Wer denkt, mit der Erfüllung aller regulatorischen Parameter und dem Eintrag in das zentrale DiGA-Verzeichnis des BfArM seien alle Hürden genommen und damit auch ein erfolgreicher Markteintritt garantiert, liegt leider nicht ganz richtig, wie Malte Bucksch, Geschäftsführer des Münchner Unternehmens Quickbird Medical, das auf die Entwicklung von Medical Software und Health Apps sowie auf die Umsetzung von DiGA auf Auftragsbasis spezialisiert ist, betont. Daher sei die Wahl der richtigen Marketing- und Vertriebsinstrumente von entscheidender Bedeutung, um das volle Marktpotenzial der jeweiligen Nische auszuschöpfen. 

„Die Möglichkeiten sind vielfältig, das Marktumfeld komplex“, so Bucksch in seinem „Leitfaden DiGA-Marketing und Vertrieb“. Daher stelle sich im Marketing die grundsätzliche strategische Frage nach dem Adressaten. „Im Falle einer DiGA kommen zwei Gruppen infrage“, so Bucksch: „Der Patient oder die Patientin, der/die selbst nach Behandlungsmöglichkeiten im Allgemeinen oder einer auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen digitalen Anwendung im Speziellen sucht, und diese bei der Krankenkasse selbst beantragen kann, oder der Arzt oder die Ärztin, der/die eine DiGA als sinnvolle Ergänzung einer Therapie erachtet, und sie dem Patienten daher verschreibt.“

HCPs den Mehrwert erklären

Die Anzahl der DiGA-Verschreibungen wachse aktuell zwar deutlich, aber ausgehend von einem niedrigen Niveau im Vergleich zur Gesamtanzahl der Verordnungen in den betreffenden Top-Indikationen, stellt Dr. Eduardo Marx (Jäger Health, the IQVIA agency) fest. Im Prinzip könne mit DiGA also ein extrem viel höherer Anteil der Patienten zusätzlich versorgt werden, es gebe aber viele Faktoren, welche die Verordnungen „ausbremsen“. „In der Summe sind viele interdependente Fragen offen und potenzieren sich zu einer allgemeinen Unsicherheit, selbst unter denjenigen, die bereits verordnen. Hier hat die Industrie die große und wichtige Aufgabe vor sich, immer wieder aufzuklären und diese Barrieren abzubauen“, so Marx. Es sei „Zeit für eine ganz große Kommunikations-Offensive“, denn aktuell passiere definitiv nicht genug, um die „Verordnungsbremse“ zu lösen. Wichtige Stichworte sind für ihn in diesem 
Zusammenhang: mehr Evidenznachweise, Bedienungsstress minimieren, Patientenbeziehung fördern, Vertrautheit mit jeweiligen DiGA-Inhalten, um nur einige zu nennen. „Das Misstrauen auf Verordnerseite hat möglicherweise aber auch eine tieferliegende unbewusste psychologische Komponente“, gibt Marx zu bedenken. „Ärzte geben einen gewissen Teil ihrer Therapeuten-Hoheit und -Nähe in die Hand einer digitalen Instanz, und das schafft ein gewisses Unbehagen, ja suggeriert ein Entfremdungsgefühl. Also muss die DiGA-Promotion auch über eine emotionale Schiene laufen. Persönliche Besprechungen face-to-face sind hierzu ein optimaler Kanal.

An Chancen statt an Beschränkungen denken

Deutschland sei in Sachen Anwendung digitaler Technologien leider kein Vorreiter und Diskussionen rund um die Nutzung digitaler Daten würden teilweise „ad absurdum“ geführt, sagt Susann Zietek (Peix Health Group). Bestehende digitale Infrastrukturen, wie beispielsweise die für die eGK, entsprächen nicht dem neuesten Stand der Technik, da bei Entwicklungen nicht zuerst an Möglichkeiten und Chancen gedacht werde, sondern an Beschränkungen und Regelungen. Dies zeige sich auch in der Kommunikation mit Healthcare Professionals: Noch immer kämen Faxmailings zum Einsatz, statt moderne digitale Lösungen zu nutzen. „Gerade deshalb ist es besonders herausfordernd, HCPs den Mehrwert von DiGA nahezubringen. Wir müssen verständlich machen, worin ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen Angeboten liegen und welchen zusätzlichen Nutzen sie bieten – damit Ärztinnen und Ärzte trotz voller Terminkalender bereit sind, sich mit diesen Innovationen zu befassen“, so Zietek.

 

V.l.n.r.: Oliver Struckmeier (The Medical Network), Dr. Eduardo Marx (Jäger Health), Susann Zietek (Peix Health Group), Malte Bucksch (Quickbird Medical)

 

Der nachgewiesene Nutzen einer DiGA sei zwar Voraussetzung – aber kein Selbstläufer, sagt Oliver Struckmeier (The Medical Network): „Ärzt:innen überzeugt man nicht allein mit Evidenz, sondern mit Relevanz.“ Die HCPs wollten wissen, wie sich eine DiGA konkret in den Versorgungsalltag einfügt: Welche Indikation wird klar adressiert? Welche Entlastung entsteht im Praxisbetrieb? Welche Vorteile haben die Patient:innen? „Die Kommunikation muss genau hier ansetzen: praxisnah, sachlich, aber auch empathisch“, erklärt Struckmeier. Dabei zeige sich immer wieder, dass Ärzt:innen nicht automatisch auf den ‚unmet need‘ anspringen. „Sie möchten keine Versorgungslücke schließen, sondern Patient:innen helfen. Entscheidend ist der richtige Ton, zur richtigen Zeit, über den richtigen Kanal – es braucht den kontinuierlichen Dialog auf Augenhöhe.

