Auch wenn traditionelle Apotheken trotz zunehmender Digitalisierung bestehen bleiben, führt eine gesteigerte Verfügbarkeit von rezeptfreien Medikamenten über den Online-Handel dazu, dass Direktmarketing für OTC-Produkte wichtiger wird. Wer als OTC-Marke bei Konsumenten nicht „markiert“, wird es sehr schwer haben, sich als potenzielle Lösung für Beschwerden zu positionieren. Zudem ist eine Abgrenzung von kostengünstigen Alternativen ohne ausreichende Bekanntheit oder eindeutiges Branding kaum machbar.

Mangel an Awareness und Assets: Das Dilemma der OTC-Marken 

In unserer informationsüberfluteten Welt ist es für OTC-Marken eine große Herausforderung, die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu gewinnen und zu halten. Einer der Hauptgründe hierfür ist der Mangel an Markenbekanntheit über distinkte Merkmale, die kundenseitig sofort auf den kontextuellen Nutzen eines „Problemlösers“ schließen lassen. Deshalb kämpfen viele OTC-Marken mit einer geringen Sichtbarkeit und Differenzierung, was sie in den bestehenden Regalen und vor allem in den Köpfen der Konsumenten austauschbar macht.

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Herausforderungen für OTC-Marken. (Quelle: K&A BrandResearch)


Ein zentrales Problem für OTC-Marken ist also die mangelnde Markenbekanntheit und das Fehlen von prägnanten Brand Assets. Viele Marken verfügen nicht über eindeutiges Branding, was sie austauschbar macht, besonders wenn Verbraucher in Qualität oder persönlichen Nutzen kaum Unterschiede wahrnehmen. Hinzu kommt, dass OTC-Produkte oft als Problemlöser in spezifischen Situationen genutzt und nach der Genesung schnell vergessen werden. Das unterstreicht die Bedeutung des Kontexts für die Markenbindung und die Erinnerung an die Marke.

Starke Marken senden im Vergleich dazu unverwechselbare Signale, die in alltäglichen Situationen bestimmte Assoziationen und Bilder im Kopf der Menschen auslösen. In Momenten der Entscheidungsfindung erleichtert das die Wahl, warum eine bestimmte Marke anderen gegenüber bevorzugt wird. Prinzipiell gilt das auch für den OTC-Markt und – mit deutlichen Einschränkungen – für die Entscheidungsfindung der Ärzte im verschreibungspflichtigen Rx-Markt.

Sprechende Arzneimittelmarken 

Bei akuter Erkrankung fällt es Patienten oft schwer, sich an spezifische Marken zu erinnern. Oftmals sind die Namen von Medikamenten weniger leicht zu merken. Auch erscheint die Markenwelt im OTC-Bereich (und noch mehr bei Rx-Produkten) überwiegend gesichtslos: In einer verbraucherseitig „unüberschaubaren Pharma-Wüste“ fällt es schwer, die passendste Lösungsoption zur Behandlung zu finden. Je unklarer das Marktumfeld wahrgenommen wird, umso mehr neigen die Menschen dazu, den Empfehlungen von Fachleuten zu folgen. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten vertrauen viele weiterhin auf die Meinung des Arztes. Doch diese Einstellung ändert sich allmählich, vor allem in jüngeren Generationen, für die digitale Informationssuche Teil des Alltags ist.

