Auf dem Weg zur DiPA
>> „Wir entwickeln dieses Unternehmen nicht auf der Grundlage der Art und Weise, wie die Gesundheits- und Altenpflege heute funktioniert – sondern auf der Grundlage der Art und Weise, wie viele dieser Visionäre vorhersagen, dass die Gesundheits- und Altenpflege in Zukunft funktionieren wird“, sagt Diana Heinrichs über das Startup Lindera. Die CEO/Co-Founder und ihr Team bieten seit 2017 einen mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin entwickelten Mobilitätstest an, der das Sturzrisiko von Senioren analysiert.
„Wir sind dabei, die Altenpflege, Orthopädie, Geriatrie, Neurologie, Reha und Online-Fitness zu verändern, indem wir das 3D-Motion-Tracking durch die normale Smartphone-Kamera auf präziseste Weise demokratisieren“, visioniert Heinrichs.
Und so funktioniert‘s: Pflegefachkräfte nehmen mit dem Smartphone und der Lindera SturzApp ein 20- bis 30-sekündiges Video vom Gang einer Person auf und beantworten gemeinsam mit ihr einen psychosozialen Fragebogen. Auf dieser Grundlage ermittelt die Künstliche Intelligenz in der Lindera Mobilitätsanalyse das präzise Sturzrisiko der Person und liefert individuelle Handlungsempfehlungen gemäß Expertenstandard, um dieses zu senken. Fachkräfte in der ambulanten und stationären Pflege wie auch Therapeut:innen können die Analysen einfach per Smartphone oder Tablet dokumentieren und in die Pflegedokumentation übertragen. Das führt zur Entlastung bei der Sturzrisikoanalyse und Maßnahmenplanung und sichert die Qualität in der Betreuung.
Als Medizinprodukthersteller kooperiert Lindera mit führenden Unternehmen und Universitäten weltweit, um Menschen im Alter, beim Sport und im Therapieverlauf mit präzisen Assessments sicher an die Grenzen ihrer Beweglichkeit zu bringen. Und ganz neu ist seit Anfang Juni die Partnerschaft mit MediFox Dan: Digitale Tools und datengetriebene Lösungen dort zur Verfügung zu stellen, wo und wie sie Pflegekräfte und Einrichtungen benötigen – das ist der erklärte Ansatz des Pflegesoftware-Spezialisten.
Die modular aufgebauten Softwarelösungen ließen sich ganz einfach nach Bedarf an die Situation der jeweiligen Einrichtungen und Pflegedienste anpassen. Die Plattform zeichne sich durch eine besonders hohe Nutzerfreundlichkeit aus – für den Einsatz in der Pflege ein elementares Argument. Mit der Integration der Mobilitätsanalyse von Lindera verfolgt MediFox Dan diesen Ansatz konsequent weiter und öffnet sein System nun auch für KI-basierte Pflege-Anwendungen.
Die Zusammenarbeit von Lindera mit MediFox Dan soll dazu beitragen, neue mobile Arbeitsformen in der ambulanten wie auch in der stationären Pflege zu etablieren, Dokumentations- und zeitaufwendige Arbeiten zu entlasten und so die Attraktivität des Berufsfelds zu steigern. Die modulare Softwarelösung von MediFox Dan will dabei die Basis für einen Innovationsschub in der gesamten Branche bieten. Sie ermöglicht es, Technologien von Drittanbietern medienbruchfrei einzubinden. Davon profitierten Fachkräfte, wie auch pflegende Angehörige, die in großer Zahl eine Teilversorgung ihrer Familienmitglieder übernehmen. Mit dem Modul MediFox Family Connect beispielsweise können diese per Messenger-Funktion Videobotschaften aufnehmen, Fotos verschicken, Nachrichten schreiben oder auch Sprachmemos versenden. Überbringer dieser Botschaften: Die Pflegefachkräfte mit ihren Tablets.
Von der DiGA zur DiPA
„Vor 25 Jahren sind wir als Pioniere gestartet. Mit der Integration der Lindera-Mobilitätsanalyse erweitern wir unser Angebot um eine weitere KI-basierte Lösung und gehören damit erneut zu den Vorreitern der Digitalisierung der Pflegebranche – auch im Hinblick auf die kommenden DiPAs“, sagt Christian Städtler, Geschäftsführer von MediFox Dan Gruppe. Die Zusammenarbeit erlaubt es Lindera, die digitale Mobilitätsanalyse gleichermaßen im ambulanten wie stationären Setting zu integrieren und eine präventionsorientierte und patientenzentriete Betreuung in den Fokus zu rücken. Dazu sagt Diana Heinrichs: „Gemeinsam mit MediFox Dan als Partner setzen wir neue Maßstäbe für unser Gesundheitssystem. Wir bringen moderne Tools, intelligente Lösungen und damit mehr Flexibilität und Unterstützung in die Pflegebranche. So sorgen wir für einen nachhaltigen Erfolg der Digitalisierung – ob für Pflegefachkräfte, pflegende Angehörige oder Senior:innen, in Ballungsgebieten oder im ländlichen Raum.“
Die Partner bereiten damit auch den Weg für Digitale Pflegeanwendungen (DiPA), die ab Herbst in die Erstattung der gesetzlichen Pflegeversicherung fallen sollen. Über die Rechtsverordnung der DiPA stimmen sich gegenwärtig noch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ab. Lindera plant, als einer der ersten digitalen Pflegeanwendungen in das Antragsverfahren zu gehen, um auch in der ambulanten Pflege erstattungsfähig zu werden. Festgeschrieben sind die DiPAs im Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG). Als Blaupause für die Rahmenbedingungen dienen die DiGAs, die seit Oktober 2020 beim BfArM gelistet werden.
