Branchenübergreifender Marktführer bleibt die fischerAppelt Agenturgruppe, den zweiten Platz belegt die mc group, auf dem dritten folgt die Serviceplan Content Group. Betrachtet man die Spezial-Auswertung für den Bereich Healthcare, führt auch dort fischerAppelt, allerdings gefolgt von Weber Shandwick und DP-Medsystems.

Dr. Torsten Rothärmel, Group EVP, Health Business bei IPG DXTRA, berichtet, Weber Shandwick sei 2022 „mit allen Top Health-Kunden außergewöhnlich stark organisch gewachsen“, was auf der Übernahme von neuen Indikationsbereichen wie auch auf der Ausweitung der Arbeit für Bestandskunden, vor allem in den Bereichen Corporate, Social Media und kreative Kampagne, basiere. Zusätzlich habe man mit dem globalen Team in Deutschland die entsprechenden Kundenetats weiter ausbauen können.

„Erfreulicherweise konnten wir unseren Wachstumskurs auch im Jahr 2022 fortsetzen“, sagt Franziska Thiele, Geschäftsführerin von DP-Medsystems, welche die umsatzstärkste unter den reinen Healthcare-Agenturen ist. Sowohl im Bestandskunden- als auch im Neukundengeschäft habe man Etats und Projekte gewonnen. „Es zeigt sich, dass zunehmend integrierte Kommunikationskonzepte nachgefragt werden. Vor allem in der Rx-Kommunikation wird verstärkt Wert auf begleitende Maßnahmen der Verbraucher- und Patientenkommunikation gelegt. Das ist für uns als Full-Service-Agentur eine sehr spannende Aufgabe und bestätigt unseren 360°-Ansatz in der PR-Arbeit“, so Thiele.

Ganzheitliches und integriertes Denken ist gefragt

Von einem „stabilen Geschäft“ berichtet Julia Bressem, Head of Healthcare bei FleishmanHillard (siehe auch „Profil“ auf Seite 28). Aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit beobachte sie aber eine vermehrte Volatilität des Marktes und auch eine gewisse Vorsicht in der Budgetplanung. Und die Covid-19-Pandemie habe das PR-Geschäft im Themenfeld Gesundheit stark verändert. „Während wir in den Jahren vor Covid vor allem in der klassischen Produktkommunikation aktiv waren, werden die kommunikativen Herausforderungen für unsere Kunden immer komplexer.“ Pharmafirmen seien durch die Pandemie verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, weshalb es immer mehr Anfragen auf Corporate-Ebene gebe und die ganzheitliche strategische Beratung in den Vordergrund trete. Und auch das Thema Patient Centricity treibe die Kunden wieder verstärkt um. „Wir konzipieren aktuell mehrere große Disease-Awareness-Kampagnen, die die Öffentlichkeit für bestimmte Erkrankungen sensibilisieren sollen“, berichtet Julia Bressem. Dabei gehe man meist von Anbeginn an in den direkten Austausch mit Betroffenen sowie HCPs und entwickele Themen und Materialien gemeinsam und auf Augenhöhe. Grundsätzlich hält sie fest: „Silodenken ist mehr denn je out – ganzheitliches und integriertes Denken dafür umso mehr gefragt.“

Bei Dorothea Küsters Life Science Communications freut man sich darüber, auch 2022 wieder unter den Top 10 der Healthcare-Agenturen zu sein. Bettina Sieber, Director Rx, Public Affairs und International, berichtet, durch den Markteintritt von weiteren Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMPs) sei insbesondere der Bedarf an Public Affairs der Pharmaunternehmen gestiegen. Aufgrund von Rahmenbedingungen wie etwa dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sei es jetzt noch wichtiger, Kostenträger und Politik sehr früh auf den Mehrwert dieser Therapien für das Gesundheitssystem und für Patienten hinzuweisen und sie mit ausreichend Informationen zu versorgen.

