„Vor allem der Begriff ,Personalisierte Medizin‘ muss klar definiert werden, da andere Begriffe wie zum Beispiel stratifizierte Medizin oft synonym verwendet werden und nicht dasselbe bedeuten“, betont Martin Verdino, Gründer und Partner der Werbeagentur Verdino in Wien, „denn in der Kommunikation ist es besonders wichtig, dass alle Beteiligten auch immer vom Gleichen sprechen, daher sind Klarstellungen, Erklärungen und klare Definitionen der erste Schritt von erfolgreichen Kommunikationsmaßnahmen.“

Beginnen auch wir damit: Im Einklang mit einer besseren Diagnostik macht die Personalisierte Medizin eine genauere Patientencharakterisierung möglich und bietet damit die Chance einer zielgerichteten medizinischen Intervention. Hierzu zählen Real-World-Daten wie beispielsweise Alter, Raucherstatuts, Stresslevel, Ernährung, physische Konstitution, aber auch Daten aus Wearables oder Gesundheits-Apps fallen darunter.

In Kombination mit einer verbesserten Diagnostik, die durch genetische, molekulare und zelluläre Tests herbeigeführt werden kann, wird so eine gezielte Therapie möglich, die speziell auf das individuelle Krankheitsbild zugeschnitten ist. Vor allem in der Onkologie kommt Personalisierte Medizin aktuell zum Einsatz, denn Tumor ist jetzt nicht mehr gleich Tumor – der in der Regel in einer Kombination von Chirurgie und Chemotherapie behandelt wird.

Tumore sehen nur gleich aus, sind es aber nicht. Auf histologischer Ebene schon andeutungsweise sichtbar, eröffnet beispielsweise der Blick auf die Tumor-Zellen-DNA ganz unterschiedliche Ursachen und Genveränderungen. Das hat nicht nur eine diagnostische, sondern auch eine therapeutische Bedeutung, denn auch die Prognosen sehen je nach Tumor-Spezifikation unterschiedlich aus. Die auf den Tests basierende Einteilung der Patienten in Subgruppen – je nach Tumormerkmalen – nennt man Stratifizierung.

Momentan sind 103 Medikamente der Personalisierten Medizin zugelassen (Stand: 12.05.2023, vfa), vor deren Anwendung eine genomische, molekulare oder zelluläre Testung vorgeschrieben, für wenige nur empfohlen wird. An welcher Stelle und mit welchen Informationen können Ärzte von Pharmaunternehmen in diesem rudimentär kompetitiven, aber hochgradig informationsbedürftigem Umfeld mit Kommunikationsmaßnahmen unterstützt werden?

„Sie benötigen zunächst eine fundierte und verständliche Information über die genauen Mechanismen der Personalisierten Medizin, einschließlich der Vorteile und potenziellen Risiken“, erklärt
Heiko Pröger, Geschäftsführer von Spirit Link. Außerdem benötigten sie Unterstützung bei der Identifikation geeigneter Patienten und beim Verständnis sowie der Interpretation von Testergebnissen. Pharmaunternehmen könnten dazu beitragen, indem sie klar und transparent über die Wirksamkeit und den Nutzen ihrer Produkte informieren, Schulungen und Weiterbildungen anbieten und Informationsmaterialien bereitstellen.

Zielgruppen früh miteinbeziehen

Verdino, der mit seinem Team im letzten Jahr eine Awareness-Kampagne zur Zukunft der Medizin für Roche Austria entwickelt hat, berichtet: „In unseren Projekten beziehen wir die Zielgruppen, egal, ob HCPs oder Patienten, schon in frühen Phasen ein und finden in Interviews heraus, was die Gruppen beschäftigt, wo sie Herausforderungen bei der Informationsbeschaffung sehen; und auch, ob sie alles verstehen, was ihnen vermittelt wird. Gerade bei komplexen Themen wie der Personalisierten Medizin ist es sehr wichtig, dass die Leute auch wirklich verstehen und nicht nur zuhören.“ Hier müssten Unternehmen mit den Zielgruppen in einen Dialog treten, weg von Werbeslogans und Marketingbotschaften. Dabei könnten externe Partner wie eben Kommunikationsagenturen kompetent unterstützen.

Und auch auf die richtigen Materialien komme es dabei an, so Verdino, „zum Beispiel Basismaterial zur Definition von Personalisierter Medizin, zu den Möglichkeiten von Testungen – auch für Angehörige –, zu den Chancen bei einer Therapie, können HCPs bei dieser Aufgabe jedenfalls unterstützt werden“.

Das sieht auch Jelena Mirkovic, geschäftsführende Gesellschafterin bei komm.passion, so und geht auf die Möglichkeiten der erweiterten Diagnostik und deren kommunikative Herausforderungen ein. „Durch die Notwendigkeit von Biomarker-Testungen vor einer OP bei einer adjuvanten Therapie verändert sich die Patient Journey und dies hat Einfluss auf die beteiligten Fach-Disziplinen sowie den Abstimmungszeitpunkt z.B. im interdisziplinären Tumorboard. Dies alles sollte auch in der Kommunikation berücksichtigt werden.“
Pröger betont zudem, dass die Informationen evidenzbasiert und aktuell sein müssen, dabei aber an Klarheit, Präzision und Verständlichkeit nichts vermissen lassen dürfen.

