Healthcare Professionals seien nicht nur medizinische Expert:innen, sondern auch Konsument:innen, die tagtäglich innovative Kommunikations- und Informationserfahrungen machen. „Diese Erlebnisse prägen die Erwartungshaltung, auch im beruflichen Kontext“, sagt Dr. Thomas Kleinoeder von der Agentur KWHC. Die Möglichkeit, Fortbildungsinhalte bequem von zuhause aus zu konsumieren, werde daher zunehmend geschätzt, aber solchen On-Demand-Formaten fehle die Möglichkeit zur direkten Rückfrage oder Diskussion. Deshalb hätten Live-Fortbildungen – insbesondere digitale Formate – noch immer eine große Berechtigung. „Präsenzveranstaltungen wiederum bieten einen sozialen Mehrwert: Der persönliche Austausch, das Netzwerken, das gemeinsame Erleben – all das lässt sich digital nur bedingt abbilden“, ergänzt Dr. Melanie Howe, die KWHC gemeinsam mit Kleinoeder führt. Die Entscheidung für oder gegen eine Präsenzveranstaltung hänge stark vom Aufwand ab. „HCPs wägen sehr genau ab, was sich für welchen Inhalt und welches Fortbildungsziel lohnt.“ Neue Leitlinien oder neue Therapieoptionen beispielsweise wollten viele Ärzt:innen sofort und direkt erhalten, idealerweise im Dialog mit Expert:innen.

Das Format hängt vom Inhalt ab

Auch Dr. Michael Gorray, Medical Director der Agentur dpmed, stellt fest, dass Ärzt:innen zunehmend Inhalte bevorzugen, die flexibel, kurz und „on demand“ verfügbar sind – zum Beispiel kurze Videos, Podcasts oder modulare eLearnings. Dennoch hätten Live-Formate wie Webinare und Präsenzveranstaltungen weiterhin eine klare Daseinsberechtigung. Webinare eigneten sich besonders für aktuelle Themen, wie neue Studiendaten oder Leitlinienänderungen, die dann direkt diskutiert werden können. Aufzeichnungen könne man zusätzlich im Anschluss als On-Demand-Content bereitstellen, sodass Reichweite und Nachhaltigkeit erhöht werden. „Präsenzveranstaltungen bieten etwas, das digitale Formate kaum leisten können: intensiven Austausch, Networking und Raum für die Vertiefung komplexer Inhalte“, so Gorray. Darüber hinaus seien Kongresse auch eine feste Institution innerhalb der medizinischen Fachgemeinde und deren Sprachrohr.

Die Wahl des Formats hängt für Gorray daher stark vom Inhalt ab: „Kurze Wissenshäppchen lassen sich hervorragend snackable aufbereiten, aktuelle Daten profitieren von der Diskussion in Webinaren, und komplexe oder interaktive Themen entfalten ihre volle Wirkung in Präsenz.“ Der erfolgreichste Ansatz sei meist multidimensional: ein Webinar zur Vorstellung neuer Daten, flankiert durch kurze Clips oder Podcasts für den schnellen Überblick; ein Präsenz-Workshop, ergänzt durch digitale Module zur Vor- oder Nachbereitung; ein großes Symposium, dessen Kernaussagen in snackable Highlights auch Nicht-Teilnehmern zugänglich gemacht werden. Es gehe also nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein intelligentes Zusammenspiel verschiedener Formate.

 

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V.l.n.r.: Dr. Melanie Howe und Dr. Thomas Kleinoeder (beide KWHC), Dr. Michel Gorray (dpmed), Michael Vorbrink (DocCheck Agency)

 

„Snackable Content ist heute Realität und nicht mehr nur ein Trend – kurze, on-demand konsumierbare Formate boomen. Wissen muss heute jederzeit und überall verfügbar sein“, sagt Michael Vorbrink von der DocCheck Agency. Das zeige sich im Nutzungsverhalten von HCPs auf Plattformen wie DocCheck oder der Nutzung kurzer KI-fachlicher Zusammenfassungen, und genauso etwa auch in der zunehmenden Bedeutung von Social Media für das Microlearning. Ein Beispiel dafür sei das „Social-Spinoff“ der Mixed-Reality-App Corpus, in dem die Agentur kompakt in 90-sekündigen Reels anatomische Zusammenhänge oder Krankheitsbilder erklärt werden. Snackables seien der perfekte Teaser – für Awareness, für den Einstieg, für Updates. Tieferes Wissen brauche aber Raum, Zeit und individuelle Lernpfade, was eine Präsenzveranstaltung oder ein gutes, interaktives Webinar besser leisten könne. Vorbrink: „Entscheidend ist: Der Inhalt muss zum Format passen – ‚the medium is the message‘ bleibt die goldene Regel.