Bei der Vermarktung von OTC-Produkten entsteht ein wachsendes Problem, wenn die Marke selbst die Entscheidung beeinflussen muss. Um eine Wahl treffen zu können, ist die sogenannte „Mental Availability“ unerlässlich, sei es durch bisherige Erfahrungen oder durch kommunikative Reize, die klar auf ein bestimmtes Produkt hinweisen und Verwechslungen ausschließen. Solche einzigartigen Markenattribute erleichtern die mentale Entscheidungsfindung und sind essenziell dafür, dass wir uns auf unserem intuitiven System 1-Autopiloten verlassen können. Eine klare Dekodierung unterstützt die Zuordnung zu einer bestimmten Therapie und Marke und bietet im besten Fall spezifischen Nutzen unter bestimmten Bedingungen. Wie beispielsweise der freie Atemtrakt auf der GeloMyrtol-Packung. Oder die Möve als Key Visual für Balance und innere Ruhe bei Neurexan.Um die Wirkung von Markencodes aktuell einzuschätzen, ist die Erstellung eines Distinctive Asset Grid nützlich. Das Resultat kontinuierlicher Marktforschung visualisiert eine Art „Gedächtnisabdruck“ einer Marke, indem die mentale Wirkung einzelner Markenattribute erfasst, dokumentiert und getrackt wird. Starke Marken verfügen normalerweise über mehrere deutlich unterscheidbare Markenattribute, die die Basis für darauf aufbauendes Storytelling bilden.

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Distinctive Assets Grid Analyse für eine ausgewählte OTC-Marke. (Quelle: K&A BrandResearch)


Bedauerlicherweise zeichnen sich viele OTC-Marken durch ein vergleichbar schwaches Branding aus, was auch für die meisten Rx-Produkte aufgrund von Werbeeinschränkungen zutrifft. Je länger der Zeitraum einer regelmäßigen Nutzung zurückliegt (wie etwa bei Reizhusten oder spezieller Hautpflege) und je geringer die bisherige Verwendungsintensität war, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Medikament beim Anwender schnell in Vergessenheit gerät. In der Regel ist das „Markenbewusstsein“ bei verordnenden Health Care Professionals deutlich stärker ausgeprägt als bei den Patienten. Die täglichen Erfahrungen und Routinen bei der Verschreibung ermöglichen Ärzten und Apothekern eine präzisere Zuordnung von Markencodes als auch die notwendige Sicherheit bei Empfehlungen „over-the-counter“.

Um die Herausforderungen eines abnehmenden Empfehlungsmarketings zu meistern, müssen OTC-Marken neue und effektive Lösungen entwickeln, um sich bei Endkonsumenten besser verankern zu können:

  1. Staunen und „Wow“-Kommunikation: Ein Schlüssel zur Stärkung der Markenbekanntheit ist die Schaffung von Wow-Effekten in der Kommunikation. Überraschende, kreative Werbekonzepte, die Emotionen wecken und im Gedächtnis bleiben (z.B. X-Effekt bei Sinupret), können einen enormen Unterschied machen. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, die den Konsumenten kurz staunen lässt und die Marke in einem persönlich relevanten Licht erscheinen lässt.
  2. Relevanz durch klare Kontextverortung: Die Werbung und das Packaging von OTC-Produkten sollten klar im Alltagskontext der Zielgruppe verortet sein (z.B. „etwas aus-x-en können“). Dies erhöht die Relevanz der Marke und stellt sicher, dass sie in entscheidenden Momenten erinnert wird.
  3. Entwicklung von Assets mit Kontextbezug: Für OTC-Marken ist es wichtig, Assets zu entwickeln, die einen starken Kontextbezug aufweisen. Dies kann eine Herausforderung sein, besonders für Rangemarken wie Eucerin, aber es ist entscheidend für den langfristigen Erfolg. Marken sollten über einzigartige, unverwechselbare Elemente verfügen, die sie von der Konkurrenz abheben.
  4. Einfachheit der Anwendung: Eine einfache und intuitive Anwendung des Produkts kann ebenfalls zur Markenstärke beitragen, indem sie die Hürden für die Nutzung reduziert und die Kundenzufriedenheit erhöht.

Bei vielen Gesundheitsthemen spielt der Kontext und die einfache Handhabung eines Medikaments eine entscheidende Rolle für spätere Handlungen. Beispielsweise beeinflussen bei allgemeinen Bauchschmerzen bestimmte kontextbezogene Aspekte oder Symptome die Suche nach passenden Hilfsmitteln. Bei Durchfall beispielsweise greifen viele Betroffene instinktiv auf ihre „Hausapotheke“ zurück. Fehlt dort etwa Aktivkohle oder ein vergleichbares Mittel, beginnt die Suche nach einem alternativen Produkt.