Von einem „anstrengenden Jahr mit vielen Herausforderungen auf Kundenseite und im Recruiting, aber auch mit spannenden Pitch-Gewinnen“, spricht Nicole Tappée. Wachstumsfelder seien weiterhin Medical Education und Social Media, und die Umsetzung moderierter Advisory Boards und Awareness-Kampagnen via Social Media werde verstärkt nachgefragt. „Das ging aber nicht zu Lasten der klassischen PR – insbesondere das Agendasetting hatte eine regelrechte Renaissance. Hier treffen wir mit unseren bestens vernetzten Media Liaison Managern den Nerv der Zeit“, berichtet die Managing Director der MCG Medical Consulting Group.

„Häppchen“ stehen hoch im Kurs

Ähnlich äußert sich auch Oliver Ehnstorfer. 2022 sei „turbulent“ gewesen – „vor allem bezüglich veränderter Kundenanforderungen und personell“. Ein auffälliger Trend seien kundenseitig relativ kurzfristige Entscheidungen. „Da heißt es noch agiler zu werden, was aber herausfordernd ist, wenn man an Slots denkt und an Timings, die wir selbst nicht beeinflussen können“, sagt der Geschäftsführer von medical relations. In der Kommunikation stehe zurzeit „das Häppchen für Zwischendrin“ – der „Snackable Content“ – hoch im Kurs. „Aber, wie das mit Häppchen so ist, sie müssen besonders gut schmecken, sonst bleibt die Servierplatte kaum angetastet stehen“, betont Ehrnstorfer. Übertragen bedeute das: Die Botschaft müsse auf den Punkt sein, relevant, innovativ, mit Newswert. In sich runde Kurzinformationen, wobei es Sinn mache, mit dem Snack zusätzlich auch eine kleine „Speisekarte“ anzubieten – mit Hintergrundinfos, Bewegtbild etc. Der bevorzugte Kanal sei hier Online, in Print würden die Snacks dagegen eher zu „Vorspeisen“ geraten, zumal es hier häufig noch keine geeigneten kleinen Formate gebe. „Insgesamt ist das ganz spannend, weil wir mit dem berühmten Löffel von ‚The Taste‘ (Kochsendung auf SAT.1, bei der die Kandidaten ein Gericht auf einem Löffel präsentieren; Anm. d. Red.) experimentieren können. Im Freigabeprozess zeigt sich dann manchmal, dass der Löffel nicht reichen wird, weil unbedingt zusätzliche Informationen einbezogen werden sollen beziehungsweise müssen. Da ist noch einiges in Bewegung“, so Ehrnstorfer. Gleichzeitig stellt man bei medical relations auch eine erhöhte Nachfrage im Bereich der detaillierten wissenschaftlichen Kommunikation fest. „Selten haben wir im Printbereich so viele Sonderpublikationsformate ab acht Seiten aufwärts umgesetzt wie in letzter Zeit, und dies in den verschiedensten Indikationen und Märkten – und immer mit dem Ziel, dass ein ansprechendes Menü mit mehreren Gängen dabei herauskommt und kein Brauhaus-Teller, um im Bild zu bleiben“, sagt Ehrnstorfer.

