Will man mit KOLs zusammenarbeiten, muss zunächst definiert werden, wer überhaupt die oder der „Richtige“ für die jeweilige Therapie bzw. das entsprechende Produkt ist. Dorothea Küsters, geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur Dorothea Küsters Life Science Communications, sieht dabei drei Aspekte als essenziell an: Erstens eine fundierte Recherche, um die für diese Therapie anerkannten Experten zu identifizieren. Zweitens müssen Format, Zielsetzung und Zielgruppe definiert werden. Suche ich den KOL für einen Vortrag, einen Podcast, ein AdBoard, ein Pressegespräch, einen Informationsstand, ein Interview oder zum Verfassen eines Artikels? Soll Awareness für eine neue Therapieoption im Fokus stehen oder die Vorteile einer Therapie im Vergleich zu anderen? Geht es um eine Stellungnahme zu anderen Expertenmeinungen oder um eine Zusammenfassung neuer Daten? Im dritten Schritt müsse man Hintergrundinformationen zu den identifizierten KOLs zusammentragen: An welchen Veranstaltungen haben sie teilgenommen und wie und wozu haben sie sich geäußert? Und auch die Frage, welcher Ruf ihm oder ihr vorauseilt, sei wichtig. „Zum Beispiel ob er Inhalte ‚gut rüberbringt‘, ein eloquenter Redner ist, sich an vereinbarte Termine hält, und bei den Kollegen und in der Branche ‚beliebt‘ ist“, zählt Küsters auf.
Für Nicole Tappée, Managing Director der MCG Medical Consulting Group, sind „Beziehung, Affinität und Relevanz“ wichtig. „Es sollte im besten Fall eine gute persönliche Beziehung zum KOL bestehen, die Affinität zur Therapie und dem USP des Produktes muss gegeben sein und der Experte sollte eine Relevanz in der Zielgruppe haben. So banal wie wichtig“, sagt sie. Wissenschaftliche Kriterien seien die essenzielle Basis bei der Auswahl, denn darauf setze das Thema „Strahlkraft“ auf – das kann durch die Zugehörigkeit zu Gremien, Skills in der Präsentation oder Moderation und immer mehr auch durch eine eigene digitale Affinität und Reichweite getragen werden“, sagt Tappée.
Bei der Identifikation und Auswahl von KOLs sei es „wie fast immer im Leben“, sagt der Geschäftsführer von medical relations, Oliver Ehrnstorfer. „Es ist vielschichtig – was auch heißt: komplex – und es kommt immer darauf an.“ Das Hauptkriterium für die Ansprache einer Expertin oder eines Experten sei – neben der Fachrichtung und der Expertise im Indikationsbereich – die kommunikative Zielsetzung. Geht es schwerpunktmäßig um Datenvermittlung, dann sei vor allem wissenschaftliches Renommee gefragt. Steht der Aspekt „Aus der Praxis – für die Praxis“ im Vordergrund, dann seien vielleicht eher Niedergelassene interessant. Häufig sei daher auch ein Tandem sinnvoll: Experte A spricht über die aktuellen Studiendaten und Leitlinienvorgaben, Experte B erklärt, was das ‚für uns‘ als Niedergelassene bedeutet.“ Was die „Medienkompatibilität“ betrifft, seien heute eigentlich alle Experten ziemlich „vortragsfit“. „Aber natürlich gibt es auch immer wieder den international renommierten Experten, vor dessen Vorträgen ein doppelter Espresso für das Auditorium eine gute Idee ist“, schmunzelt Ehrnstorfer. Der Saal sei aber trotzdem „proppenvoll“ und zitiert werde er dennoch „an allen Ecken und Enden“, denn was er sage, habe Gewicht.
„Die Einbindung von KOLs soll Daten, Fakten oder Studienergebnisse sowie ihre Bedeutung aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht einordnen, um die Interpretation der Daten durch das Unternehmen zu stützen. Aus unserer Sicht transportiert ein Fach-KOL somit neben den Fakten vor allem Glaubwürdigkeit“, betont Dr. Rolf Vajna, Vice President, Medical/Science, bei Weber Shandwick/IPG DXTRA. „Aber auch der persönliche Auftritt in der Außenwirkung ist zu berücksichtigen“, ergänzt Group EVP Health Business Dr. Torsten Rothärmel. „Handelt es sich bei der Person um eine angenehme, positive, natürliche Erscheinung, kann sie frei und pointiert reden, ist sie kommunikativ erfahren und humorvoll?“ Diese Soft Skills seien zu beachten. Und natürlich sollte der oder die KOL neben der Leidenschaft für das jeweilige Thema auch den Wunsch nach Visibilität und Mitteilungsbedürfnis mitbringen.
