Ein Antrag auf einen OTC-Switch ist in der Regel dann erfolgreich, wenn die Anwendung des Arzneimittels als so sicher angesehen wird, dass keine ärztliche Begleitung erforderlich ist. Geswitchte Produkte haben einen wichtigen Umsatzanteil am OTC-Markt: Auf sie entfielen laut den „OTC-Daten“ des BPI 2022 rund 18,3 Prozent Umsatzanteil. Das sei „ein Beleg für die Relevanz der OTC-Switch-Verfahren für den Markt und ein Hinweis auf die Bedeutung von erfolgreichen OTC-Switches für die Unternehmen“, so die BPI-Publikation.


Dr. Elmar Kroth vom BAH kritisierte im MA&HP-Interview, dass das deutsche Switch-Verfahren im Vergleich zu internationalen Standards veraltet, langwierig und mühsam sei. Hinzu komme, dass Deutschland bei diesem Thema sehr restriktiv agiere. Was aus seiner Sicht vor allem deshalb bedauerlich ist, weil OTC-Switches den therapeutischen Fortschritt zum Patienten brächten. „Innovationen kommen überwiegend über OTC-Switches in diesen Markt“, so Kroth. Neben dieser Teilhabe am therapeutischen Fortschritt sei der niedrigschwellige Zugang zu neuen Arzneimitteln ein weiterer Vorteil für die Patienten, aber auch für das System insgesamt. „Einerseits wird das OTC-Produkt nicht erstattet“, sagte Kroth. „Andererseits profitiert das System durch den nicht vollzogenen Arztbesuch. Die ärztliche Ressource ist knapp und sollte nicht in vergleichsweise einfach zu behandelnde Gesundheitsstörungen investiert werden.“ Angesichts der demografischen Entwicklung und der Ärzteknappheit plädiert Kroth im Namen des BAH daher klar für OTC-Switches – immer unter der Voraussetzung, dass die Wirkstoffe bzw. die Produkte wirksam und sicher sind. 

■ Eine neue Kommunikation

Ein OTC-Switch bedeutet für das herstellende Unternehmen, dass es nicht mehr nur mit Fachkreisen zu seinem Produkt kommunizieren kann, sondern dass es auch mit Laien über mehr als nur Therapieoptionen „sprechen“ und sein Produkt namentlich benennen und bewerben darf – oder sogar muss. Denn im Selbstmedikationsmarkt entscheiden nun Patientin und Patient, welches Produkt sie kaufen.

Ob die Kommunikation über den geplanten Switch gegenüber den Fachkreisen schon während des Verfahrens starten sollte, hängt für Kerstin Germighausen, Geschäftsführerin der Agentur Petersen & Partner, die bereits Switch-Projekte bei HRA Pharma und Sanofi betreut hat, von der Indikation und der Wirkstoffgruppe ab – und davon, ob es Sicherheitsaspekte gibt, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. „Dann kann es Sinn machen, bereits während des Verfahrens diese Aspekte aufzugreifen und dazu zu kommunizieren. Oder auch um die Gelegenheit zu nutzen, frühzeitig Input der entsprechenden Zielgruppen für Post-Switch-Kampagnen abzuholen“, erklärt Germighausen.

Der Geschäftsführer der Agentur Isgro Markenraum, David Salinas, plädiert für Zurückhaltung, bevor nicht absehbar ist, dass der Switch auch wirklich umgesetzt werden kann, um bei den Zielgruppen keine Irritationen auszulösen. Was für ihn aber auf jeden Fall schon in dieser Phase erfolgen sollte, ist die Vorbereitung einer gut aufgebauten Kommunikationslinie auf Herstellerseite. „Unserer Erfahrung nach ist es immens wichtig, im – absehbaren – Erfolgsfall dann auch wirklich schnell die Stakeholder abzuholen“, betont Salinas. Aber auch nach dem OTC-Switch sollte nach Salinas‘ Meinung weiterhin eine Kommunikation mit dem Arzt stattfinden, auch um aus dem bisherigen Verordner einen Empfehler zu machen. Eine Arzt-Kommunikation sei zudem auch dann wichtig, wenn es sich bei dem neuen OTC-Produkt um eines handele, das der Arzt unter bestimmten Bedingungen weiterhin zu Lasten der GKV verordnen darf. Auch Kerstin Germighausen betont, dass die Arztempfehlung nie unterschätzt werden dürfe. Allerdings mache eine Kommunikation in diesem Bereich nur Sinn, wenn man etwas Relevantes zu sagen habe – beispielsweise zu eigenen neuen Daten zur Epidemiologie oder einer neuen Galenik.

