■ Forschung in der Fläche

Dass klinische Forschung nicht nur in den Zentren großer Unikliniken stattfinden kann, ist inzwischen Konsens. Doch die Realität zeigt: Rund 80 Prozent aller Studien werden weiterhin in spezialisierten Einrichtungen durchgeführt. Dabei bräuchte es dringend mehr Engagement in der Fläche. „Wir haben in Deutschland viele forschungsinteressierte Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich, aber sie sind oft nicht eingebunden“, erklärt Dr. Doris Henn, Senior Director Clinical Research Biopharmaceuticals DACH bei AstraZeneca. „Das liegt nicht am fehlenden Willen, sondern an fehlenden Strukturen.“

Ein Problem: Der Einstieg in die Forschung ist komplex, gerade für Praxen, die im Alltag ohnehin am Limit arbeiten. Dazu kommt eine gewisse Scheu vor regulatorischen Anforderungen, etwa der GCP-konformen Dokumentation oder der IT-technischen Anbindung an Studienplattformen.

■ Begleitung statt Überforderung

„Wir dürfen nicht vergessen: Ärztinnen und Ärzte benötigen bei der Durchführung von klinischen Studien Unterstützung durch Studienkoordinatorinnen und -koordinatoren“, gibt Simone Kappels, Oncology Country Head Site Management and Monitoring DACH bei AstraZeneca, zu bedenken. Hier setzt die Unterstützung des OncoCoord an, mit der Möglichkeit der Fortbildung und Vernetzung.

Hinzu kommt, dass junge Medizinerinnen und Mediziner im Studium nicht darauf vorbereitet werden, klinisch zu forschen. Das hat zur Folge, dass sich später viele nicht trauen. Dabei ist ihr Einsatz dringend nötig, um die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien voranzutreiben.

Ein zentrales Ziel der Site Development Taskforce ist es, forschungsinteressierte medizinische Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern sie langfristig zu begleiten. Die ersten Schritte erfolgen oft in Form eines Vorgesprächs, bei dem Interessen, Vorerfahrungen und Möglichkeiten offen besprochen werden.

 

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Doris Henn (links) und Simone Kappels. Quelle: AstraZeneca

 

„Wir geben keine Versprechen, sondern klären ehrlich auf. Was bedeutet eine Studienbeteiligung konkret? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, personell, räumlich, technisch?“, berichtet Henn. Nur wenn das passt, folgt der nächste Schritt: die konkrete Vorbereitung.

Dazu gehören etwa GCP-Schulungen, die Vermittlung von Studienpersonal oder die Unterstützung beim Aufbau einer Studienkoordination. Ein häufiges Missverständnis: Medizinerinnen und Mediziner glauben, sie müssten alles selbst machen. „Wir zeigen, dass Aufgaben sinnvoll delegiert werden können und wie man ein funktionierendes Studiensetting etabliert“, so Henn.

Motivation, Identifikation und medizinischer Fortschritt

Doch warum machen Ärztinnen und Ärzte überhaupt mit? Die Antwort ist vielschichtig. Es geht um mehr als nur Honorierung. Medizinerinnen und Mediziner erhalten durch die Forschung die Möglichkeit, Teil des Fortschritts zu sein, nicht nur Anwendende, sondern Mitgestaltende.

Gerade für die nachrückende Generation spielt Selbstwirksamkeit eine große Rolle. Viele junge Berufseinsteigende sind neugierig, technologieoffen und hinterfragen viel. Sie wollen wissen, wie Studien aufgebaut sind, wie Ergebnisse zustande kommen und wo sie positiven Einfluss nehmen können.

Auch Patientinnen und Patienten begegnen forschenden Ärztinnen und Ärzten oft mit besonderem Vertrauen. Wer eine Studie begleitet, kann innovative Behandlungswege eröffnen. Die Folge: Patientinnen und Patienten werden frühzeitig in neue Therapieoptionen eingebunden. Das ist nicht nur für Betroffene, sondern auch für viele Medizinerinnen und Mediziner ein wichtiger Anreiz.

Die Kosten der klinischen Studien werden von den Pharmaunternehmen getragen. „Geld ist wichtig, aber nicht entscheidend“, sagt Henn. „Entscheidend ist, dass sich Ärztinnen und Ärzte begleitet und ernst genommen fühlen.“

Imagewandel durch Nähe und der Blick nach vorn

Was das Beispiel AstraZeneca zeigt: Die Art der Zusammenarbeit verändert auch das Verhältnis zur Industrie. Wenn medizinische Fachkräfte merken, wie transparent eine Studie vorbereitet wird, wie genau Prozesse dokumentiert und überwacht werden, verlieren sie Berührungsängste.

Für viele ist der direkte Kontakt entscheidend, und dabei darf es nicht um ein Vertriebsgespräch gehen. Vielmehr braucht es den Austausch auf Augenhöhe. „Wir reden mit ihnen über ihre Themen: Versorgung, Praxisrealität, Personal. Und wir fragen: Was braucht ihr, damit Forschung bei euch möglich wird?“, erklärt Kappels.

Diese Haltung zahlt einerseits auf das Ansehen der Industrie ein und wirkt andererseits auch intern. „Unsere Kolleginnen und Kollegen erleben, dass wir nicht nur Daten sammeln, sondern wirklich etwas beitragen. Das motiviert auch im eigenen Unternehmen“, berichtet Henn.

Die Pharmabranche übernimmt heute deutlich mehr Verantwortung dafür, dass Forschung überhaupt stattfinden kann. Sie baut gezielt Strukturen auf, schafft Anreize und unterstützt dort, wo staatliche Rahmenbedingungen fehlen. Was sie sich wünscht: mehr Unterstützung durch die Politik. Denn damit Forschung in der Breite gelingt, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen, von der Förderung digitaler Infrastruktur bis hin zu besser abgestimmten Zulassungsprozessen.

Mit Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe

Was dabei oft vergessen wird: Auch Patientinnen und Patienten spielen eine zentrale Rolle. Sie sind nicht nur Teilnehmende, sondern Mitgestaltende des klinischen Fortschritts. Die meisten von ihnen sind bereit, sich zu engagieren, vorausgesetzt, sie verstehen, worum es geht.

Deshalb arbeitet die Branche zunehmend eng mit Patientenvertretungsorganisationen zusammen. Es geht um Aufklärung, transparente Kommunikation und Teilhabe. Mit Erfolg: „Wir erleben, dass viele Patientinnen und Patienten sehr motiviert sind, an Studien teilzunehmen, wenn sie sehen, dass ihre Mitwirkung sinnvoll ist“, so Kappels.

Die enge Zusammenarbeit mit Patientinnen und Patienten hat dabei nicht nur ethische, sondern auch praktische Vorteile. Studien werden schneller re-
krutiert, besser verstanden und realistischer umgesetzt. Auch das ist ein Beitrag zu besserer Versorgung durch echte Partnerschaft.