Herr Arntzen, in der Wort & Bild Verlagsgruppe hat sich in den letzten Jahren im Bereich der Digitalisierung enorm viel getan. Inwieweit war die Corona-Pandemie dabei die treibende Kraft, indem sie den Blick auf den digitalen Bereich grundsätzlich verändert hat?
Die Pandemie war sicher nicht die treibende Kraft; sie hat uns nur ermöglicht, unseren zuvor definierten Weg schneller gehen zu können. Wir haben eine sehr klare Vorstellung darüber, was wir können und wo wir nicht so gut sind.
Zugleich haben wir großen Respekt, gepaart mit viel Neugierde und positiver Offenheit, vor den immer dynamischer auf uns einwirkenden Veränderungen, primär technologisch getrieben, aber auch von geopolitischen und ökonomischen Herausfordrungen. Wir sehen Wachstum als unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Zukunft an. Um dieser gerecht zu werden, haben wir uns für ein organisches und anorganisches Wachstum im Bereich der Zusatz- und Neugeschäfte stark gemacht. Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass uns die Gesellschafter und Beiräte ihr Vertrauen schenken und die notwendigen Mittel hierfür zur Verfügung stellen.
So konnten wir in 2019 beginnen, die Isartal Ventures und Isartal Health Media, die beide sehr nah an unserem Kerngeschäft angesiedelt sind, zu gründen. Dabei kümmert sich die Isartal Health Media um das Zusatzgeschäft, während die Isartal Ventures für das digitale Neugeschäft zuständig ist.
Die Pandemie Anfang 2020 hat also unsere Sichtweise, Motivation und strategische Ausrichtung in keiner Form verändert. Wir haben sie sogar nutzen können, um unser Portfolio relativ schnell wachsen zu lassen, weil wir in ganz vielen Fällen exklusiv verhandeln konnten und sehr viele Offerten auf den Tisch bekommen haben. Was auch daran lag, dass sich viele andere Player im Markt mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen hatten, die im Kontext der Pandemie standen.

Könnten Sie den strategischen Hintergrund etwas genauer erläutern? Welche Aspekte spielen eine Rolle, wenn Sie sich an Digital-Health-Unternehmen beteiligen?
Als Verlag haben wir uns seit jeher auf die Fahne geschrieben, komplexe gesundheitsrelevante Informationen leicht verständlich für jedermann wiederzugeben und auf diese Weise die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken. Meine Aufgabe besteht daher auch darin, zu überlegen, wie das in der heutigen Zeit am besten funktioniert. Denn wir wollen den technologischen Fortschritt bestmöglich dafür nutzen. Das heißt, wir müssen schauen, wo wir heute technologisch stehen und wo morgen und übermorgen. Der technologische Fortschritt ist aber so dynamisch und schnell, dass ihn kein Individuum alleine verstehen und einordnen kann. Das geht nur in Partnerschaften und auch deshalb tätigen wir Investments. Wir wollen so am Puls der Zeit bleiben, die Welt besser verstehen und eben auch einordnen können, wie wir diese Veränderungen und die daraus resultierenden Möglichkeiten für unsere Leser und Kunden nutzen können.

Könnten Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Wir haben beispielsweise in die FitTech Company investiert, die sich auf die Vernetzung der technologiegetriebenen Fitness- und Gesundheitsindustrie spezialisiert hat. Es geht also um den Themenbereich Vitalwerte-Tracker, Weareables usw. Das ist ein riesiger Markt, bei dem es auch um Prävention und Früherkennung geht. Für uns die entscheidende Frage: Welche Rolle spielen evidenzbasierte, gesundheitsrelevante Informationen dabei? Da gibt es eine große Schnittmenge und um die besser greifen zu können, haben wir zum Beispiel dort investiert.
Ähnliche Überlegungen liegen allen unseren Beteiligungen zugrunde. Es geht uns um das Networking mit relevanten Playern weltweit, die uns dabei helfen, die jeweiligen Märkte besser zu verstehen und auch wirklich dran zu sein.

