Gamification nutzt psychologische Mechanismen, um das Verhalten der User zu beeinflussen – Challenges und Belohnungen liefern Anreize, sich mit Inhalten zu beschäftigen und das eigene Verhalten zu ändern. Eine spielerische Interaktion mit einer digitalen Anwendung kann den Zugang zu komplexen Informationen erleichtern und so die Gesundheitskompetenz verbessern, aber Patienten auch zur Einhaltung von Therapieplänen motivieren. Aufgrund der voranschreitenden technologischen Entwicklung und den daraus resultierenden Nutzererwartungen wird die Bedeutung von Gamification in Zukunft wohl weiter wachsen – wir stellen einige Beispiele vor.

Ein kleiner Drache hilft bei der Raucherentwöhnung

Auf Gamification-Elemente setzt beispielsweise die App „Smoke Free“ zur Rauchentwöhnung, die seit Anfang dieses Jahres im DiGA-Verzeichnis des BfArM gelistet ist. Fortschrittsindikatoren zeigen kontinuierlich aktualisierte Zahlen zur rauchfreien Zeit, zum gesparten Geld und zu den erzielten gesundheitlichen Verbesserungen. Für das Erreichen von Meilensteinen bei der Raucherentwöhnung erhalten die Nutzer Abzeichen und Zertifikate. „Wir sorgen in der Smoke-Free-App mit täglichen ‚Missionen‘ für positive Verstärkung, die unser Programm zur Rauchentwöhnung für Nutzer deutlich attraktiver macht. Zentrales spielerisches Element ist dabei ein virtuelles Haustier“, erklärt Benedikt Hielscher, Geschäftsführer der Smoke Free 23 GmbH.

Die Nutzer füttern und pflegen einen kleinen virtuellen Drachen, was vom Verlangen nach einer Zigarette ablenkt und positive Verhaltensweisen fördert und belohnt. „Wir setzen Gamification hauptsächlich ein, um die Motivation und Selbstwirksamkeit bei der Rauchentwöhnung zu steigern: Fortschritte zu sehen, Abzeichen und Zertifikate zu verdienen sowie positive Bestärkung zu erhalten, motiviert die Nutzer, weiterhin dem Verlangen zu widerstehen, und stärkt ihr Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit, dies auch zu schaffen“, so Hielscher. Wenn die User eine Mission erfüllen, mit dem Chatbot interagieren oder einen Meilenstein des Programms erreichen, werden sie mit Punkten belohnt, die sie für Kleidung, verschiedene Looks oder Eigenschaften ihres virtuellen Haustiers „ausgeben“ können.

Gesünder im Berufsalltag

Gesundheit im Betrieb ist ein zunehmend wichtiges Thema, denn glückliche und gesunde Mitarbeitende sind auch leistungsfähiger. Daher suchen viele Unternehmen nach Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Die „Gesundheit in Bewegung“ (GiB), eine Unternehmensberatung für betriebliche Gesundheitsförderung und -management, bietet Unterstützung in Form von Seminaren, Vorträgen und Screenings, aber auch in den übergeordneten Prozessen wie der Analyse und dem Gesundheitsmanagement. Nun wollte die GiB auch digital aktiv werden, um gesunde Verhaltensweisen zu fördern und gesundheitsrelevantes Wissen spielerisch zu vermitteln. „Wir stellten uns also die Frage: Wie können wir mit einer Gamification-App Mitarbeitende dabei unterstützen, im Berufsalltag gesünder zu leben?“, berichtet Philipp Reinartz, Geschäftsführer der Agentur Pfeffermind, die sich dem Ziel verschrieben hat, Tasks mithilfe von Game Thinking von der inneren „Muss-ich-machen-Liste“ auf die „Will-ich-machen-Liste“ zu holen.

Wenig Stress, gesunde Ernährung, viel Bewegung und gute Kognition – dafür sorgt im Fall der Anwendung, die für die GiB entwickelt wurde, ein Heer an Lebensgeistern, die in das Haus der Spielenden einziehen. „Als Bewohner des Hauses wollen sie zufriedengestellt werden: Die Spielenden müssen mit den Lebensgeistern verbundene Aufgaben regelmäßig erledigen. Wenn nicht, dann ziehen diese verärgert aus!“, erklärt Reinartz.  Im Gegenzug helfen die Lebensgeister mit Wissenshäppchen und Anleitungen, wie zum Beispiel einer Rückenübung am Arbeitsplatz oder einem gesunden Rezept zum Nachkochen. Mit sammelbaren Punkten kann das Haus ausgebaut werden und das zuvor leere Haus wird nach und nach bunt und lebendig. Mit der Nutzung der App wird einerseits die Durchführung gesundheitsrelevanter Aktivitäten angeregt, andererseits die Etablierung von neuen, gesunden Verhaltensmustern intrinsisch und langfristig unterstützt.