Edutainment sorgt für Relevanz und Lebensnähe

Ein wichtiger Faktor in der Fortbildung ist Edutainment. Es gehe dabei nicht nur um „Unterhaltung“, sondern um Relevanz und Lebensnähe, betont Vorbrink. Viel zu oft bleibe medizinisches Lernen abstrakt, weil das Gelernte in keinen alltagsnahen Kontext eingebettet wird. „Genau da setzen beispielsweise unsere virtuellen Patienten (VirPs) an: Virtuelle, mit KI-Unterstützung erstellte Patientenfälle, die eine realitätsnahe digitale Anamnese durchlaufen – inklusive Laborwerten, Vorerkrankungen, Symptomatiken, Bildgebungen und Medikationsplänen.“ Ergänzt um Erklärvideos, Challenges und Quizzes oder ein Diagnose-Feedback entstehe ein Edutainment-Erlebnis, das praxisnahes Wissen vermittelt, interaktiv ist und Spaß macht.

Reine Frontalvorträge – ob digital oder vor Ort – verlören oft an Wirkung, weil sie den Lernenden zu wenig einbinden, stellt Gorray fest. „Stattdessen kommen Methoden zum Einsatz, die Wissensvermittlung nachhaltiger machen. Dazu gehören Gamification-Ansätze wie Quizfragen, Punktesysteme oder kleine Wettbewerbe, die spielerisch zum Mitdenken motivieren.“ Auch er betont die Wirksamkeit von fallbasiertem Lernen. „Interaktive Tools wie digitale Behandlungspfade oder Visualisierungen in 3D ermöglichen es, unterschiedliche Optionen anschaulich zu vergleichen. Ebenso lassen sich kurze Videos, Infografiken oder Live-Umfragen in Sessions integrieren, um die Aufmerksamkeit hochzuhalten.“ Mit Technologien wie Virtual und Augmented Reality ließen sich Krankheitsmechanismen immersiv erlebbar machen und komplexe Inhalte noch eindrücklicher vermitteln. Ergänzen könne man dies durch Storytelling und Patientenperspektiven, beispielsweise in Form von Video-Tagebüchern oder interaktiven Simulationen von Arzt-Patient-Dialogen.

 „Edutainment bedeutet nicht, medizinische Inhalte zu ‚verpacken‘, sondern sie so aufzubereiten, dass sie besser aufgenommen und erinnert werden“, betont Howe. „Dabei ist weniger oft mehr. Ein überfrachtetes Format kann schnell überfordern oder vom Wesentlichen ablenken.“ Als Beispiel aus der Arbeit bei KWHC nennt sie ein digitales Fortbildungsmodul zur leitliniengerechten Therapie chronischer Erkrankungen: Die Teilnehmenden durchlaufen eine virtuelle Patientenreise, treffen Entscheidungen und erhalten direktes Feedback – ergänzt durch kurze Expertenvideos und visuelle Zusammenfassungen. „Das Format ist interaktiv, aber nicht verspielt; es bleibt fachlich fundiert und zielgerichtet“, so Howe.

In einem anderen Projekt habe man ein Quizformat in eine Fortbildung integriert, das gezielt zur Wiederholung und Vertiefung von Inhalten eingesetzt wurde. „Entscheidend ist, dass Edutainment nicht zum Selbstzweck wird, sondern die medizinische Relevanz und die Lernziele unterstützt und angemessen für die Zielgruppe ist.“ Medizin sei ein Beruf, der sich um Menschen kümmert. Daher dürfe das Persönliche, das Soziale, das echte Leben nicht hinter digitalen Effekten verschwinden.

Lernpfade mithilfe von KI aktiv gestalten

Für Dr. Michael Gorray eröffnet künstliche Intelligenz in der Medical Education viele spannende Möglichkeiten, die die Qualität von Fortbildungsangeboten erhöhen können. Sinnvolle Einsatzfelder liegen für ihn vor allem in der Personalisierung von Lerninhalten, der Datenanalyse sowie in der Effizienzsteigerung bei der Erstellung von Formaten. „Mithilfe von KI lassen sich Lernplattformen entwickeln, die Inhalte dynamisch an den Wissensstand, die Fachrichtung oder die Lernpräferenzen einzelner Ärzt:innen anpassen. Quizfragen, Fallbeispiele oder Vertiefungsmodule können dadurch individuell kuratiert werden, so dass ein individueller Lernpfad entsteht.“ Ebenso biete KI Potenzial bei der Simulation klinischer Szenarien, was Medical Education nochmal sehr viel greifbarer mache: Ärzt:innen könnten in realistischen, interaktiven Dialogen mit virtuellen Patient:innen trainieren und ihre diagnostischen oder kommunikativen Fähigkeiten verbessern. Darüber hinaus könne KI bei der Auswertung von Feedback und Lernergebnissen unterstützen, indem sie Muster erkennt, Wissenslücken identifiziert und Empfehlungen für Folgeinhalte ausspricht.

