Keine Sandkastenspiele mehr

06.05.2019 09:40
So langsam sind sie aus den Kinderschuhen raus – die ersten Digital-Health-Startups, die beim Bayer-Konzern im Jahr 2013 im Rahmen des „Grants4Apps“-Programmes erstmals die Pharma-Bühne betraten. Um den nun stetig wachsenden Fußstapfen Rechnung zu tragen, hat Bayer sein Accelerator-Programm auf eine neue Ebene gehoben. Mit „G4A-Partnerships“ erhalten die Startups mehr Unterstützung, müssen jedoch – wie das eben so ist, wenn man „größer“ wird – auch etwas höhere Anforderungen erfüllen. „Digital Health“ sprach mit Dr. Zsuzsanna Varga, „G4A Partnerships“, Bayer, über Kollaborationsformen der nächsten Generation.

>> Frau Dr. Varga, Bayer ist 2013 mit seinem Engagement in die Startups-Szene gestartet und hat damit Pionierarbeit in der Pharmabranche geleistet. Was war der Grund dafür?
Ausgehend von den Entwicklungen in der E-Commerce-Branche haben wir gesehen, dass Startups auch daran interessiert waren, Lösungen für den Gesundheitsbereich zu schaffen. Wir sind daraufhin mit einer kleinen Initiative für das Berliner Ökosystem gestartet, da wir geahnt haben, dass diese Entwicklung für die Zukunft der Branche wegweisend sein wird und haben mit unserem Accelerator-Programm „Grants4Apps“ tatsächlich Pionierarbeit geleistet.

Das war vor sechs Jahren. Jetzt finden Sie, ist es an der Zeit, Kooperationen mit Startups auf eine neue Ebene zu heben?
Korrekt. Mit unserem neuen Programm „G4A Partnerships“ reagieren wir auf die zunehmende Professionalität der Start- ups, die sich innerhalb der letzten Jahre entwickelt hat. Nach der rund dreijährigen Anfangsphase unseres „Grants4Apps“-Programms 2013, bei dem es vornehmlich um die Finanzierung der Startups ging, haben wir sowohl mit dem Dealmaker- als auch mit dem Generator-Programm bereits die ersten Anpassungen vorgenommen.

Was verbirgt sich denn hinter den Begriffen Dealmaker und Generator? Wo liegen die Unterschiede?
Durch die Beobachtung, dass die Startups weniger Unterstützung bei der Entwicklung ihres eigenen Bunsiness wie zum Beispiel der Frage nach der Entwicklung des Geschäftsmodells oder zu beachtenden Marktzugangsregularien benötigen, haben wir uns beim Dealmaker darauf konzentriert, wie deren Lösungen synergetisch in Einklang mit den Bedarfen der Pharmaindustrie zu bringen sind. Da stand beispielsweise die Frage im Raum, wie wir die Lösungen besser mit unseren unternehmenseigenen Businessmodellen verknüpfen können. Das ist auch ein Gewinn für die Startups, die entsprechend gereift sind und deren Unterstützungsbedarf deutlich über die Frage nach P&L-Sheets hinausgeht.
Das Generator-Programm war strukturell wie Accelerator und Dealmaker aufgebaut, konzentrierte sich jedoch nicht auf den Pharma-, sondern explizit auf den Consumer-Healthcare-Bereich.

Und „G4A Partnerships“ bündelt nun diese drei Programme und lässt auch die Unterscheidung zwischen dem Pharma-Geschäftsbereich und Consumer Health außer acht?
Genau, denn für die Außenwelt ist es unerheblich, welcher dieser beiden Geschäftsbereiche mit der Digital-Health-Lösung adressiert wird. Bereichsübergreifend haben wir das Ziel, den Gesundheitsbereich aus Patienten- und Konsumentensicht in Zusammenarbeit mit Startups neu zu gestalten. „G4A Partnerships“ ist quasi der Schirm, der sich über alle Lösungen spannt. Nach der Bewerbung, die übrigens für die nächste Runde bis zum 31. Mai 2019 möglich ist, wird dann in einer tiefen Selektionsphase geschaut, ob eine Zusammenarbeit passen könnte. Wenn wir Möglichkeiten der Zusammenarbeit identifizieren, gibt es zum Beispiel Workshops oder Sprints, innerhalb derer geschaut wird, wie aus Patienten- oder Arztsicht ein bestimmtes Problem mit dem Startup- sowie dem Bayer-Know-how gelöst werden könnte. Es gibt also eine Garantie auf Projekte, wenn die Startups in das Programm eintreten.

