktlandschaft oder im Verhalten von Gesundheitsfachkräften basierten, so Schaller.

Doch in welchen Bereichen kommen KI-Tools im Pharmavertrieb denn konkret zum Einsatz? 
„Konkrete und aktiv eingesetzte KI-Tools im Bereich Vertrieb und Sales umfassen intelligente CRM-Systeme, die Datenanalyse und Kundeninteraktionen automatisieren, sowie Chatbots, die Kundenanfragen bearbeiten und häufig gestellte Fragen beantworten können“, erläutert Katrin Wenzler. Was die Nutzung durch die Außendienstmitarbeiter betreffe, variierten die Reaktionen. Wenzler: „Einige zeigen Vorbehalte, insbesondere wenn sie befürchten, dass KI ihre Arbeitsplätze ersetzen könnte, während andere begeistert sind über die Möglichkeit, ihre Effizienz zu steigern und bessere Ergebnisse zu erzielen.“

Nach Erfahrung von Michael Frank werde am ehesten ChatGPT, oft in der kostenlosen Variante und mit vielen Einschränkungen seitens der Unternehmen eingesetzt. „Erste Unternehmen setzen den Microsoft Copilot ein, der auch auf GPT basiert, aber aufgrund offener Fragen im Bereich Datenschutz sehen wir auch hier eine eher langsame Marktdurchdringung. Und es werden eben hier und da erste KI-Funktionen in CRM-Tools oder Sales-Enablement-Tools eingesetzt, aber auch da ist noch sehr viel Luft nach oben.“ Die Begeisterung sei immer groß, wenn man die Möglichkeiten aufzeige, Vorbehalte gibt es recht wenig, so Franks Wahrnehmung. „Es liegt wirklich am Know-how und am Training, an der Verfügbarkeit der Tools und den nicht klar definierten und geschulten Usecases.“

Was die Nutzung von KI-Tools und die Reaktion der Pharmavertriebsmitarbeitenden betrifft, sieht Daniel Schaller ebenso ein „sowohl-als-auch“. So seien viele Mitarbeitende von der Möglichkeit begeistert, ihre Arbeit effizienter zu gestalten und sich auf wertschöpfendere Aufgaben zu konzentrieren. „Insbesondere die Unterstützung durch Predictive Analytics und verbesserte CRM-Systeme wird oft positiv aufgenommen, da sie zu besseren Verkaufsergebnissen führen können“, zählt Schaller die Vorteile auf. Dennoch gebe es trotz dieser offensichtlichen Vorteile auch Vorbehalte.

So zeigten sich einige Mitarbeitende besorgt über die Komplexität und die Lernkurve, die mit neuen Technologien verbunden seien. „Ein Dauerbrenner ist die Sorge um die Job-Sicherheit – viele befürchten, dass KI-Tools langfristig menschliche Arbeitsplätze ersetzen könnten“, konstatiert Schaller. Zusammenfassend lasse sich sagen, „dass KI-Tools im Pharma-Außendienst eine zunehmend wichtige Rolle spielen, aber ihre Akzeptanz hängt von einer sorgfältigen Implementierung, Schulung und kontinuierlichen Unterstützung ab, um sowohl Begeisterung als auch Vorbehalte der Mitarbeitenden zu adressieren.“ Auch Schaller weist genau wie Michael Frank auf die Notwendigkeit einer intensiven Schulung der Mitarbeitenden hinein, um die Vorteile der neuen Technik zu verstehen und Vorurteile sowie Angst vor dem Neuen abzubauen. 

Nach der Begeisterung im vergangenen Frühjahr und der eher ernüchternden Entwicklung der KI-Tools im Salesbereich, wollten wir erneut eine Prognose zur neuen KI-unterstützten Pharmavertriebswelt bis Ende des Jahres einfangen.
Ganz klar ist für Michael Frank, dass es „insgesamt einer Systematisierung der Aktivitäten bedarf“. Die Unternehmen müssten ihre KI-Toolstack-Strategie definieren und dafür sorgen, dass die Anwendungen überhaupt verfügbar seien. Die Hersteller wiederum müssten nach Ansicht von Frank gewährleisten, „dass die Tools auf Business-Ebene im Sinne des Datenschutzes und der Geheimhaltung bedenkenfrei nutzbar sind“. Schulungsabteilungen müssten den Anwenderinnen und Anwendern, in diesem Fall im Außendienst, die Berührungsängste nehmen und die Nutzung trainieren. Und last but not least: „Fachabteilungen müssen gezielt Prozesse und Aufgaben identifizieren, die mit KI optimiert werden können, damit die Mitarbeitenden im Außendienst nicht mit den Tools allein gelassen werden, sondern konkret lernen und erfahren, was sie wie mit welchem Tool verbessern können und welchen Nutzen sie davon haben“, resümiert Michael Frank.

Katrin Wenzler ist überzeugt, dass die nächsten Schritte im Bereich KI und Außendienst eine weiterhin enge Integration von KI-Tools in den Vertriebsprozess umfassen werden. „Dies bedeutet eine kontinuierliche Verbesserung der bestehenden Tools sowie die Entwicklung neuer Tools, die speziell auf die Bedürfnisse des Pharma-Außendienstes zugeschnitten sind.“ Nach ihrer Vorstellung zeichnet sch der ideale, KI-begleitete Pharma-Außendienst Ende 2024 durch „eine optimale Balance zwischen menschlicher Expertise und KI-unterstützten Funktionen aus. Die Mitarbeiter nutzen KI-Tools, um ihre Effizienz zu steigern, aber sie behalten auch die zwischenmenschlichen Aspekte ihrer Arbeit im Blick und setzen ihre Fachkenntnisse ein, um einen Mehrwert für ihre Kunden zu schaffen“, lautet Katrin Wenzlers Prognose.

„Der Schlüssel zur Zukunft der HCP-Pharma-Interaktion liegt in der datengetriebenen und emotional intelligenten Gestaltung von Kundenbeziehungen, die das Potenzial hat, die Branche nachhaltig zu prägen“, prognostiziert Daniel Schaller. „KI wird noch stärker in all unsere Tools integriert und wir werden sie gar nicht mehr bewusst wahrnehmen.“ Darüber hinaus werde seiner Ansicht nach das Thema generative sowie menschliche KI unter regulierten Vorgaben einen deutlichen Push in den Möglichkeiten geben. KI-Lösungen wie virtuelle Avatare und Menschen werden laut Schaller sich immer stärker verflechten und eine Einheit bilden. „Jeder Part bringt seine individuellen Stärken in die Partnerschaft ein, der Mensch die Empathie und Kommunikationsstärke, die KI die extreme Analysefähigkeit und den Zugriff auf ein quasi unbegrenztes Wissen.“