Auch die Kommunikation in Richtung Apotheke ist für Kerstin Germighausen stark indikationsabhängig. Beim Switch der „Pille danach“ sei die Kommunikation zum Beispiel deutlich intensiver gewesen als zu Erkältungs- oder Allergiepräparaten. „Bietet das ‚geswitchte‘ Produkt eventuell neue Wirkstoffe und neue Indikationsfelder im OTC-Markt, ist das Potenzial für neue Käufergruppen besonders hoch und sollte kommunikativ ausgeschöpft werden“, empfiehlt David Salinas. Es gelte, vor allem die Beratungssicherheit des Fachpersonals zu stärken, denn natürlich erhofften sich auch die Hersteller vom Switch eine Umsatzsteigerung, für die die Empfehlung in der Apotheke eine wichtige Rolle, insbesondere im Hinblick auf Neuverwender, spiele.

Stammverwender und neue Käufergruppen ansprechen

Was die Zielgruppe der Patienten bzw. Endverbraucher betrifft, muss es nach Germighausen um zwei Aspekte gehen: Diejenigen, die das Produkt bisher verordnet bekamen, sollten in der Bereitschaft gestärkt werden, das Produkt nun auf eigene Kosten zu verwenden. Und es müssten auch neue Käufergruppen erschlossen werden. „Es gibt sicher Patient:innen, die sich freuen, dass sie nun nicht zum Arzt müssen, um sich ein Rezept abzuholen und so Zeit sparen. Die will man ja nicht verlieren. Auf der anderen Seite kostet das Medikament jetzt wahrscheinlich mehr als die Zuzahlung und einige Patient:innen fragen gegebenenfalls nach verschreibungspflichtigen Alternativen. Der größere Markt liegt aber wahrscheinlich in den meisten Fällen im Bereich der ‚neuen‘ Käufergruppen“, sagt Kerstin Germighausen.

Für David Salinas ist das auch ein Thema, das vom jeweiligen Produkt abhängt: „Gibt es echte Alternativen zu dem Produkt, dass nun selbst bezahlt werden muss, die günstiger sind, wird der ein oder andere Patient sicher seinen eigenen ‚Switch‘ zum günstigeren Produkt vornehmen.“ Bei Produkten, bei welchen die individuelle Verträglichkeit im Vordergrund stehe und der Patient weniger preissensibel sei, werde er vermutlich eher bei seinem „Stammprodukt“ bleiben. „So oder so wird der ‚neue‘ Preis bei Stammverwendern eine entscheidende Rolle spielen, die kommunikativ nur eingeschränkt beeinflusst werden kann“, hält Salinas fest. Materialien, die der Patient bereits bei seinem verschreibenden Arzt erhalte, könnten möglichen Reaktanzen aber entgegenwirken. Bei neuen Wirkstoffen und neuen Indikationsfeldern im OTC-Markt sollte das Produkt nach Salinas‘ Meinung nicht nur gegenüber den Apotheken, sondern auch beim Endverbraucher stark beworben werden. Für eine aufmerksamkeitsstarke Neukundenkampagne spreche dann auch, dass mit ihr vielleicht doch auch der ein oder andere Stammverwender überzeugt werden könne. „Doch auch wenn das Produkt keine neuen USPs im OTC-Markt mitbringt, sollte eine gezielte Kampagne für Endkunden angedacht werden, um von Push- & Pull-Effekten zu profitieren“, so Salinas.