Immersion erweckt Erzählungen zum Leben

Für den Versicherungskonzern Ergo hat die auf kreative Technologien spezialisierte Agentur Demodern eine immersive Beratung im virtuellen Raum entwickelt – die „Ergo VR Experience“. Potenzielle Kunden treffen sich mittels VR-App und -Headset mit einem Ergo-Berater, der sie durch ein gewähltes Setting führt. Ziel ist es, das passende Produkt zu ermitteln. Beim ersten bereitgestellten Anwendungsfall handelt es sich um eine Bergumgebung, anhand derer Kunden zum Thema „Reise-Krankenversicherung” beraten werden. Die potenziellen Risiken, die bei einer Bergwanderung entstehen können und die es abzusichern gilt, werden so erläutert und visualisiert. „Durch Immersion, das Eintauchen in das jeweilige Szenario und dessen Veranschaulichung werden Erzählungen zum Leben erweckt, sie werden zur unterhaltenden Experience. Berater:innen agieren hier in Gestalt eines vertrauenserweckenden Avatars. Das Ergebnis ist eine gewohnte Situation, angereichert mit modernem Storytelling und den Möglichkeiten innovativer VR-Technologie“, erklärt Philipp Peters von Demodern. Um die Kunden auf die Experience einzustimmen, gibt es ein interaktives Onboarding, bei dem sie spielerisch Fragen zu ihrer Person und ihren Vorstellungen und Wünschen beantworten. Die Antworten dienen dann als Grundlage für das Beratungsgespräch.

Ziel der Entwicklung war es, eine neue Zielgruppen-Ansprache in einem neuen, zukunftsträchtigen Beratungskanal zu schaffen. „Die VR-Anwendung von Ergo bietet einen innovativen Service durch persönliche Beratung im virtuellen Raum. Immersives Storytelling und Infotainment heben die Beratungsqualität auf ein völlig neues Level. Die Business-Potenziale von kreativen Mixed-Reality-Technologien, angereichert mit gamifizierten Elementen, sind enorm“, betont Peters.

Mischung aus intrinsischen und extrinsischen Gamification-Mechaniken

Patienten zu einem gelasseneren Leben mit ihrem Tinnitus verhelfen, will die Digitalagentur Pop Rocket. Bei dieser Therapie-App, die nur auf ärztliche Verordnung genutzt werden kann, sei es besonders wichtig gewesen, mit motivierenden Faktoren zu arbeiten, sagt Geschäftsführer Daryl Roske. Auch wenn die App selbst keine „Spiele“ beinhalte, seien alle motivatorischen Elemente an die Faktoren angelehnt, die einen beim Spielen dazu motivieren dranzubleiben. „Bei der Zielgruppe ist grundsätzlich eine erhöhte intrinsische Motivation zu erwarten – die Patient:innen haben ein Interesse die App zu benutzen, um besser mit ihrem Tinnitus leben zu können“, erklärt Roske. Um sicherzustellen, dass die User über einen langen Zeitraum dran bleiben und die Nutzungserfahrung als positiv wahrnehmen, hat Pop Rocket eine gezielte Mischung aus weiteren intrinsischen und extrinsischen Gamification-Mechaniken implementiert.

So gibt es verschiedene spielerische Übungen wie Fragen über den Tinnitus und Gedankenexperimente, welche die User dazu motivieren, in ihren Körper zu „horchen“, um ihren Tinnitus besser kennenzulernen und zu akzeptieren. In informativen Texten sind Punkte versteckt, die durch Anklicken eingesammelt werden. So werden Patienten zum genauen Lesen motiviert und bekommen positives Feedback für ihre Aufmerksamkeit. Darüber hinaus stellt ein Quiz sicher, ob die Inhalte verstanden wurden. Die App stellt auch sicher, dass die Auseinandersetzung mit der Thematik über einen längeren Zeitraum erfolgt, da die einzelnen Kapitel über bestimmte Zeiträume veröffentlicht und nach und nach freigeschaltet werden. „Durch ein besseres Verständnis der Krankheit und das regelmäßige Durchführen von Konzentrations- und Entspannungsübungen sollen Patienten sich weniger von ihrem Tinnitus eingeschränkt oder gestört fühlen und so eine höhere Lebensqualität haben“, fasst Daryl Roske die Zielsetzung zusammen.

Spielerische Reha dank VR-Handschuh

Mit seinem bereits mehrfach ausgezeichneten „Reha-Handschuh der Zukunft” will das Startup Cynteract die Rehabilitation bei Handverletzungen revolutionieren. Inspiriert wurden die Gründer  Gernot Sümmermann und Manuel Wessely, Studenten der RWTH Aachen, von einem Freund, der nach einem Schlaganfall mit den langweiligen und zeitraubenden Übungen zu kämpfen hatte und schließlich abbrach. Cynteract will das ändern: Unter dem Prinzip Gamification haben die Jungunternehmer einen Handschuh entwickelt, der in Kombination mit Virtual Reality funktioniert.

Reha-Patienten, aber beispielsweise auch Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, steuern eigens entwickelte Computerspiele mit Hilfe des Handschuhs, der Bewegungen und sogar Kraftaufwand übertragen kann. So sollen sie motiviert bleiben und Therapieziele spielerisch und damit leichter erreichen. Das Cynteract-Team hat essenzielle Reha-Übungen mit motivierenden Computerspielen kombiniert und diese virtuelle Welt mit einem hochentwickelten Steuerungs- und Messhandschuh verbunden. Der Handschuh misst und speichert während der Therapiespiele alle Bewegungen, was zum einen die Motivation zum häufigen Üben hebt, zum anderen kann der Therapeut den Fortschritt des Patienten digital verfolgen. Unterm Strich sollen alle von dem Reha-Handschuh profitieren: Patienten durch bessere Motivation, Kliniken durch Zeitersparnis und sogar die Krankenkasse durch geringere Ausgaben für kürzere Therapien.