 Neben diesen vielseitigen Chancen gelte es jedoch auch, Risiken und Grenzen zu beachten, mahnt Gorray. Ein wesentlicher Punkt sei dabei die Validität und Verlässlichkeit der Inhalte. „Eine KI denkt nicht, sie trifft Annahmen und wird trainiert. Medizinische Fortbildung darf sich daher nicht auf KI-generierte Informationen verlassen, die nicht durch Expert:innen geprüft sind, da sonst falsche oder unvollständige Aussagen die Patientensicherheit gefährden könnten.“ Ebenso spielten ethische Aspekte und Transparenz eine große Rolle – Ärzt:innen müssten nachvollziehen können, wie Inhalte zustande kommen und ob Bias in den Daten die Darstellung verzerrt. Auch Datenschutz und Vertraulichkeit seien besonders sensibel, wenn etwa personalisierte Lernpfade auf Basis von Nutzerdaten erstellt werden. „Schließlich besteht auch die Gefahr, dass bei zu starker Automatisierung die persönliche Interaktion und die kritische wissenschaftliche Diskussion verloren gehen – beides zentrale Elemente medizinischer Fortbildung.“

„Künstliche Intelligenz kann die ärztliche Fortbildung auf mehreren Ebenen sinnvoll unterstützen – wenn sie gezielt und verantwortungsvoll eingesetzt wird“, findet auch Dr. Thomas Kleinoeder. Besonders relevant sei der Bereich der Personalisierung: KI könne helfen, Fortbildungsinhalte dynamisch an das Vorwissen, die Fachrichtung oder die Interessen der Teilnehmenden anzupassen. So entstehe ein individueller Lernpfad, der die Relevanz und Effizienz deutlich erhöhe.Auch bei der Content-Erstellung setze man bei KWHC bereits KI-gestützte Tools ein – beispielsweise zur automatisierten Generierung von Zusammenfassungen, zur Strukturierung von Inhalten oder zur Erstellung von Quizfragen auf Basis medizinischer Texte. KI-Anwendungen beschleunigten Prozesse und ermöglichten eine konsistente Qualität, ersetzten aber keine fachliche Kontrolle.

Den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Ein weiteres Einsatzfeld sei die Analyse von Nutzungsdaten: KI könne Muster erkennen, etwa welche Inhalte besonders häufig abgerufen oder an welchen Stellen Fortbildungen abgebrochen werden. „Diese Erkenntnisse fließen in die Optimierung zukünftiger Formate ein – immer mit dem Ziel, die ärztliche Fortbildung praxisnäher und nutzerfreundlicher zu gestalten.“ Auch hier gelte, dass Medizin ein Beruf sei, der sich um Menschen kümmert. KI könne Prozesse unterstützen, aber nicht den persönlichen Austausch, die Empathie oder die Erfahrung im direkten Kontakt ersetzen. „Ärztliche Fortbildung muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen – nicht die Technologie. Es geht um das richtige Maß – und darum, das Menschliche nie aus dem Blick zu verlieren“, so Kleinoeder.

Ein „echter Gamechanger“ ist KI für Michael Vorbrink. „Sie wird das Lernen im Healthcare-Bereich massiv verändern.“ KI könne Lernpfade adaptiv gestalten und Lerninhalte individuell auf Vorwissen oder Bedürfnisse anpassen. Ein Beispiel ist der „TRaiNER“ von DocCheck, ein KI-Trainingsassistent für den Außendienst. Die App kombiniert medizinisches Wissen, interaktive und multimediale Formate wie Quiz, Video oder Podcast und simuliert reale Gesprächsflows. Außendienstler können damit nicht nur Inhalte, sondern auch Sprache, Argumentation und Timing trainieren. Die Inhalte werden KI-gestützt erstellt, aber natürlich medizinisch geprüft. Die App ist außerdem per Sprache steuerbar – ein echter Vorteil, wenn der Außendienst zwischen zwei Terminen im Auto sitzt. Das Ergebnis, so Vorbrink: „Lernen wird effizienter, personalisierter – und passt sich an den Alltag der Zielgruppe an. KI ist also kein Selbstzweck, sondern ein Hebel für besser zugeschnittene Lernangebote und ein smarteres Lernen.“