Mirkovic weist außerdem auf den Umstand hin, dass durch die Stratifizierung viele und recht kleine Gruppen an Patienten entstehen, die alle auch deutlich unterschiedliche Bedürfnisse haben. Diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, stelle eine Herausforderung dar: Für die Mediziner, aber auch für die pharmazeutischen Unternehmen in ihrer Kommunikation mit den HCPs.

„In der Kommunikation stellt sich somit noch stärker als zuvor die Frage: Was ist wirklich relevant für meine Zielgruppe? Mögliche Themen sind hier etwa Aufklärung und Informationen zur Testung: Auf welcher Basis erfolgt die Stratifizierung? Wie laufen die Tests ab? Zu welchem Zeitpunkt sollten sie durchgeführt werden? Und was bedeuten die Ergebnisse für die Therapie?“ All diese Fragen identifiziert Mirkovic als hochgradig relevant für HCPs; aber auch als komplex. „Pharmazeutische Unternehmen können diese Komplexität durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen reduzieren und bei der Therapieentscheidung unterstützen.“

Mit Omnichannel-Ansatz arbeiten

Das bringt uns zu der Frage, wie das in der Praxis aussieht? Darauf hat Mirkovic eine klare Antwort: „Für eine echte personalisierte Kommunikation brauchen wir einen Omnichannel-Ansatz – für Fachgruppen wie für Patienten. Da es hier keine festgelegte Kontaktstrecke gibt, müssen wir die relevanten Kanäle definieren und immer wieder challengen. Ein gutes Customer Relationship Management im Hintergrund, und damit präzise Reportings, ist die Grundvoraussetzung für strategisch saubere Kommunikation.“

Als weitere Bedingung für einen erfolgreichen Omnichannel-Ansatz identifiziert sie, dass die pharmazeutischen Unternehmen die unterschiedlichen Kanäle bespielen und jeweils passendes Material zur Verfügung stellen können und wollen. Mirkovics Tipp: „Hier ist Modular Content eine Möglichkeit, die Höhe der Investitionen in Kommunikation auf Dauer zu senken.“ Kurze Erklärung: Modular Content besteht aus kleinen Content-Blöcken, die vorproduziert und je nach Bedarf immer wieder neu zusammengemischt und ausgespielt werden können.

 

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Die Personalisierung von Content sei daneben auch ein technisches Thema – „hier haben wir in den letzten Jahren sehr große Fortschritte gemacht“, beleuchtet Mirkovic die Agentur- bzw. Kompetenzentwicklung. „Zum einen können wir Ärzten bei einer guten Segmentierung schon den richtigen Content vom Start an liefern. Zum anderen bieten wir interaktionsbasierte Customer Journeys an, bei denen die User über den Verlauf entscheiden. Nehmen wir beispielsweise Video-Content: In der HCP-Kommunikation können z.B. KOLs in interaktiven Videos auf die Interessengebiete der User eingehen.

Bei Webseiten, fügt Mirkovic hinzu, gehe der Trend in Richtung der gleichen Algorithmen, die man aus dem Online-Shopping kenne – auch für HCPs. Durch sogenannte dynamische Grids gebe es nicht mehr die eine Seite für alle User, sondern eine Plattform, die sich an den User anpasst. Und das nicht nur auf Basis vorgegebener Journeys, sondern auch durch die maschinelle Auswertung dessen, was andere User interessant fanden. „Es ist ein bisschen wie das Erlebnis, das wir von Amazon kennen: Dynamische Seiten haben für mich als Userin – und an der Stelle ist es egal ob HCP oder auch Patientin – den großen Vorteil, dass sie sich bei jedem Besuch neu aufbauen und neue Aspekte hervorgehoben werden, die relevant für die entsprechende Erkrankung sind. Der wiederholte Besuch der Seite lohnt sich aus Usersicht also.“

Verdino will ergänzt wissen, dass Pharmaunternehmen HCPs auch mit Studiendaten zu bestimmten Wirkstoffen bzw. Medikamenten, Bild- und Videomaterial für Vorträge, um z.B. Pathways darzustellen, unterstützen können; diese Informationen könnten via Newsletter, retriggered E-Mails oder Data Hubs auf Unternehmensseiten bzw. über Fachgesellschaften als Distributoren zugänglich gemacht werden.

„Ärzte können in Advisory Boards eingeladen werden, um sich über aktuelle Daten auszutauschen, Unternehmen können auch Expertenforen organisieren oder den Austausch in der Peer Group in Lunch Symposien im Rahmen von Kongressen fördern“, zeigt Verdino weitere Dos auf. „Begleitend zu diesen analogen Kommunikationsmaßnahmen sollte auf die aktuelle Datenlage, neue Therapieoptionen und Diagnosetools, Publikationen und Fortbildungen auch auf Social Media hingewiesen werden, insbesondere bei Instagram und LinkedIn.“

Persönliche Kontakte durch den medizinischen oder kommerziellen Außendienst als immer noch wichtige Kanäle bringt Pröger abschließend ins Spiel.