Kritik kommt vor allem von den Krankenkassen. Dass Hersteller erst nach spätestens zwei Jahren den Nutzennachweis erbringen müssen, kritisiert der AOK-Bundesverband scharf und will die Probe-Regelung abgeschafft wissen. Auch die geplanten Regelungen zur Ausweitung des Leistungsanspruches auf DiGA höherer Risikoklassen, die im aktuellen Referentenentwurf des Digital-Gesetz (DigiG) niedergeschrieben sind, lehnt die AOK ab.

Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns kritisiert die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Evidenz der DiGA und empfiehlt ihren Mitgliedern eine Verordnung daher nicht. Die DiGA seien aktuell nicht mehr als „eine reine Projektionsfläche für die Hoffnungen auf eine zeitgemäße Digitalisierung im Gesundheitswesen“.
Dabei gehört zur Wahrheit auch dazu, dass DiGA nur mit dem wissenschaftlichen Nachweis eines realisierbaren positiven Versorgungseffektes – entweder in Form von medizinischem Nutzen oder von patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserungen – überhaupt erst in das Verzeichnis aufgenommen werden.

„Studienergebnisse nennen!“

Nimmt man hier Tempo raus, verpufft der Effekt der zügig verfügbaren und den Patienten in seiner selbst managenden Gesundheitskompetenz unterstützenden digitalen Leistung. Daher gilt es, die Ärzte und Psychotherapeuten zu einer informierten Entscheidung in Bezug auf eine Verordnung zu befähigen. „Studienergebnisse nennen, wann immer möglich“, rät Robert Thielicke, Unit Director Health bei Piabo PR. „So lassen sich Vorbehalte abbauen, die Ärztinnen und Ärzte gerade gegenüber DiGA in der Erprobungsphase, aber auch nach der endgültigen Zulassung hegen. Sie sind misstrauisch, ob dem Preis von mehreren hundert Euro ein relevanter Versorgungseffekt gegenübersteht. Oder sie haben Bedenken hinsichtlich der Compliance und Adhärenz.“

Die Themen Erfahrungshorizont sowie Krankenkassen als hemmende Faktoren bei der Verordnung von DiGA hat auch Andrea Buzzi, CEO und Gründerin von The Medical Network, auf dem Zettel: „Fehlende Erfahrung mit DiGA sowie potenzieller Mehraufwand durch Administration und Patienten-Aufklärung sind sicherlich entscheidende Hürden, aber auch eine gewisse Zurückhaltung bei den Krankenkassen.“

Thielicke identifiziert vor allem den Mehraufwand und die knapp bemessene Zeit der Mediziner als Hemmschuh für die Beschäftigung mit DiGA. Für ihn muss die Information zu DiGA demnach kurz und knapp sein, auf die jeweilige Arzt-Zielgruppe abgestimmt und den Nutzen für Ärzte und ihre Patienten auf den Punkt bringen. Zwei Kanäle sind für Thielicke dabei relevant: Anbieter müssten wieder stärker auf den klassischen Pharmavertrieb setzen. „Dazu gehören Direct Mailings, Cold Calls und Praxisbesuche durch Sales-Mitarbeitende. So lassen sich mögliche Interessenten immer noch am besten gezielt ansprechen. Rein digital ist der Streuverlust dagegen sehr hoch.“ Daneben seien Fachmedien und Medien der Fachgruppen als Kommunikationsorgan von großer Bedeutung für die HCP.

Während für Thielicke LinkedIn als Kommunikationskanal keine große Rolle spielt, da sich hier nur wenige Ärzte bewegten, meint Buzzi: „Um die E-Health-Community zu erreichen, empfiehlt sich neben den Fachmedien auch eine Präsenz auf LinkedIn und in Podcasts, um aktiv an der Debatte teilzuhaben. Auf dem politischen Parkett ist noch viel Aufklärungsbedarf, aber auch Gestaltungsspielraum.“

Ist Patientenadressierung sinnvoll?

Politik ist ein gutes Stichwort, denn auch aus dieser Richtung kann Rückenwind kommen:  So hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) am 13. Juni dieses Jahres ein Rundschreiben an die Krankenkassen versandt, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine Krankenkasse die Verordnung einer Digitalen Gesundheitsanwendung durch einen Arzt oder Psychotherapeuten nicht einfach auf andere, gegebenenfalls preiswertere DiGA, umsteuern kann. „Unter Beachtung der Therapiefreiheit des Arztes ist es der Krankenkasse grundsätzlich verwehrt, in die Verordnungsentscheidung des Arztes einzugreifen“, heißt es in dem Papier. DiGA als vollwertige Therapieoption wahrzunehmen, die so selbstverständlich wie eine Packung Tabletten verschrieben wird, ist das Ziel.

Als frustrierend wird vielerorts auch die Einlösung des Rezeptes durch den Patienten bewertet. Der Patient muss das Original-Rezept – oder neumodisch ein Foto davon – postalisch oder via App an seine Krankenkasse senden, wo die Bearbeitung und Zusendung des Freischaltcodes manchmal Wochen dauern kann, weiß auch Buzzi. „Da ist das Arzt-Patienten-Gespräch zu lange her, was zu sehr geringen Conversions führt.“ Hier ist Optimierungspotenzial für die Krankenkassen.

Macht denn grundsätzlich eine Patientenansprache Sinn, um eine Art Pull-Effekte durch den Patienten beim Arzt zu erzeugen? haben wir die Agentur-Experten gefragt. „Unbedingt“, meint Thielicke, „sie ist der dritte Kanal in der Kommunikation, aber aus anderen Gründen als einige denken. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass gerade Startups entweder nur Richtung Patient oder nur Richtung Arzt denken. Dabei bezieht in den meisten Fällen eine erfolgreiche Kommunikation beide ein.“

Begeisterte Patienten mögen ein paar Ärzte von DiGA überzeugen, doch für einen nennenswerten Marktanteil reiche es nicht. Meint auch Buzzi: „Aus unserer Erfahrung ist eine Patienten-Kommunikation aktuell nur bei großen Marketing- und PR-Budgets sinnvoll, wenngleich ein Pull-Effekt durch Patienten eine gute Doppelstrategie wäre.“ Das gelte insbesondere für große Patienten-Zielgruppen, z.B. bei Adipositas, Migräne oder Nikotinsucht. Wenn Startups ein limitiertes Budget haben, sei die Kommunikation in Richtung Fachöffentlichkeit das stärkste Instrument.