Allerdings „ticken“ die verschieden Facharztgruppen unterschiedlich und zeigen entsprechend auch ein diverses Mediennutzungsverhalten, wie Sonja Heizenreder von m:werk betont. Mit dem eigenen datenbasierten Ansatz „m:cognito“ unterstütze man Pharmaunternehmen dabei, die Fachzielgruppen besser zu verstehen und zielgerichtet zu kommunizieren, ergänzt ihre Kollegin Bianca Specht. „Wir untersuchen das Mediennutzungsverhalten, die Informationsbedürfnisse und dabei zum Beispiel auch die Nutzung von Social Media im beruflichen Kontext. Heizenreder stellt fest: „Wir sehen aber auch, dass das Verhältnis von Pharmaunternehmen zu Social Media durchaus variiert. Während es für einige bereits seit Jahren ein integraler Bestandteil der Kommunikation ist, sind andere noch deutlich zögerlicher“, stellt Heizenreder fest.
Social Media stelle tagtäglich seine Daseinsberechtigung in der Healthcare-Kommunikation unter Beweis, betont Laura Geisreiter (antwerpes health share), insbesondere bei der Kommunikation von Pharma-Unternehmen mit Professionals. Ärztinnen und Ärzte könnten auf den entsprechenden Plattformen gezielt angesprochen und mit relevanten Inhalten bespielt werden – „schneller, zuverlässiger und mit weniger Streuverlusten als durch konventionelles Marketing“, so Geisreiter. Gerade bei Themen wie Awareness, Branding und Kommunikation mit Patienten habe sich Social Media als Mittel der Wahl etabliert, um HCPs unterstützend zur Seite zu stehen. Deutlich werde, dass der Digitalisierungsschub auch die Fachzielgruppen erreicht habe: „Was Key Opinion Leader waren, sind heute Medfluencer – und die wollen ihrem Medium treu bleiben“, so Geisreiter. Social Media müsse daher zum Herzstück jeglicher Kommunikationsstrategien zwischen Pharma und Ärzteschaft avancieren.
Die Herangehensweise an Social-Media-Kommunikation von Unternehmensseite sei dabei sehr unterschiedlich. Was sinnvoll sei, da jede Kommunikationsaufgabe ein ganz eigenes Vorgehen erfordere, wie Monika Funck (eickhoff kommunikation) betont. Bei der Entwicklung einer HCP-Social-Media-Strategie müsse man sich die folgenden Fragen stellen: Wo sind die Ärztinnen und Ärzte der Zielgruppe aktiv? Wie wird das Thema, zu dem kommuniziert werden soll, aktuell auf dem jeweiligen Kanal diskutiert? Welche Bedürfnisse hat die Zielgruppe und was beschäftigt sie gerade besonders? Und was ist das Ziel der Kommunikation über Social Media? „Die Frage, welchen Stellenwert Social Media in der Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten haben sollte, lässt sich daher nicht allgemein beantworten, sondern muss immer im Kontext betrachtet werden“, so Funck.
Ein mögliches „Spiel über Bande“ bringt Dr. Klaus Schrage (CGC Cramer-Gesundheits-Consulting) zur Sprache. Der Stellenwert von HCP-Kommunikaktion auf der Ebene der großen Laien-Kanäle wie TikTok, Instagram usw. sei naturgemäß begrenzt, denn bei 300.000 Ärzten unter 80 Millionen potenziellen Social-Media-Usern in Deutschland seien die Streuverluste immens und kaum zielführend. Zudem setze das HWG Schranken. Aber, so Schrage: „Das Laien-Wahrnehmungsbild von Arzneimitteln in Sozialen Medien beeinflusst wiederum das Wahrnehmungsbild von Ärzten – ein Spiel über Bande, das durchaus geführt werden kann.“
■ Kontrolle und Social Media schließen sich nicht aus
Das Social Web habe lange Zeit für viele Unternehmen als Minenfeld gegolten, sagt Laura Geisreiter. Statt mutig voranzuschreiten und vom First-Moving-Effekt zu profitieren, hätten viele Pharmaunternehmen „die Füße stillgehalten“ und die Konkurrenz beobachtet. „Mittlerweile sind wir jedoch an einen Punkt angelangt, an dem Hürden keine Hürden mehr sind und wir etwaige Vorbehalte unserer Kundschaft schnell zerschlagen können.“ Die vier Schlüsselbegriffe lauteten: Heilmittelwerbegesetz, Community Management, Pharmakovigilanz-Monitoring und Branchenwissen – oder vereinfacht: Kontrolle. Es sei wichtig, den Firmen die Steuerbarkeit der Kommunikation immer wieder vor Augen zu halten: „Kontrolle und Social Media schließen sich nicht aus – ganz gleich ob beim initialen Aufbau einer Social-Media-Präsenz oder bei der strategischen Weiterentwicklung mithilfe von Influencer-Kooperationen“, betont Geisreiter.
