Die zunehmende Integration von Marketing und Vertrieb verändere die Agenturarbeit fundamental, stellt Martin Süßmuth, Vorstand von Die Crew AG, welche auf „Creative Sales Campaigning“ spezialisiert ist, fest. Es gehe nicht mehr darum, isolierte Kampagnen zu entwickeln, sondern man müsse mehrstufige Kommunikation entlang der gesamten Vertriebskette denken und verstehen. Das beginne damit, dass man die Kommunikations- und Vertriebskanäle wirklich durchdringen müsse: „Wer kommuniziert entlang dieser Kette wann mit wem? Wie funktioniert die Kommunikation vom Marketing zum Außendienst, vom Vertrieb zum Kunden, zum Beispiel in der Apotheke oder am digitalen Point-of-Sale?“ Des Weiteren gehe es darum, die vertrieblichen Touchpoints zu verstehen: „Wie lange dauert ein Vertriebsgespräch und welche Rahmenbedingungen gibt es? Wie läuft Key Account Management bei Online-Apotheken ab?“
„Diese Realitäten bestimmen, welche Kommunikationslösungen tatsächlich funktionieren“, stellt Süßmuth klar. Entscheidend sei, die Bedürfnisse des Vertriebs zu erkennen: „Was braucht er für optimale Kundengespräche? Wie können Marketing-Touchpoints direkt auf Vertriebsziele einzahlen?“ Der Schlüssel liege in einer grundlegenden Haltungsänderung: „Wir müssen den Vertrieb als erste Zielgruppe in der Kommunikationskette verstehen und behandeln. Denn wenn diese Stufe nicht funktioniert, kann auch die beste Kommunikationsstrategie nichts ausrichten. Diese Rolle als Enabler für den Vertrieb schafft die Voraussetzung für echte Wirkung am Markt.“
■ Zusammenarbeit ist eine Frage der Kultur
Gunther Brodhecker, Geschäftsleiter und Creative Director bei Schaller Health, bestätigt, dass die Zeit der Silos – „Vertrieb hier, Marketing dort“ – vorbei sei: „Heute rücken sie näher zusammen. Nähe allein reicht aber nicht.“ Daher sei sein Ansatz der folgende: „Vertrieb ist kein Tool – Vertrieb ist eine Zielgruppe.“ Wenn Marketing diese Perspektive einnehme, verändere das alles: Bei Schaller Health denke man nicht in Kanälen, sondern in Menschen – mit ihren Bedürfnissen und, warum auch nicht, mit ihren Befindlichkeiten. „Wir entwickeln Materialien, die der Vertrieb will, nicht nur solche, die er braucht. Wenn der oder die Mitarbeiter:in die Inhalte gerne mitnimmt, verschickt oder auf dem eigenen Device ‚streichelt‘, ist viel gewonnen, so Brodhecker. Denn dann werde alles besser: Relevanz, Resonanz und letztlich auch die Performance.
Was seiner Meinung nach oft übersehen wird: Der Außendienst sei auch die organischste Marktforschung, die es gibt. Diese „Marketingstrategen an der Front“ lieferten wertvollen Input – direkt aus dem echten Leben. „Ihre Geschichten, Argumente und Widerstände sind strategisches Gold. Mit ihnen wird Marketing spitzer, relevanter, überraschender“, so Brodhecker. CRM-Systeme spielten dabei eine Rolle – aber nicht die Hauptrolle. Denn wenn Marketing und Vertrieb wirklich zusammenarbeiten, entstehe kein Datenfriedhof, sondern intelligente Sales-Journeys und klar definierte Leads. Doch so wertvoll diese technische Schnittstelle auch sei – sie ersetze keine Haltung. „CRMs sind keine Paartherapie für Marketing und Vertrieb“, betont Brodhecker. „Ohne gegenseitigen Respekt und echtes Interesse an der Perspektive des anderen helfen auch geteilte Daten nicht. Zusammenarbeit ist keine Systemfrage. Sie ist eine Frage der Kultur.“
Doch natürlich knirsche es auch heute noch manchmal – weniger wegen der „Silos“, mehr wegen alter Muster, Eitelkeiten und Befindlichkeiten. „Als Agentur sind wir dann manchmal in der Rolle des Animateurs, des Brückenbauers. Wir wecken Lust auf gemeinsamen Erfolg – und wenn die erstmal da ist, rücken die Egos von ganz allein ein Stück zur Seite.“
V.l.n.r.: Holger Schönecker (Pharmakon Software), Jörn Jackowski (ysura), Gunther Brodhecker (Schaller Health), Christoph Witte (Pink Carrots), Martin Süßmuth (Die Crew), Dr. Jörg Mütze (Veeva Systems)
■ Ein gemeinsames Ziel
Auch für Christoph Witte, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Pink Carrots, geht es in erster Linie darum, Kommunikation gemeinsam zu denken. Denn es hätten ja schließlich alle ein gemeinsames vorrangiges Ziel: die optimale Positionierung einer Brand oder eines Medikaments und ihres Mehrwerts bei HCPs zum Wohle von Patientinnen und Patienten. Dabei böten moderne CRM-Systeme eine Schnittstelle für Marketing und Vertrieb, um auf gemeinsame Daten zuzugreifen und gemeinsam erfolgreich zu agieren.