Haben Sie ein praktisches Beispiel für uns?
Sicher. Einige unserer Projekte laufen bereits seit mehreren Jahren, denn Langfristigkeit ist ein weiterer Aspekt, den wir mit der Neuausrichtung im Blick haben. Das Berliner Startup xbird beispielsweise stattet Messgeräte mit innovativer Technik aus, die in der Lage ist, Bewegungsdaten, Schlaf- oder Ernährungsrhythmen auszuwerten – und aus den gesammelten Daten Schlüsse über die Art und Weise des positiv zu beeinflussenden Krankheitsverlaufes zu ziehen. Bei Diabetes, kardiovaskulären oder neurologischen Erkrankungen kommt die auf Künstlicher Intelligenz basierende Software zum Beispiel zum Einsatz.
xbird hat mit unserer pulmologischen Abteilung eine non-interventional study (NIS) durchgeführt, um zu schauen, wie sich die körperliche Mobilität von Patienten mit einer schweren Lungenerkrankung unter Medikamenteneinnahme entwickelt. Für uns ist diese Studie ein absoluter Erfolgsfaktor, da wir genau ablesen können, welchen Wert die neue Technologie und der Ansatz des Startups für unser Unternehmen haben. Aus Patientenperspektive ist diese Lösung absolut spannend, da sie für die täglichen Messungen nicht ins Krankenhaus oder in die Arztpraxis laufen müssen, sondern diese selbständig zu Hause vornehmen können. Die Daten werden dann an die Studiengruppen übertragen.

Stellen Sie auch eine Veränderung der Nutzer-Ansprüche an digitale Lösungen fest?
Marktdaten bestätigen, dass das Vertrauen in digitale Lösungen vorhanden sein muss, was noch schwierig ist. Die Präzision der Aussagen lässt bisher teilweise noch zu wünschen übrig, und so lange das der Fall ist, werden es die technologischen Lösungen im diagnostischen Bereich schwer haben. Um das Interface mit dem Arzt zumindest in der Anfangsphase ablösen zu können, ist Genauigkeit und die Art der Kommunikation ausschlaggebend.
Die Präszision der Ergebnisse wächst natürlich mit dem Datenvolumen, das generiert wird, da der Algorithmus kontinuierlich dazulernt. Um eine entsprechende Datenmenge zu generieren, könnten möglicherweise Studien oder die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern eine Option sein. Darüber hinaus könnte man attraktive Piloten für Nutzer anbieten, die ein Gratifikationsangebot oder ähnliches beinhalten und somit zur Anwendung motivieren. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns derzeit – und wir sind froh, mit unserem Programm mittendrin zu sein und diese Entwicklung mitgestalten zu können.

Gibt es weitere Änderungen, die sich durch die Modifizierung des Programms ergeben?
Neben der Ausrichtung auf eine langfristige Zusammenarbeit mit den Startups haben wir auch das Funding verändert. Im Accelerator belief sich die Unterstützung auf rund 50.000 Euro. Bei „G4A Partnerships“ steht die gemeinsame Definition von Meilensteinen am Anfang auf der Agenda. Wenn diese erreicht sind, werden Follow-up-Zahlungen geleistet, um das Erreichen der nächsten Entwicklungsstufe sicherzustellen.