Der Grundgedanke ist also der gleiche wie beim klassischen Verlagsgeschäft, nämlich Gesundheitsinformationen für Laien leichter zugänglich zu machen?
Genau. Unser Kerngeschäft basiert auf unserer redaktionellen Kompetenz und unseren etablierten Marken. Das ist gelernt, und wenn wir beispielsweise in den letzten Jahren Podcasts eingeführt haben, dann haben wir dieses Gelernte in einen anderen Medienkanal „gehievt“. Es gibt aber auch Themen, die weiter vom Kerngeschäft weg sind. Bei denen muss man zunächst schauen, wie man sie nutzen kann, um Bedürfnisse besser befriedigen zu können.
Ein zweites Beispiel: Während es bei FitTech sehr stark um das Verständnis von Bedürfnissen und Entwicklung im BtC-Bereich geht, ist Medudy ein Anbieter für Fort- und Weiterbildungsangebote für Ärzte. Dort werden – auch mit künstlicher Intelligenz – digitale Avatare erstellt, um kostengünstiger und qualitativ hochwertigere Fort- und Weiterbildungsangebote anbieten zu können, und das in über 50 Sprachen. Weshalb haben wir dort investiert? Wir glauben fest daran, dass ein solches Angebot auch für unsere Partner, die Apotheker, relevant werden könnte. Denn wenn man sich die Entwicklung ansieht – für eine beträchtliche Anzahl von Landkreisen wird bis 2030 eine Halbierung der Zahl der Hausärzte prognostiziert – ist davon auszugehen, dass die Apotheken bestimmte Leistungen übernehmen werden. Und dann wird es dort auch einen zusätzlichen Bedarf an Weiterbildung geben.
Wir setzen uns also frühzeitig mit den Marktentwicklungen und den daraus resultierenden Bedürfnissen auseinander und sind dann offen für Investments, wenn diese einem solchen Bedürfnis Rechnung tragen können.

Was auffällt: Die thematische Bandbreite der Beteiligungen ist sehr groß.
Durch das schnelle Wachstum unseres Portfolios haben wir eine Visibilität im Markt bekommen, die es mit sich bringt, dass wir relativ viele Ideen, Konzepte und Cases auf den Tisch bekommen. Manchmal ist es so, dass der entscheidende Faktor für ein Investment der Fit mit unserem Kerngeschäft ist, manchmal ist auch das Potenzial und der Need am Markt ausschlagebend. Wir sind ein Gesundheitsverlag und wir haben Gesellschafter, denen es auch wichtig ist, im Gesundheitssystem etwas Gutes zu tun.

Spielt bei den Investitionen eine Rolle, wie weit das jeweilige Unternehmen schon ist? Ist es interessanter, in einer frühen Entwicklungsphase oder nah an der Marktreife eines Angebots einzusteigen?
Das ist immer auch eine Frage des Budgets und der Ressourcen. Beteiligungen an Unternehmen, die im Gesundheitsmarkt bereits signifikante Umsätze und Erträge schreiben, sind für ein mittelständisches Unternehmen fast nicht zu finanzieren. Grundsätzlich gilt: Je weiter das Thema von unserem Kerngeschäft entfernt ist, umso geringer ist meistens die Beteiligungshöhe und umso frühphasiger investieren wir. Das hat auch damit zu tun, dass diese Themen, die weit weg sind, oftmals solche sind, bei denen es uns um den Know-how-Transfer geht – und da macht es keinen Unterschied, ob wir ein oder zehn Prozent haben.
Wir investieren jedenfalls ausschließlich im Gesundheitsmarkt und ausschließlich dort, wo wir der Meinung sind, einen strategischen Mehrwert bieten zu können. Denn wir sind kein Finanzinvestor, sondern ein strategischer Investor. Ganz wichtig ist in unserer Philosophie dabei, dass wir den Unternehmen, an denen wir uns beteiligen, totale Freiheit lassen. Wir sind überzeugt davon, dass Unternehmer eigenständig und selbstständig agieren müssen.