Für eine gute Basis brauche es allerdings den persönlichen Austausch, und zwar schon beim Aufsetzen der Kommunikationsstrategie, betont Witte. Denn nur so könnten die Weichen schon frühzeitig auf Erfolg gestellt werden. Wie arbeitet das Marketingteam und wie das Vertriebsteam, welche Touchpoints bedienen sie und welche Inhalte werden in welchen Phasen des Kundenkontakts benötigt? „Werden diese Fragen gleich gemeinsam erörtert, wird aus einer Kommunikationsstrategie ein abgestimmtes Set aus Maßnahmen, das kanalübergreifend Wirkung entfaltet – von der Markenbotschaft bis zum individualisierten Sales-Material“, so Witte. Und auch die Erstellung von Kommunikationsmaterialien gewinne vom gemeinsamen Denken: Inhalte sollten modular, personalisierbar und nutzungsfreundlich für beide Bereiche sein – sei es für Omnichannel-Kampagnen, digitale Sales-Unterlagen oder wissenschaftlich fundierte Gesprächsleitfäden. „Kommunikationsagenturen können dabei als Vermittler fungieren und inspirieren“, sagt der Pink-Carrots-Gründer. „Sie helfen, Erkenntnisse aus Marketing- und Vertriebskanälen zu bündeln, Feedback aus dem Außendienst systematisch einfließen zu lassen und Content entlang der Customer Journey konsistent weiterzuentwickeln.“
■ Nicht nur Daten verwalten, sondern Zusammenarbeit ermöglichen
Holger Schönecker, Geschäftsführer des CRM-Anbieters Pharmakon, hat das oft zitierte „Gegeneinander“ von Marketing und Vertrieb nach eigener Aussage so ausgeprägt nie erlebt. Vielmehr zeige sich ein klarer Wille zur Zusammenarbeit, auch wenn diese in der Praxis nicht immer einfach sei. Unterschiedliche Zielgruppen, Prozesse und Messgrößen führten dazu, dass beide Bereiche teilweise mit unterschiedlichen Werkzeugen und Denkweisen arbeiteten. Gerade im Projektkontext kämen die Beteiligten häufig noch getrennt an den Tisch – mal der Vertrieb, mal das Marketing. „Eine getrennte CRM-Verantwortung existiert im Mittelstand kaum, oft gibt es eine übergreifende Ansprechperson. Dennoch bleibt die organisatorische Trennung auf Leitungsebene bestehen. Das verbindende Element ist das CRM und es bietet viele Möglichkeiten, Silostrukturen aufzubrechen, wenn es richtig aufgesetzt ist“, sagt Schönecker.
Dabei sollte ein CRM-System für die Pharmabranche eine konkrete Zusammenarbeit ermöglichen und nicht nur Daten verwalten, wie er betont. Zentrale Grundlage dafür sei eine gemeinsame Datenbasis, die sowohl vom Vertrieb als auch vom Marketing aktiv genutzt und gepflegt werde. „Erst wenn Informationen über HCPs, Interaktionen und Reaktionen systematisch erfasst und zugänglich sind, kann das Marketing gezielter agieren und der Außendienst individueller auf die Bedürfnisse vor Ort eingehen“, betont Holger Schönecker. Dabei würden sich die Arbeitsweisen beider Bereiche teils deutlich unterscheiden: Während der Außendienst stärker personen- und beziehungsorientiert operiere, gehe das Marketing typischerweise segmentbasiert oder kanalgetrieben vor. Ein gutes CRM berücksichtige diese Unterschiede mit spezifischen Funktionen, zugeschnitten auf die jeweiligen Anforderungen – etwa durch rollenbasierte Oberflächen, differenzierte Ansichten und modulare Zugriffsrechte.
Besonders wichtig sei die Integration von Marketingmaterialien direkt ins CRM: Inhalte sollten zentral freigegeben, versioniert und für den Außendienst sowohl stationär als auch mobil leicht verfügbar sein. Noch wirkungsvoller werde dies durch intelligente Content-Empfehlungen, die sich am Profil und Verhalten der HCPs orientieren, wobei KI-gestützte Module unterstützen könnten. Gute CRM-Systeme ermöglichten darüber hinaus auch die aktive Zusammenarbeit beider Teams: „Marketing kann gezielte Vertriebsimpulse auslösen – automatisiert oder manuell –, etwa wenn nach einer digitalen Maßnahme ein Follow-up durch den Außendienst sinnvoll ist. Umgekehrt kann der Außendienst Informationsbedarf zurückmelden, den Marketing oder Medical dann gezielt bedienen. Diese Rückkopplung funktioniert dann gut, wenn Benutzerfreundlichkeit, Transparenz und Prozesse stimmen“, so Schönecker.