Das Spektrum der individuellen Patientenbedürfnisse bei gleichzeitiger Nutzung digitaler Gesundheitsdienste, einschließlich KI, wird sich bei der Suche nach Lösungen für spezifische Symptome weiter intensivieren. Ein banaler Reizhusten mag im Alltag zu Hause keine allzu große Belastung darstellen, aber in besonderen Situationen wie vor einer wichtigen Präsentation, einem Date oder einer Reise verändern sich die Kontexte drastisch. In solchen Situationen sind Betroffene oft bereit, alles zu tun, um effektiv Linderung zu verspüren. Für Hersteller bietet dies zahlreiche Möglichkeiten, Patienten durch kontextbezogene Ansprache gezielt zu erreichen.

■ Umgang mit begrenzten Werbebudgets und die Auswirkungen des E-Rezepts

OTC-Marken stehen oft vor der Herausforderung begrenzter Werbebudgets. In solchen Fällen ist es wichtig, die verfügbaren Ressourcen strategisch einzusetzen, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Dies kann durch gezielte Werbekampagnen, Partnerschaften mit Influencern oder durch die Nutzung von Social-Media-Auftritten erfolgen.

Die Einführung des E-Rezepts bietet zudem neue Möglichkeiten für OTC-Marken. Es ermöglicht einerseits den Ärzten, OTC-Produkte zu verschreiben, was zu einer erhöhten Sichtbarkeit und Legitimität der Marke beitragen kann. Man muss sowohl medizinische Fachkräfte als auch Endverbraucher ansprechen. Gleichzeitig verpflichten E-Rezepte OTC-Marken noch stärker, aktives Branding und erinnerungsstarke Interaktion mit der jeweiligen Zielgruppe zu betreiben. Marken mit geringer Bekanntheit und mangelhafter Merk-Würdigkeit werden in relevanten Alltagssituationen selten spontan erinnert, schneller vergessen und riskieren, endgültig aus dem Markt zu verschwinden. Marken, die im Bereich Husten/Erkältung bekannt sind und häufiger in Erinnerung gerufen werden, beherrschen dagegen die mentale Verfügbarkeit – insbesondere auch fortschreitende Digitalisierung.

Wichtige Anlässe für den Kauf von OTC-Produkten sind bisherige positive Erfahrungen und Empfehlungen von Betroffenen oder medizinisch versierten Personen. Für Käufer ist es bei allgemeinen Beschwerden wie Reizhusten oft irrelevant, ob die Information von Ärzten, Apothekern, Laien oder KI stammt. Zudem sind spezifische Symptome von Erkrankungen ein starker Motivator, da sie besonders gut (negativ) erinnert und umso schneller behoben werden sollen. 
Fazit: Um in Zukunft auch neben stationären Apotheken mental präsenter zu sein, ist eine gezielte Justierung von Schlüsselkontexten, Touchpoints und erinnerungswürdigen Markenattributen unverzichtbar. Denn am Ende verschafft nur der Kontext die nötige Relevanz beim Konsumenten!

 

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Ralph Ohnemus ist seit 2001 Vorstand und Hauptanteilseigner von K&A BrandResearch. Er verfügt über internationale Marketing- und Vertriebserfahrung im Senior Management von FMCG, Mode, Medien und Telekommunikation, zuletzt als „SVP Consumer Sales“ bei O2. Ohnemus ist Fachbuchautor und Verfasser des BrainCandy Forschungs-Newsletters.

 

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Dr. Uwe Lebok gilt im deutschsprachigen Raum als Marketing-Experte für die Positionierung von Marken und verstärkt als Impulsgeber Marken in „Sackgassen“. Er ist Vorstand (CMO) beim Marktforschungs- und Markenberatungsinstitut K&A BrandResearch und unterstützt vor allem mittelständische Unternehmen mittels researchbasierter Markenstrategien.