Über die Bedeutung und die Anforderungen, die es mit sich bringt, als Expertin bzw. Experte für ein Thema, eine Marke oder ein Produkt zu sprechen, müsse man in der Regel nicht groß aufklären, sagt Dr. Christian Bruer, geschäftsführender Gesellschafter der Agentur 21up. „Für uns ist es wichtig, KOLs zu identifizieren, die sich für ein Thema wirklich begeistern lassen, und da hilft es immens, auf Augenhöhe und mit Sachverstand miteinander sprechen und argumentieren zu können“, führt Bruer aus. Wichtig sei, den KOL nicht in ein „Korsett“ pressen zu wollen. „Die Interpretation, die Praxisrelevanz und die persönlichen Erfahrungen sind das, wofür uns in der Kommunikation ein KOL wichtig ist.“ Diese Aussagen gelte es, zum Beispiel im Rahmen eines Interviews, herauszuarbeiten. „Bei solchen Interviews versuchen wir, eine möglichst ‚intime‘ Gesprächssituation herzustellen, und da muss man dem Kunden auch schon mal sagen, dass es besser ist, wenn kein Firmenvertreter dabei ist“, sagt Bruer. So ergebe sich am ehesten ein bidirektionaler Informationsfluss: Man könne die Botschaften des Kunden vermitteln, erhalte aber auch viele Insights vom KOL, gerade auch Hintergrundinfos „off the record“, was dann eben auch „Marktforschung at its best“ sei.
„Frischer Wind“ durch Rising Stars
KOLs müssen nicht unbedingt „prominent“ sein. Etablierte KOLs punkten zwar mit Bekanntheit und Reputation, nach Erfahrung von Dr. Torsten Rothärmel sind aber Wissenschaftler, die noch nicht so bekannt sind, sogenannte „Rising Stars“, in der Regel motiviert, neue Erfahrungen zu machen und dadurch oft kooperativer und ambitionierter, Neues zu erlernen. „Besitzt der Rising Star bereits eine verantwortungsvolle Position in einer Klinik oder Fachgesellschaft, ist die noch im Aufbau befindliche Reputation kein Hinderungsgrund“, findet Rothärmel.
Bekannte KOL, die berühmten „bunten Hunde“, sprächen oft für zahlreiche unterschiedliche Firmen und Marken, gibt Dr. Christian Bruer zu bedenken. „Ich habe schon Symposien erlebt, auf denen ein KOL während der gesamten Veranstaltung konsequent das falsche, nämlich das Wettbewerbsprodukt, nannte – das ist natürlich der Super-GAU!“ Zudem könnten Ärzte diese Top-Tier-KOL kaum noch einem bestimmten Produkt oder einer Marke zuordnen. „Deshalb setzen wir immer wieder sehr gerne auf ‚Newcomer‘. In diesen Fällen ist die Ansprache, die Information und die Überzeugung eine besondere Herausforderung, die oft auch viel Einfühlungsvermögen bedarf“, berichtet Bruer. Dafür könne sich daraus aber dann auch eine tolle, intensive und langjährige Beziehung entwickeln.
Auch Dorothea Küsters hält es für sinnvoll, „Rising Stars“ frühzeitig einzubeziehen, denn: „Sie bringen ‚frischen Wind‘, haben häufig neue Ideen, etwa was innovative Formate angeht, und sind in der Regel sehr motiviert.“ Aber das müsse im Einzelfall entschieden werden. „Wenn zum Beispiel eine neue Therapieoption eingeführt oder vorgestellt werden soll, würden wir immer einen mit der Behandlung der Erkrankung sehr erfahrenen und renommierten KOL empfehlen“, so Küsters.
Der Aufwand, nicht die Meinung wird entschädigt
Eine vertragliche Fixierung der Zusammenarbeit mit KOLs ist für Nicole Tappée unerlässlich, aber diese sollte nur den grundsätzlichen Rahmen sowie das Honorar beinhalten. „Die eigentlichen Inhalte sollten immer gemeinsam mit dem KOL erarbeitet bzw. durchgesprochen und in der tatsächlichen Ausführung sollte freie Hand gelassen werden“, so Tappée. Denn in der Regel werde der KOL nicht nur aufgrund seiner wissenschaftlichen Kompetenz ausgesucht, sondern auch, weil er zu dem konkreten Projekt passt. „Das impliziert auch, dass er weiß, was er tut und nur wenig Support braucht“, so Tappée.