Den Mehrwert nachweisen
Doch dafür musste die Politik eine Menge Kritik in den letzten Monaten einstecken: Der im März veröffentlichte „TK-DiGA-Report 2022“ bot einige Kontroversen (siehe „Pharma Relations“, Ausg. 05/22). Demnach hatten bis dahin lediglich 4% aller Ärzt:innen Rezepte für DiGAs ausgestellt. Im ersten Zulassungsjahr können App-Anbieter die Preise frei bestimmen – dann wird ein Preis zwischen GKV-Spitzenverband und Hersteller vereinbart; oder die Schiedsstelle legt einen Preis fest. Der Durchschnittspreis für DiGAs liegt bei rund 400 Euro pro Quartal. Das halten einige für zu teuer. Auch die AOK.
Daher kommentiert Cornelia Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, den Referentenentwurf der Verordnung zur Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen (VDiPA) positiv. Aus den überhöhten Preisen bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen habe der Gesetzgeber offenbar die richtigen Schlüsse gezogen: „Es ist gut, dass der Gesetzgeber bei den Pflege-Anwendungen auf die freie Preisbildung durch die Hersteller im ersten Jahr verzichtet.“ Stattdessen gibt es eine Höchstbetrags-Regelung, die die maximale Erstattung für DiPAs durch die Pflegekasse auf 50 Euro pro Monat festlegt.
Entschleunigung für das Fast-Track-Verfahren
Auch auf ein „Fast-Track-Verfahren“, das bei den DiGAs die vorläufige Zulassung von Anwendungen ohne Wirksamkeitsnachweis ermöglicht, ist bei den Pflege-Apps verzichtet worden. „Das sind richtige Grundsatzentscheidungen, die künftig auch bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen zur Anwendung kommen sollten“, sagt Reimann. „Die Beitragszahler sollten grundsätzlich nur sichere digitale Anwendungen mit nachgewiesenem Nutzen und einem echten Mehrwert für die Versicherten finanzieren.“
Außerdem fordert der AOK-Bundesverband, die inhaltlichen Vorgaben für die Digitalen Pflegeanwendungen noch besser an den besonderen Belangen der pflegebedürftigen Personen auszurichten: „Die Anforderungen an die Barrierefreiheit sind bei diesem Nutzerkreis besonders hoch. Die speziellen Bedürfnisse von pflegebedürftigen Personen, zum Beispiel aufgrund von Einschränkungen der Selbstständigkeit, sollten in den Anforderungen an die Qualität der DiPAs noch stärker berücksichtigt werden“, fordert Reimann.
Beim Datenschutz „deutliche Fortschritte“
Nachbesserungsbedarf sieht die AOK auch bei einzelnen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit: So ist zwar klargestellt, dass DiPAs frei von Werbung sein müssen. Es ist aber nicht ausdrücklich geregelt, dass auch sogenannte „In-App-Käufe“ von zusätzlichen Produkten ausgeschlossen sind. Zudem sollte aus Sicht der AOK auch die anonyme Nutzung der Pflege-Apps ermöglicht werden. Auch müsse eine zusätzliche Verarbeitung von Nutzerdaten durch den Hersteller des Gerätes, auf dem die Anwendung läuft, durch geeignete Maßnahmen verhindert werden. „Gegenüber den Datenschutz-Regelungen bei den DiGAs sehen wir aber grundsätzlich deutliche Fortschritte“, betont Reimann.
„So begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Hersteller bereits im Zulassungsprozess ein externes Datensicherheits-Zertifikat vorlegen müssen.“ Bei den DiGAs sei bei diesem Punkt zwar mit dem DVPMG nachgebessert worden, aber die Pflicht zur Vorlage eines Datenschutz-Zertifikates durch die Hersteller greift hier erst ab dem kommenden Jahr. „Die jüngst aufgedeckten Sicherheitslücken bei zwei zugelassenen DiGAs haben gezeigt, dass die bisherigen Anforderungen unzureichend sind“, so Reimann.
Computerfachleute des ehrenamtlichen Kollektivs „zerforschung“ hatten Mitte Juni bei den Apps „Novego: Depressionen bewältigen“ und „Cankado“ Sicherheitslücken entdeckt, die ein Abgreifen der Patient:innendaten möglich gemacht hätten.
Der GKV-Spitzenverband wünscht sich ebenfalls ein gesetzliches Update in Sachen DiGAs: „Um langfristig die Erwartungen zu erfüllen und die Anschubfinanzierung und den Vertrauensvorschuss zu verdienen, die mit dem neuen Leistungsbereich verbunden sind, muss das Missverhältnis hinsichtlich der vergleichsweise niedrigen Zugangsvoraussetzungen für DiGA, der geringen Innovationskraft und ihrer fehlenden Wirtschaftlichkeit konstruktiv weiterentwickelt werden“, erklärt Stephanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Wir wollen therapeutischen Nutzen für Patientinnen und Patienten bezahlen und keine Downloads.“ <<