■ Ein CRM-System kann eine zentrale Rolle spielen
Nicht selten sei in der Vergangenheit in unterschiedlichen Systemen gearbeitet, die Zielgruppen unterschiedlich bewertet oder gar widersprüchliche Botschaften ausgespielt worden, so der Head of Product Management beim CRM-Anbieter ysura, Jörn Jackowski. Heute würden viele Pharmaunternehmen erkennen, dass eine enge Verzahnung von Marketing- und Vertriebskommunikation kein „Nice to have“, sondern eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Zielgruppenansprache ist. „Vor allem durch die Digitalisierung und die stärkere Orientierung am Customer Engagement rücken beide Bereiche näher zusammen – und es entsteht ein neues, gemeinsames Verständnis für den Kunden“, berichtet Jackowski.
Ein CRM-System könne hier eine zentrale Rolle spielen, wenn es die spezifischen Anforderungen der Branche erfüllt: Das System müsse die Compliance-Anforderungen der Industrie berücksichtigen, etwa in Bezug auf DSGVO, Pharmakovigilanz oder Zuwendungsgrenzen. „Gleichzeitig sollte ein modernes CRM Funktionen bieten, die über die klassische Kontaktverwaltung hinausgehen – wie etwa ein Kampagnenmanagement, eine personalisierte Ansprache über verschiedene Kanäle im Sinn von Omnichannel, eine Einbindung von Außendienst-Feedback in die Content-Strategie und die gesamte Customer Journey“, so Jörn Jackowski. Nur wenn Marketing und Vertrieb auf dieselbe Datengrundlage zugreifen und daraus gemeinsame Schlüsse ziehen könnten, entstehe ein echter Mehrwert für die Zusammenarbeit – und letztlich für den Kunden.
■ Jede Interaktion wertvoll gestalten
„Die Dynamik zwischen Marketing und Vertrieb in der pharmazeutischen Industrie hat sich erheblich weiterentwickelt, und zwar zum Besseren“, konstatiert Dr. Jörg Mütze, Head of DACH (Commercial Solutions) Strategy bei Veeva Systems. Während die beiden Bereiche in der Vergangenheit häufig in Silos gearbeitet hätten, würden führende Biopharmaunternehmen nun zu einem ganzheitlichen, kundenorientierten Ansatz für die Interaktion mit dem medizinischen Fachpersonal (HCP) übergehen. Dieser Wandel sei auch zwingend notwendig, so Mütze, denn einerseits stünden Ärzte unter enormem Zeitdruck, andererseits würden die Unternehmen zunehmend die Chancen erkennen, die in vernetzten Geschäftsmodellen liegen. Zudem verändere der Trend zu Spezialmedikamenten die Art der Markteinführung: Erforderlich seien hochgradig zielgerichtete, datengesteuerte Strategien, um kleinere Gruppen von Fachärzten mit genau den Informationen zu erreichen, die sie brauchen, und zwar genau dann, wenn sie diese benötigen. „Dieses Maß an Präzision ist nur durch eine nahtlose Abstimmung von Marketing und Vertrieb zu erreichen.“
Das führe außerdem auch zu einer Verschiebung des Fokus – weg von traditionellen Kennzahlen wie der reinen Besuchsfrequenz und hin zu qualitativen Kriterien wie Relevanz, Koordination und Serviceorientierung. Dr. Jörg Mütze: „Es geht darum, jede Interaktion – egal aus welcher Abteilung sie stammt – für den Arzt wertvoll und konsistent zu gestalten.“ Zukunftsorientierte Unternehmen würden integrierte Interaktionsmodelle einführen, bei denen Marketing, Vertrieb und Medical Affairs als ein einheitliches Team agieren. Die Mitarbeiter tauschten Erkenntnisse in Echtzeit aus, stimmten Inhalte präzise ab und stellten sicher, dass jede Interaktion auf der vorherigen aufbaue. Diese vernetzten Modelle machten es nicht nur einfacher für die HCPs, sondern verbesserten auch die Akzeptanz von Therapien und führten so letztlich auch zu besseren Ergebnissen für die Patienten.
Ein CRM-System sei dabei die strategische Plattform, die Vertrieb, Marketing und medizinische Teams befähigt, als eine Einheit zu agieren und eine konsistente, relevante und für jeden HCP personalisierte Ansprache zu liefern. Erst auf einem Fundament aus sauberen, vernetzten Kundendaten könne die Technologie ihr volles Potenzial entfalten. „Aus unserer Sicht ist die effektivste CRM-Plattform die, in der Künstliche Intelligenz direkt in die täglichen Arbeitsabläufe eingebettet ist“, sagt Dr. Jörg Mütze. „Kontextbezogene KI-Assistenten helfen den Teams, die nächstbesten Schritte zu priorisieren, passende Inhalte vorzuschlagen und Interaktionstrends in Echtzeit zu interpretieren. Das ermöglicht eine präzise und agile Personalisierung der Ansprache.“