Wir haben die enge Partnerschaft, die der Wort & Bild Verlag mit den Apotheken pflegt, eben schon kurz erwähnt. Ist es wichtig, dass man dieser besonderen Kundengruppe erklärt, warum man sich als Verlag in dieser Form breiter aufstellt?
Zu einer Partnerschaft gehören auch Offenheit, Transparenz und Verantwortung. Aber es ist auch aus einem anderen Grund wichtig, die Apotheker mitzunehmen: Über FitTech haben wir beispielsweise Kontakt zum Vitalwerte-Tracker Oura Ring. Ich finde es sehr interessant, mit Apothekern darüber zu sprechen, ob die Verkaufsstelle eines solchen Wearables ein Media Markt sein sollte oder nicht vielleicht doch die Apotheke. Dieser Ring kostet über 300 Euro, hat eine hohe Marge und nimmt auch nicht viel Platz am Point of Sale weg. Für mich ist das ein Produkt, das prädestiniert dafür ist, in der Apotheke verkauft zu werden, denn es geht dabei in erster Linie um die Gesundheit. Aber natürlich gehen damit ganz viele Fragen einher, und wenn ein Investment von uns dazu führt, dass wir mit den Apothekern über mögliche Geschäftsfelderweiterungen sprechen können, dann machen wir aus meiner Sicht als Partner einen guten Job. Denn der einzelne Apotheker hat nicht die Möglichkeit, diese Erfahrungswerte zu bekommen.
Ein anderes Thema ist unser Investment in gesund.de. Das ist ein rein strategisches Investment, das aus unserer Partnerschaft mit den Vor-Ort-Apotheken resultiert. Normalerweise hätten wir es nicht getätigt, denn unser Kerngeschäft sind Gesundheitsinformationen und nicht Transaktionen wie ein Rezept. Wir sehen uns aber in der Verantwortung, dabei zu helfen, eine konzertierte Lösung für die Apotheker zu finden, mit der sie konkurrenzfähig sind gegenüber den großen Online-Apotheken.

Wie aufgeschlossen sind die Apotheker gegenüber solchen neuen innovativen digitalen Produkten wie dem Oura Ring?
Wir können anhand solcher Beispiele Potenziale aufzeigen. Ob diese Potenziale dann genutzt und gehoben werden, ist eine individuelle Entscheidung. Es gibt Apotheker, die sehr aufgeschlossen sind, und andere, die sagen: „Wir haben schon genug um die Ohren.“ Dafür habe ich auch Verständnis. Aber es ist schon mal förderlich, wenn man sich überhaupt damit auseinandersetzen kann, welche Entwicklungen es gibt.

Wie sieht das bei den Apothekenkunden aus? Erwarten diese vielleicht sogar, dass die Apotheke solche Produkte anbietet?
Es ist vielleicht gar nicht die Frage, ob die Kunden das erwarten. Sollte man nicht die Bedürfnisse antizipieren und entsprechende Angebote und Leistungen proaktiv anbieten? Mit diesen Gadgets und Wearables gehen viele gesundheitsrelevante Fragen einher. Mal angenommen, ich habe über einen längeren Zeitraum schlechte Schlafwerte, warum sollte ich dann nicht in der Apotheke nachfragen, ob man mir dafür etwas empfehlen kann? Und dann ist es gut, wenn der Apotheker weiß, was so ein Gerät überhaupt ist. Diese Entwicklung wird ja auch weitergehen. Übrigens nutzen auch immer mehr ältere Menschen derartige Produkte.

Dabei spielt wohl auch eine Rolle, dass die Apotheker vor dem Hintergrund der abnehmenden Ärztedichte immer mehr die Rolle des Gesundheitsmanagers übernehmen.
Ich denke, dass der Apotheker schon jetzt ein ganz wichtiger Gesundheitsberater ist und nicht nur in Bezug auf ein einzelnes Medikament isolierte Informationen abgibt. Seine Rolle ist viel umfassender und seine Bedeutung für ein Gesundheitssystem mit immer weniger Ärzten und einer immer älteren Bevölkerung wird weiter wachsen. Wir sind heute länger fit, werden aber auch überproportional lange Pflegefällle sein. Das heißt, der Bedarf nach Gesundheitsinformationen und Betreuung wird deutlich zunehmen, und in dieser Konstellation ist die Apotheke immens wichtig.
Mit unseren Investments im Bereich Digital Health wollen wir letztlich auch die Apotheke in ihrer Rolle unterstützen. Der Wissenstransfer ist extrem wichtig, um Märkte besser verstehen zu können. Indem wir das tun, werden wir unserer Verantwortung der Apotheker- wie auch unserer Leserschaft gegenüber gerecht, und auch der gegenüber dem Gesundheitssystem insgesamt.