Für Monika Funck sind die wichtigsten Hürden, die zwischen Pharmaunternehmen und der Social-Media-Kommunikation stehen, das Arzneimittelgesetz und das HWG. Das erste verpflichte die Unternehmen zur Meldung von Nebenwirkungen, was bedeute, dass die Unternehmen entweder die Kommentarfunktionen auf Social-Media-Kanälen einschränken oder aber ein engmaschiges Monitoring einrichten müssen. Wegen des im HWG verankerten Werbeverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise sei eine Kommunikation zu Rx-Produkten in öffentlichen Kanälen nicht möglich. „Diese Kanäle können aber genutzt werden, um zum Beispiel die Awareness für wenig bekannte Indikationen und deren typische Symptome zu steigern, um auf Veranstaltungen hinzuweisen oder diese direkt auf einem Social-Media-Kanal durchzuführen“, so Funck.
Gerade Pharmaunternehmen, die noch keine oder nur wenige Erfahrungen mit der Kommunikation über Social Media gesammelt hätten, würden im Grunde drei Bedenken artikulieren, wie Sonja Heizenreder berichtet: Neben der HWG-Konformität seien das die Angst vor einem Shitstorm und die Sorge um einen hohen kapazitären Aufwand. „Den Bedenken um einen Shitstorm begegnen wir mit Preparedness – also Vorbereitung. Noch vor dem Launch eines neuen Social-Media-Kanals entwickeln wir mit dem Kunden ein Social-Media-Manual inklusive Eskalationsplan, das nicht nur Prozesse und Verantwortlichkeiten klar definiert, sondern auch bestimmte Szenarien vorbereitet.“ Bezüglich der kapazitären Bedenken sagt Bianca Specht, man löse diese auf, indem man den Kunden ein versiertes Team zur Seite stelle. „Als Agentur unterstützen wir von A wie Aufsetzen eines Social-Media-Kanals bis Z wie Zusammenfassung – im Sinne eines Reportings von KPIs, der Evaluation dieser sowie konkreter Handlungsempfehlungen für eine etwaige Kursanpassung.“
■ Unterschiedliches Informationsverhalten
Sehr gut geeignet für die Kommunikation mit HCPs sei LinkedIn, sagt Dr. Klaus Schrage, denn auf dieser Plattform finde eine Kommunikation auf Augenhöhe statt. „Der Leiter MedWiss tauscht sich direkt mit dem KOL aus, die CEO korrespondiert direkt mit der Klinikleitung.“ Gemeinsame Aktionen seien möglich, auch Webinare und Paper-Diskussionen. Image Posts von Unternehmen und Mitgliedern der Unternehmen würden, wenn diese qualitativ anspruchsvoll und mit einer genügenden Frequenz erstellt würden, in den Fachzielgruppen wahrgenommen.
Mit Hilfe von „m:cognito“ habe man zum Beispiel für die neurologische Zielgruppe erkannt, dass YouTube derzeit die präferierte Social-Media-Plattform auch bei der beruflichen Nutzung sei: Aber auch Facebook, Instagram, LinkedIn oder Twitter seien nicht mehr aus der Kommunikation wegzudenken. „Mit Sermo etabliert sich gerade aber auch ein soziales Netzwerk, das sich explizit an Ärzte richtet“, so Heizenreder. Unterschiedliche Facharztgruppen zeichneten sich aber auch durch ein unterschiedliches Informationsverhalten aus, darauf weist
Bianca Specht hin: „Während wir bei einigen eine Tendenz hin zu kurzem und knackigem Content sehen, widmen sich andere eher Formaten mit inhaltlicher Tiefe“, so Specht. Darüber hinaus sei zu beachten, dass verschiedene Plattformen mittels ihres Algorithmus unterschiedliche Formate begünstigen.
Wenn ein Unternehmen bei der Kommunikation mit HCPs die Awareness zu einer bestimmten Erkrankung erhöhen wolle, dann sollte der Content vor dem Fachkreis-Login stattfinden, empfiehlt Laura Geisreiter und nennt herfür LinkedIn als aktuell relevanteste Plattform. Wolle man jedoch seine Stellung im Fachdiskurs der approbierten HCPs stärken, seien Expertennetzwerke wie DocCheck und coliquio einen Blick wert.
