Obwohl das Interesse an gesundem Altern und Prävention in Deutschland stetig wächst, ist der Begriff „Longevity“ bislang nur einer Minderheit bekannt: Laut der repräsentativen Studie „BCN Deutschland-Puls 2025“ kennen lediglich 15 % der Befragten den Begriff, während präventive Maßnahmen wie Ernährung oder Vorsorgeuntersuchungen weitaus geläufiger sind. Auch verwandte Begriffe wie „Bio-Hacking“ sind mit 13 % Bekanntheit noch Nischenthemen. Gleichzeitig zeigen die Zahlen, dass Technologien wie Gesundheitstracker oder genetische Analysen auf zunehmendes Interesse stoßen. So wünschen sich 28 % der Deutschen eine genetische Auswertung zur individuellen Gesundheitsoptimierung.
Longevity ist ein interdisziplinäres Feld, das Erkenntnisse aus Molekularbiologie, Präzisionsmedizin, Epigenetik, Ernährungswissenschaft und digitaler Gesundheitstechnologie verbindet. Bei den Bemühungen der unterschiedlichen Fachgebiete geht es um die Früherkennung altersbedingter Veränderungen im Organismus, um präventive Maßnahmen und um therapeutische Ansätze, die zelluläre Alterungsprozesse gezielt verlangsamen oder beeinflussen können. Beispiele hierfür sind Senolytika zur Entfernung alternder Zellen, Substanzen zur Förderung der mitochondrialen Funktion oder Wirkstoffe, die bestimmte Signalwege des Alterns modulieren.
■ Medizinischer Fortschritt und neue Therapieansätze
Die medizinische Forschung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, was das Verständnis der zellulären und molekularen Mechanismen des Alterns betrifft. So werden beispielsweise epigenetische Veränderungen, Telomerverkürzung, chronische Entzündungsprozesse („Inflammaging“) und die Ansammlung seneszenter Zellen als zentrale Faktoren des Alterns identifiziert. Innovative Therapieansätze wie Senolytika, Rapamycin, Metformin oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten werden aktuell in klinischen Studien auf ihre Wirkung zur Verzögerung von Alterungsprozessen und zur Prävention altersassoziierter Erkrankungen untersucht. Auch Gentherapien und Stammzellbehandlungen rücken in den Fokus der Longevity-Forschung. Die Vision: Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden oder Demenz sollen nicht erst behandelt, sondern durch ein besseres Verständnis und Management des Alterns möglichst lange hinausgezögert oder gar ganz verhindert werden.
Für Pharmaunternehmen ergeben sich daraus neue Chancen in der Forschung und Entwicklung: Der klassische Fokus auf die Behandlung chronischer Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Diabetes oder neurodegenerativen Erkrankungen kann durch einen präventiven Ansatz ergänzt werden. Ziel ist nicht nur die Heilung, sondern auch die Erhaltung von Gesundheit, und das im Idealfall bevor klinisch manifeste Krankheiten entstehen. Damit verbunden ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, der das Denken in Therapien erweitert: von reaktiver Behandlung hin zu präventiver Interventionslogik.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung in vielen Industrieländern gewinnt das Thema zusätzlich an Bedeutung. Die Zahl älterer Menschen steigt weltweit. Gleichzeitig wird der Wunsch stärker, möglichst lange gesund, selbstständig und aktiv zu bleiben. Zudem wächst das Interesse an individualisierten medizinischen Lösungen, die nicht nur Krankheiten behandeln, sondern Gesundheit erhalten. Damit verändert sich auch die Erwartungshaltung an pharmazeutische Produkte und Dienstleistungen.
■ Veränderte Zielgruppenansprache und neue Märkte
Für das Pharmamarketing stellt Longevity eine neue kommunikative Klammer dar. Statt rein krankheitszentrierter Kommunikation treten zunehmend Konzepte wie Prävention, Lebensqualität und Gesundheitskompetenz in den Vordergrund. Das verändert auch die Zielgruppenansprache: Patientinnen und Patienten werden zu aktiven Gesundheitsnutzenden, die sich informieren, vergleichen und ganzheitliche Angebote suchen. Unternehmen, die mit ihren Produkten und Services zur gesunden Langlebigkeit beitragen, können sich entsprechend als zukunftsorientierte Gesundheitsakteure positionieren.
Im Alltag setzen viele Menschen bereits auf Prävention: Zwei Drittel achten auf eine ausgewogene Ernährung, 59 % nutzen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel, und 67 % halten Vorsorgeuntersuchungen für wichtig. Studien wie die der Harvard School of Public Health (BMJ, 2020) belegen den Nutzen eines gesunden Lebensstils: Frauen mit vier von fünf gesunden Lebensstilfaktoren leben im Schnitt über 10 Jahre, Männer rund 8 Jahre länger ohne schwere chronische Erkrankungen.
■ Grenze zwischen Innovation und Geldmacherei
Darüber hinaus entstehen neue Schnittstellen zwischen Pharma, Medizintechnik und digitalen Anwendungen. Wearables, kontinuierliches Monitoring und biometrische Datenanalysen eröffnen neue Wege, um Alterungsprozesse besser zu verstehen und individuell zu begleiten. Pharmaunternehmen, die diese Entwicklungen frühzeitig integrieren, können zum Beispiel datenbasierte Mehrwertangebote entwickeln, etwa durch Kombinationen von Arzneimitteln, digitalen Tools und personalisierter Beratung.
Doch es gibt nicht nur Positives an dem Trend. Mit dem Boom rund um Longevity wächst auch die Zahl unseriöser Angebote. Nahrungsergänzungsmittel, Anti-Aging-Produkte und vermeintliche „Jungbrunnen“-Kuren werden oft ohne wissenschaftliche Grundlage vermarktet. Die Grenze zwischen evidenzbasierter Medizin und Geschäftemacherei ist dabei fließend. Für die Pharmaindustrie ist es daher essenziell, sich klar abzugrenzen: durch evidenzbasierte Forschung, transparente Kommunikation und klinisch geprüfte Innovationen. Nur so kann das Vertrauen in neue Therapien und Präventionsansätze langfristig gesichert werden.
■ Longevity als Zukunftschance für Gesundheit und Pharma
Longevity ist damit nicht nur ein wissenschaftliches Konzept, sondern auch ein Markt mit Zukunft. Wer es versteht, medizinisches Know-how mit den Lebensrealitäten einer alternden, gesundheitsbewussten Bevölkerung zu verknüpfen, kann frühzeitig Marktanteile sichern und gleichzeitig einen Beitrag zur nachhaltigen Gesundheitsversorgung leisten. Entscheidend ist, dass die Pharmaindustrie auf wissenschaftliche Seriosität, Transparenz und einen echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten setzt und sich damit klar von reinen Lifestyle- oder Geldmacherei-Angeboten abgrenzt. So kann aus dem Megatrend Longevity ein echter Fortschritt für die gesamte Gesellschaft werden.