Ob Pandemie, Krieg, Wirtschaftskrise – all das habe auch Auswirkungen darauf, wie Menschen ihre Gesundheit betrachten, sagt Nils Giese, Managing Director Health bei Edelman Deutschland, und verweist dabei auf die Daten des „Edelman Trust Barometer 2023 Special Report: Trust and Health“. „Die Befragten sehen den Begriff ‚Gesundheit‘ immer stärker multidimensional – Faktoren wie mentale und physische Gesundheit sowie soziale Gesundheit und die Lebensqualität in der Gemeinschaft spielen dabei eine große Rolle“, erklärt Giese. Dies heiße auch, dass die Menschen zunehmend ganzheitlich betrachtet und behandelt werden wollen. Für Kommunikation und PR bedeute das, dass die Themenfelder weitreichender werden und sich die Beratung ausweite. „Wir sehen einen Shift darin, wie sich die Menschen über Gesundheitsthemen informieren und welchen Experten sie Glauben schenken. Insbesondere für die PR erhöht dies das Mandat sicherzustellen, welche Informationen kommuniziert werden und vor allem auf welche Art und Weise“, betont Giese. Wie zuvor Julia Bressem stellt auch er fest, dass die Kunden „zum Glück“ nicht mehr so stark in kommunikativen Silos denken. Relevante Kommunikation lasse sich nicht mehr in „nur“ PR oder „nur“ Marketing unterteilen. „Integrierte Aktivierungskampagnen stehen deshalb hoch im Kurs, weil sie eben aus den Zielgruppen heraus denken und das gesamte ‚Paid-Owned-Earned-Ökosystem‘ abdecken.“ Dabei müsse die Kommunikation immer aus Patienten- oder Laien- und aus Fach-Perspektive gedacht und aktiviert werden. „Kommunikation muss heute zwei Kerndimensionen erfüllen: Sie muss berühren UND bewegen“, sagt Nils Giese. Das bedeute, Kommunikation müsse einen menschlich-emotionalen Kern haben, um als bedeutsam wahrgenommen zu werden, und sie müsse zudem ein aktivierendes Element beinhalten.

Ein gesunder Mix

Viele Kommunikationsformate wurden seit 2020 notgedrungen digitalisiert. Bleibt es dabei, oder gibt es nun vielleicht sogar eine Renaissance klassischer Formate, zum Beispiel von Pressekonferenzen oder Redaktionsbesuchen, im „Real Life“? Sind reale Begegnungen nur ein „nice to have“ oder vielleicht nun gerade sogar ein „must have“? Mittlerweile würden die Optionen „live“, „hybrid“ und „virtuell“ anlassgebunden eingesetzt, sagt Nicole Tappée. Finde eine Pressekonferenz im Rahmen eines Kongresses statt, dann treffe man sich gerne vor Ort. Sei sie als Stand-alone geplant, dann eher virtuell oder hybrid. „Die Freiheit, situativ entscheiden zu können, tut uns gefühlt allen sehr gut.“

Sich wieder persönlich austauschen zu können, hätten die meisten Journalisten in den letzten Jahren sehr vermisst, sagt Bettina Sieber. Dennoch seien Online-Pressekonferenzen als zeitsparendes und effizientes Format sehr beliebt. Präsenz-Pressekonferenzen seien unter bestimmten Bedingungen sinnvoll, etwa im Rahmen eines Kongresses oder wenn die Veranstaltung einen sehr hohen Neuigkeitswert biete. Da man bei Redaktionsbesuchen zu den Verlagen reise und bei den Häusern wenig bis geringer Aufwand entstehe, ist dies aktuell quasi gleichwertig zur Online-Variante oder sogar bevorzugt. „Vorteilhaft für Pressekonferenz und Redaktionsbesuche ist sowohl im Publikums- als auch im Fachbereich aber ein entsprechendes Mediaspending“, ergänzt Sieber.

Für Dr. Torsten Rothärmel haben „Real Life“ und „virtuell/digital“ einen festen Platz in Co-Existenz gefunden. Bei wichtigen Ereignissen und gemeinsamen Entwicklungs- und Diskussionsrunden zum Beispiel sei ein Format mit persönlicher Zusammenkunft empfehlenswert. „Virtuelle Veranstaltungsformate kommen überall dort zum Tragen, wo sie den Teilnehmern Reisezeit ersparen oder zeitlich flexibel gehandhabt werden können“, so Rothärmel. Eine Befragung der CMI Media Group unter europäischen Ärzten bezüglich Kongressteilnahmen hat ergeben, dass knapp mehr als die Hälfte erwartet, in Zukunft wieder öfter persönlich teilzunehmen. 42 Prozent gaben aber eine Präferenz für „virtuell“ an. „Hier sind Formate gefragt, die beide Gruppen erreichen können“, so Rothärmel. „Wir bieten verschiedene Möglichkeiten an – von zeitgleicher digitaler Kongressberichterstattung über Hybrid-Formate bis zu zeitversetzten vor Ort und digitalen Formaten.“