Wofür Aufwandsentschädigungen gezahlt werden, müsse vertraglich und transparent geregelt werden, betont Dr. Rolf Vajna. Kommunikationsinhalte im Sinne von Interpretationen oder Einschätzungen würden dabei aber nicht vorgegeben. „Um es zuzuspitzen: Ein KOL wird für den zeitlichen Aufwand, nicht für die inhaltliche Meinung entschädigt“, betont Vajna. Die Neutralität und Unabhängigkeit von KOLs sei unbedingt zu beachten.
Bei der Erstellung von Redaktionsplänen, der Umsetzung von Posts, Interviews oder Call to Actions, zum Beispiel für „owned channels“ der Kunden in den Fachkreis-Communities, binde sie KOLs partnerschaftlich ein, sagt Dorothea Küsters. Bei der Besprechung der Inhalte würden deren Anmerkungen, Anregungen und Einwände berücksichtigt. „Sie wissen, was die Kollegen an Unterstützung benötigen und auch, welche Themen gerade diskutiert werden“, betont Küsters. Wenn ein KOL zum Beispiel eine feste Rubrik in einem „owned channel“ eines Kunden bespiele oder einen Podcast moderiere, dann könne man ihm im Rahmen des FSA-Transparenzkodex aber natürlich Unterstützung anbieten. „Erfahrungsgemäß nehmen sie gerne den einen oder anderen Tipp, der das Ergebnis verbessert, an“, so Küsters.
Ehrnstorfer empfiehlt, alle Expertinnen und Experten frühzeitig in die einzelnen Projekte einzubinden und Vorgespräche zu Inhalten und Umsetzung zu führen. „Manchmal muss man einer Grundhaltung entgegenwirken, die in etwa besagt, dass das alles schon ‚aus der Lamäng‘ machbar sei - da zeigt die Erfahrung: Kann klappen, muss aber nicht.“
Wie misst man den Erfolg?
Wie bei allen Kommunikationsmaßnahmen ist es auch im Fall der Einbindung von KOLs wichtig zu wissen, ob und was es gebracht hat. „Der Erfolg einer Zusammenarbeit mit einem KOL lässt sich nicht daran bemessen, wie oft ein Meinungsbildner eine Marke oder ein Produkt nennt, das ist viel zu kurz gesprungen“, betont Dr. Christian Bruer. Vielmehr sei es der „kurze Draht“, der zähle: Kann ich einen KOL eben mal anrufen, um seine Meinung abzufragen? Erhalte ich eine ehrliche, persönliche Aussage? Besteht ein Vertrauensverhältnis, das es ermöglicht, zum Beispiel für Zitate eine generelle Freigabe zu erhalten, um die Freigabeprozesse beim Kunden zu beschleunigen? „In Zeiten, in denen PR-Arbeit immer häufiger mit KPI gemessen werden soll, lässt sich ein solches Vertrauensverhältnis nicht immer unbedingt in Zahlen messen – aber spätestens in der nächsten ‚kommunikativen Krise‘, die wir niemandem wünschen, wird der Wert eines professionellen KOL-Managements für alle evident“, so Bruer.
Für Nicole Tappée umfasst die Erfolgsmessung drei Ebenen: Zum einen die Zusammenarbeit selbst und zwar die Frage: „War es anstrengend und kompliziert oder effizient und sympathisch?“ Zum anderen gehe es um das konkrete Ergebnis des Projektes. Hier sei es wichtig, sich im Vorfeld ein Ziel zu setzen, um dieses Erfolgskriterium im Nachgang bewerten zu können. Und schließlich gehe es auch um das Thema Nachhaltigkeit mit Fragen wie: „Läuft die Zusammenarbeit weiter? Hatte sie einen langfristigen Impact? Haben sich neue Möglichkeiten eröffnet?“
Dorothea Küsters bemisst den Erfolg zunächst daran, wie offen, ehrlich, partnerschaftlich und konstruktiv sie sich gestaltet. Werden die richtigen Themen adressiert, Ideen ausgetauscht, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen geteilt und angesprochen? Eine Zusammenarbeit sei zudem als erfolgreich zu werten, wenn eine Reaktion aus dem spezifischen Fachkreis erfolgt – zum Beispiel hinsichtlich Kompetenz und Relevanz der kundenseitig angebotenen Informationen und Services. Letztlich lasse sich der Erfolg aber auch mittels KPIs über den Output der Maßnahmen evaluieren. Vor allem sei eine Zusammenarbeit aber dann erfolgreich, so Küsters, „wenn sie über Jahre besteht und produktiv bleibt.“