DiGA-Nutzung entsteht durch Push und Pull

Susann Zietek meint, es könne helfen, auf bereits etablierte Gewohnheiten der Patient:innen hinzuweisen: „Viele nutzen bereits Smartphones, um Gesundheitsdaten zu tracken. DiGA sind damit eine logische Weiterentwicklung dieser alltäglichen Praktiken. Sie ermöglichen es Ärzt:innen, ihre Patient:innen unkompliziert und ohne großen Erklärungsaufwand digital zu unterstützen – die Bedienung ist intuitiv.“ Und Ähnliches gelte für die Kommunikation mit den Patient:innen. Bei vielen herrsche zwar Skepsis gegenüber der digitalen Nutzung von Gesundheitsdaten. Hätten sie jedoch einfachen Zugang – zum Beispiel über Smartwatches –, ließen sich solche Tools leicht in den Alltag integrieren. Wenn eine DiGA für die eigene Situation wirklich relevant sei, sinke die Hemmschwelle zur Nutzung deutlich. „Vertrauen spielt dabei eine zentrale Rolle: Während das Vertrauen in die digitale Kompetenz des deutschen Gesundheitssystems eher gering ist, genießen Ärzt:innen großes Vertrauen“, erkärt Zietek. Zudem könnten Patient:innen selbst dazu beitragen, digitale Lösungen stärker zu etablieren – indem sie ihre Ärzt:innen gezielt darauf ansprechen und so Nachfrage erzeugen. 

„Wer auf eine strategisch begleitete Patientenkommunikation verzichtet, verschenkt Potenzial – besonders im ersten Jahr“, warnt Oliver Struckmeier. Die DiGA-Nutzung entstehe nicht nur durch Push – also die ärztliche Empfehlung – sondern auch durch Pull. „Wenn motivierte Patient:innen aktiv nach einer digitalen Begleitung fragen, setzt sich die DiGA im Praxisalltag schneller durch.“ Dafür bedürfe es einer niedrigschwelligen und verständnisvollen Kommunikation: Wie funktioniert die App? Was bringt sie mir persönlich? Muss ich etwas bezahlen? Wird meine Privatsphäre geschützt? An wen wende ich mich bei technischen Fragen?Zentrale Inhalte seien nicht nur Funktionen und Wirkungsweise, sondern auch emotionale Anker: Erfahrungsberichte, informative Videos sowie anschauliche Patient Journeys würden digitale Therapien greifbar machen. „Kommunikation mit Ärzt:innen und Patient:innen folgt unterschiedlichen Regeln – aber einem gemeinsamen Ziel: Vertrauen in DTx. Und das entsteht dann, wenn alle Beteiligten erkennen, was eine DiGA leisten kann – und warum es sich lohnt, sie zu nutzen“, so Struckmeier.

Patienten haben einen latent hohen Need

Auch für Dr. Eduardo Marx liegt eine Pull-Strategie „geradezu auf der Hand“: Die Zurückhaltung der Ärzte auf der einen und die Unterversorgung von Patienten auf der anderen Seite zeigten, dass Patienten latent einen hohen DiGA-Need haben, der aktuell aber unerfüllt bleibe. Daher würde Marx immer eine gezielte Kampagne zur Patientenaktivierung empfehlen, die diesen Unmet Need intelligent adressiert und manifest macht. „Schlüsselinhalte sind hier vor allem der Verweis auf den Arzt, um maximale medizinische Seriosität zu platzieren. Insgesamt ist die Awareness für DiGA als verschreibungsfähige Produkte auch noch sehr gering – Pionierarbeit ist also gefragt.“ Patientenkommunikation sei aber auch kein „No brainer“, denn bei ihren Ärzten träfen die Patienten auf die oben genannten Barrieren, und man könne nicht erwarten, dass die Überzeugungsarbeit der Patienten bei den Ärzten das schaffe, was qualifizierte Außendienstler gegebenenfalls zuvor schon nicht geschafft hätten. Die Statistik lege nahe, dass sich die höheren Verordnungsfrequenzen auf nur wenige Praxen konzentrieren. „Synchronisierung von Patient und Arzt ist also die Formel für den Kampagnenerfolg“, so Marx.

„Die Vielfalt an denkbaren Marketing- und Vertriebswegen ist enorm“, betont Malte Bucksch. Das könne, insbesondere zum Start, die Entscheidung für einen Ansatzpunkt und eine Strategie – bestenfalls die „richtige“ – erschweren. Klar sei jedoch auch, dass es eine universelle Handlungsempfehlung nicht geben könne, denn jede DiGA sei ein einzigartiges Produkt in einem jeweils einzigartigen und komplexen Marktumfeld. Bucksch: „Für einen erfolgreichen Marktstart ist essenziell, dieses Umfeld genau zu analysieren, und darauf aufbauend die Marketing- und Vertriebsmethodik zu wählen, die am besten zu Produkt und Zielgruppe passt.“