Welche Voraussetzungen müssen die Startups denn erfüllen, um Aussicht auf Erfolg im Bewerbungsprozess zu haben?
Es muss mindestens einen funktionierenden Prototypen – also ein Minimal Viable Product – geben. Obligatorisch ist außerdem die bereits erfolgte Firmengründung, da wir den Vertrag nur mit einer rechtlich angesehenen Entität schließen können. Das sind zwei ganz wichtige Punkte.

Welche Indikationen sind bei den Bewerbern denn besonders beliebt? Oder gibt es einen Bereich, den Sie als Unternehmen insbesondere im Auge haben?
Bisher haben wir sehr viele Einreichungen im kardiovaskulären Bereich. Sowohl in unserem klassischen Geschäftsbereich als auch im weiteren Marktumfeld sehen wir, dass es auf Patientenseite sehr viele „Unmet Medical Needs“ gibt. Hier sind noch viele Felder verbesserungsfähig; zum Beispiel für Diabetes- oder Herzinsuffizienzpatienten, die meist sehr viele verschiedene Komorbiditäten aufweisen. Hier Lösungen mit einem eher holistischen Ansatz zu kreieren, liegt für uns im Fokus. Das ist ein sehr großer Bereich, in dem es erfreulich viele Eingänge gibt.

Gibt es ein weiteres Gebiet, das im Trend liegt?
Das ist zweifellos der Bereich Digital Therapeutics. Hier geht es darum, zu schauen, ob es reine digitale Ansätze gibt, um Krankheitsbilder zu verbessern oder sogar Krankheiten zu heilen. Erste interessante Startups im Bereich von Mental Health haben da bereits die Bühne betreten. Für diverse kognitive Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer gibt es Lösungen, die den Zustand nachweislich verbessern können. Das ist extrem spannend. In diesem Feld suchen wir nach vielversprechenden Kollaborationen.

Welche Experten haben Sie zur Unterstützung der Startups an der Hand? Setzen Sie hier ausschließlich auf eigene Köpfe oder sind auch externe Experten am Start?
Beides. Auf der einen Seite werfen wir unsere Expertise aus der gestandenen Pharmabranche in den Ring, wenn es vor allem um die Frage geht, welche Regularien beachtet werden müssen oder welche kommerziellen Wege und Kanäle beim Vertrieb der Lösung zum Einsatz kommen können.
Auf der anderen Seite arbeiten wir intensiv mit externen Experten, zum Beispiel aus dem Krankenkassenbereich oder von Entrepeneurshipseite zusammen. Zudem haben wir ein Netzwerk mit Global Playern im Digital-Health-Ökosystem wie der Initiative Digital Therapeutics Alliance sowie Investoren wie zum Beispiel Health XL oder Startup Health. Die stellen auch Mentoren, Coaches oder Unterstützung zu Marketingzwecken bereit. Apropos: Visibilität ist ein sehr wichtiges Thema für junge Firmen. Die Nutzung unserer Verkaufskanäle ist für die Startups sehr attraktiv, da diese noch nicht selbst über ein globales Netzwerk verfügen.

Sind „Nebenwirkungen“ erwünscht? Diffundiert der Startup-Flow ins Unternehmen?
Das ist durchaus gewünscht und wird von Bayer unterstützt. Das Unternehmen befindet sich derzeit in einer digitalen Transformationsphase und dazu gehört ganz klar auch, den Mindset und die Arbeitsweise von Startups stärker im Unternehmen zu etablieren. Wir sehen, dass sich intern mehr und mehr Initiativen wie beispielsweise Pitch-Competitions bilden. Zudem haben Bayer-Mitarbeiter die Möglichkeit, Teil eines Startup-Teams zu werden. Das alles trägt dazu bei, auch im Pharmaunternehmen mit einer anderen Denkweise auf Probleme zu sehen und agiler und noch eigenverantwortlicher zu arbeiten.
Synergetische Effekte zu nutzen, Kreativität und den Mindset der Startups in das Unternehmen zu bringen, ist ein ausgesprochenes Anliegen von Bayer.

Frau Dr. Varga, vielen Dank für das Gespräch. <<

Ausgabe 05 / 2019

Digital Health