Die meisten Unternehmen würden sich auf aktuell auf LinkedIn fokussieren, andere Social-Media-Plattformen würden eher privat genutzt und seien für Pharma-Unternehmen in der Fachkommunikation mit HCPs weniger relevant, sagt Monika Funck. „Einen deutlich höheren Stellenwert als Social Media haben aus unserer Sicht aber die digitalen Kanäle renommierter Fachverlage und Ärzte-Communitys.“
■ Relevante Inhalte direkt und sicher kommunizieren
Für Daniel Haak von der DocCheck-Community bietet gerade die Geschlossenheit reiner Ärzte-Communitys viele Vorteile. Zum einen sei die Zielgruppe der HCPs an einem virtuellen Ort versammelt und zum anderen könnten sich die HCPs untereinander viel offener austauschen, Fragen stellen und auch Fragen offen beantworten. Gleiches gelte für die pharmazeutischen Unternehmen, da sie hier nicht dem HWG-Reglement unterliegen. „Relevante Inhalte können so direkt und sicher an die HCPs kommuniziert werden“, so Haak. Pharmaunternehmen könnten einen Kanal inmitten der Community eröffnen und so zum Content Creator werden. Man unterstütze dann von der Konzeption über die Bewerbung des Kanals bis hin zum Reporting. „Darüber hinaus bieten wir Tools und Services, die aus passiven Content-Konsumenten aktive HCPs machen. Hier holen wir die Ärzte per Live-Chat oder Video-Call ab, wenn sie Zeit und Interesse haben. Damit übernehmen wir den First-Level-Support für die Pharmaunternehmen und können ihnen einen echten HCP-Lead übergeben“, berichtet Haak.
Ein Ärztenetzwerk ermögliche es Healthcare-Unternehmen, Ärztinnen und Ärzte über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg wirkungsvoll zu erreichen, sagt Kerstin Dehn von coliquio. Die Platzierung von Bannerwerbung auf der Plattform biete die Chance, mit der Marke schnell auf den Markt zu kommen, Präsenz zu schaffen und so die Marken- und Produktbekanntheit zu steigern. Insights aus der Community würden fundierte Interpretationen und Strategieempfehlungen liefern, um die weitere Kommunikation an die Bedürfnisse und Herausforderungen der Zielgruppe anzupassen. Neben redaktionellen Inhalten, Infografiken, Kasuistiken, aber auch Webinaren und On-Demand-Videoinhalten gebe es ein breites Portfolio, um relevantes Indikations- und Produktwissen zu vermitteln oder darüber hinaus auf anderen Kanälen gezielt einzusetzen. „Durch das vertrauensvolle, ärztliche Umfeld werden die Botschaften nachweislich relevanter eingestuft als Informationsangebote von Unternehmen“, hebt Dehn hervor.
Auch für Benjamin Häusser vom änd Ärztenachrichtendienst punkten geschlossene Fachcommunitys damit, dass sie HCPs die Möglichkeit eines gezielten Meinungs- und Informationsaustauschs innerhalb der eigenen Berufsgruppe, ohne auf besondere Informationsbelange anderer Bevölkerungsgruppen Rücksicht nehmen zu müssen, eröffnen. Insbesondere bei medizinisch-fachlichen Fragen – aber auch bei berufsrechtlichen und organisatorischen Themen – sei so eine gewinnbringende Diskussion auf Augenhöhe möglich. „Dies geschieht zum Beispiel im änd in einem Umfeld, dass aufgrund der redaktionellen und von den Pharmaunternehmen eingebrachten Informationen einen fruchtbaren Boden für Interaktionen über medizinische Belange bietet“, so Häusser.
Social Media lebt nicht nur vom Content, sondern vor allem auch von der Interaktion. Damit diese in Gang kommt, sind für Daniel Haak Mut und Neugier entscheidend. „Content Creators – und nichts anderes sind Pharmaunternehmen in diesem Fall – sollten den Mut haben, neue Wege zu gehen und bestehende Inhalte interessant aufzubereiten.
Für Dr. Klaus Schrage ist das Zielgruppen-Know-how ganz entscheidend: „Je besser wir die Zielgruppe kennen, umso besser der Content – und die Wiedererkennung, das Angesprochen sein und die Interaktion.“ Dafür lohnten sich intensive Interviews mit der Zielgruppe, und natürlich sollte das Wissen von Außendienst und Medical Liaison einfließen.
Sonja Heizenreder sagt, bei der Fachkommunikation gehe es nicht unbedingt darum, Reaktionen wie Likes oder Kommentare zu erzielen. Idealerweise „packe“‘ man die HCPs auf Social Media und wecke dabei so viel Interesse, dass sie dem Link folgen – „ein wichtiger Kennwert für eine erfolgreiche Fach-Social-Media-Kommunikation sind Link-Klicks“ – um sich dann im geschützten Bereich beispielsweise ein Animationsvideo zum Wirkmechanismus oder eine Studienzusammenfassung zu den jüngst beim Kongress vorgestellten Ergebnissen durchzulesen.“
Für Interaktion mit den eigenen Inhalten gebe es keine Zauberformel, so Katharina Radunz von coliquio. Content funktioniere dann gut, wenn er relevant für die Zielgruppe sei – „weg von produktzentrierter hin zu kundenzentrierter Kommunikation also“. Durch besondere Formate wie Quick Polls oder Rätsel lasse sich die Interaktionsrate zusätzlich steigern. „Auch immer gut funktioniert kontroverser Inhalt, der natürlich mit Risiken versehen ist, aber erfahrungsgemäß zu spannenden Diskussionen und Interaktion führt.“