Nils Giese stellt in seiner Arbeit fest, dass es einen großen Wunsch danach gibt, sich persönlich auszutauschen und zu netzwerken. „Zwischenmenschliche Beziehungen sind maßgeblich für den Aufbau von Vertrauen und einer glaubhaften Vermittlung von Informationen“, betont Giese. Ferner stellt er bei „Real Life“-Events fest, dass die Inhalte besser vermittelt werden können und auch das Mitmach-Engagement der Teilnehmenden höher ist. „Digitale Events verführen einfach zu sehr, in den Passivitäts-Modus zu verfallen. Durch reale Events können förmlich wieder alle Sinne angesprochen werden“, betont er. So habe man zum Beispiel bei einer Pressekonferenz zu einer Kampagne, in der es um den Verlust des Geruchssinnes bei einer Chronischen Rhinosinusitis ging, Geruchsproben und individuelle Parfüms, die an schöne Erlebnisse erinnern, platziert und zum „Mitriechen“ eingeladen. „Selbst etwas zu riechen und zu erfahren, hat einen viel höheren Impact, als nur darüber zu sprechen.“ Das neue Standardformat sei jedoch hybrid, sagt Nils Giese, denn es ermögliche, dass Termine trotz enger Terminkalender wahrgenommen werden können, da zum Beispiel der Reiseaufwand wegfällt.

In digitalen Formaten höre er „Toll, dass das nun digital geht!“, bei Präsenzveranstaltungen „Toll, dass wir uns nun wieder live begegnen können!“, schmunzelt Oliver Ehrnstorfer. „Beides stimmt und die Mischung macht’s!“ Wobei es natürlich persönliche Vorlieben gebe. Bei wissenschaftlichen Fachkongressen scheine es eine Tendenz zu Präsenzveranstaltungen zu geben, da nur Teile der Veranstaltungen online bzw. on demand zur Verfügung stehen. Aus Ehrnstorfers Sicht ist das ein „Nudging“ der Veranstalter in Richtung Teilnahme vor Ort. Bei medical relations habe man zuletzt eine Reihe von Strategiebesprechungen mit Kunden wieder in Präsenz durchgeführt und der allgemeine Eindruck sei: „Die Arbeitsatmosphäre ist intensiver und auch der Mehrwert des unmittelbaren persönlichen Kontakts ist spürbar.“

Auch Julia Bressem rechnet „mit einem gesunden Mix“. Wie die letzten Jahre gezeigt hätten, würden viele Dinge wie Homeoffice und Online-Meetings sehr gut funktionieren – und sie seien sowohl aus finanzieller als auch ökologischer Sicht sinnvoll. Ein weiterer Vorteil von digitalen Angeboten sei, dass man an deutlich mehr Events teilnehmen könne. „Die Live-Übertragung einer Veranstaltung kann ich auch nebenher verfolgen, ohne dass zu viel von meiner Arbeitszeit verloren geht. Dennoch ist und bleibt der persönliche Austausch sehr wichtig. Ganz persönlich freue ich mich aber über jede Begegnung ohne Bildschirm“, sagt Julia Bressem.

Ob digital, analog oder hybrid, das hänge von vielen Entscheidungskriterien ab, betont Franziska Thiele. Natürlich werde es auch weiterhin digitale Format geben, vor allem regelmäßige Redaktionsgespräche und Kundenmeetings. Aber je nach Thema, Priorität, Komplexität und Zielgruppe halte sie analoge Formate wie Pressekonferenzen, Events oder kleinere persönliche Gesprächs-Formate für unabdingbar. Franziska Thiele stellt klar: „Real-Life-Veranstaltungen verankern sich emotional eindeutig besser und Botschaften oder komplexe Themen können besser vermittelt werden.“