Wie krisengefährdet ein Unternehmen ist, hängt auch davon ab, in welcher Branche es tätig ist. Das zeigt die „Krisen-Landkarte der PR“ des IMWF – Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung. Für diese „Landkarte“ hat das IMWF mit Hilfe einer KI-basierten Social-Listening-Analyse die öffentliche Diskussion über 20.000 Marken und Unternehmen aus mehr als 200 Branchen für das Jahr 2021 im Hinblick auf Tonalität und Viralität ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass „Gesundheit und Pharmazie“ mit einer Kombination aus schlechter Tonalität bei gleichzeitig hoher Viralität zu den Branchen gehört, die besonders anfällig für Krisen sind.

Diskurs verfolgen und frühzeitig reagieren

Das Hauptproblem dabei, wenn es um Krisenkommunikation geht: Unternehmen in diesen Branchen hätten es „doppelt schwer, aus dem Reputationsloch zu kommen“, stellt Jörg Forthmann, Geschäftsführender Gesellschafter und Experte für Social Listening und Krisenkommunikation des IMWF, fest. Denn gute und sachliche Argumente stießen daher häufig auf taube Ohren oder gingen „im Gepolter diverser Shitstorms“ unter. Entscheidend sei daher, den öffentlichen Diskurs zur eigenen Marke fortlaufend und konsequent zu verfolgen und auszuwerten. „Anstatt sich nach einem Shitstorm um Schadensbegrenzung zu bemühen, ist es besser, eine Kommunikationskrise schon früh anzugehen – bevor sie zu einer echten Krise wird. Durch Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz und die Verlagerung der öffentlichen Diskussion in digitale Medien ist dies heutzutage zum Glück weitgehend automatisierbar und daher mit deutlich weniger Aufwand zu leisten als noch vor ein paar Jahren“, so Jörg Forthmann.

Die Arbeitsgemeinschaft CommTech, die 2021 als Austauschplattform für PR-Profis gegründet wurde, betont in ihrem Whitepaper „Professionelles Krisenmonitoring – so geht’s!“, dass nicht jedes Problem eine Krise sei. Das sei zwar vielleicht „banal“, aber nicht unwichtig, denn die wahrgenommene Souveränität der handelnden Personen hänge auch davon ab, „ob wir zum Beispiel zwischen einem ‚Shitstürmchen‘ und einem ‚Shitstorm‘ unterscheiden können“, so die Autoren Andreas Rossbach (Acronis), Lea Waskowiak (Telefonica) und Jörg Forthmann (IMWF). Ganz entscheidend ist für sie ein funktionierendes Krisenmonitoring, denn ohne dieses sei ein professionelles Krisenmanagement nicht möglich. „Das Monitoring liefert die Basis für eine Lagebeurteilung vor und während der Krisenintervention.“

Feststellbar wird eine Krise, wenn sich die öffentliche Kommunikation über das Unternehmen oder die Marke in der Öffentlichkeit stark verändert. Indikatoren dafür sind die Zahl der Nennungen und der Reichweite – und eben auch die veränderte Tonalität und die Viralität. „Um möglichst schnell von einer aufkommenden Kommunikationskrise zu erfahren, sollte das Monitoring bei einer spürbaren Veränderung der Kommunikation Alerts aussenden. Diese Alerts führen dazu, dass sich Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ein Lagebild verschaffen – um in die Krisenkommunikation zu wechseln oder eine Entwarnung auszusprechen“, so die Autoren des Whitepapers. Dieses Lagebild diene auch in der Krise zur dauerhaften Orientierung.

Alle Kanäle im Auge haben

Da man nie wisse, in welchem Kommunikationskanal eine Krise losbreche und über welche Kanäle sie sich verbreite, empfehlen die Experten grundsätzlich, alle Kommunikationskanäle im Auge zu haben, wobei das Alerting nahezu in Echtzeit erfolgen sollte. Ein wichtiger Krisenindikator sei der abrupte Anstieg in der Zahl der Nennungen oder in der Reichweite. Allerdings sage die Menge an Erwähnungen alleine nichts über die Tonalität aus, so dass dieser Indikator für sich nie aussagekräftig genug sei, um eine Krise tatsächlich festzustellen. Umgekehrt gilt das Gleiche für die Tonalität. Diese sei zwar ein unverzichtbarer Krisenindikator, aber ohne eine gleichzeitige Betrachtung der Zahl der Nennungen bzw. der Reichweite wenig aussagekräftig, denn: „Eine sehr schlechte Tonalität, die kaum Beachtung findet, ist keine Krise.“ Allerdings sei sie ein Indiz für ein potenzielles Krisenthema, das in der Krisenprävention bewertet werden sollte.

Die Viralität steht für die Zahl der Interaktionen der Social Media User, die zu einer größeren Wahrnehmung führen. Jedoch ist die Viralität keine reine Zahl, sondern sie steht für die Emotionalität in der Krise und ist deshalb eine sehr wichtige Kennzahl. „Wenn die Emotionalität in der Krise hoch ist, ist es schwer mit sachlichen Aussagen gegenzusteuern. Hoch emotionalisierte Krisen sind besonders gefährlich!“, warnen die Whitepaper-Autoren.

Der schlimmste Krisentypus liegt vor, wenn eine hohe Reichweite bzw. eine große Zahl an Nennungen, eine negative Tonalität und eine hohe Viralität zusammenkommen – eine negativ hoch emotionalisierte Krise mit großer Sichtbarkeit. Im PR-Jargon sind das die „apokalyptischen drei Reiter“.

Im Fall einer Krise ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren – und gut vorbereitet zu sein. Das beginnt damit, dass Verantwortlichkeiten, Rollen und Aufgaben für den Krisenfall klar festgelegt sind. Ob die Prozesse tatsächlich funktionieren, sollte erprobt werden, indem man den Ernstfall in einer Simulation trainiert. Hier empfiehlt es sich, Experten für Krisenkommunikation zu Rate zu ziehen.

Bereits in „Friedenszeiten“ investieren

Die PR-Agentur Cassel Communications bietet zum Beispiel Workshops für Krisenprävention und Krisenkommunikation an, in denen es um die folgenden Fragen geht: Wer spricht in der Krise? Können Sie ein Netzwerk von Meinungsbildnern und Journalisten aufbauen, auf das Sie sich im Krisenfall stützen können? Haben Sie einen funktionierenden Medienverteiler? Können Sie ad hoc zu einer Pressekonferenz einladen? Haben Sie Erfahrung, vor der Kamera zu stehen und Interviews zu beantworten? Können Sie unter Zeitdruck die „richtigen“ Statements formulieren? Die Experten empfehlen, bereits in „Friedenszeiten“ in Krisenkommunikation zu investieren, denn dann sei das Unternehmen bereits als vertrauensvoller und verlässlicher Partner bei Journalisten und in der Öffentlichkeit bekannt. In einer Krise sei nämlich wenig Zeit, Dinge neu zu etablieren. Ziel der professionellen Krisenkommunikation sei es, das wertvollste Gut – das Vertrauen der Menschen in das Unternehmen und seine Produkte – zu schützen und das Unternehmen so schnell und unbeschadet wie möglich aus dem Fokus zu holen. Cassel Communications empfiehlt einen selbstbewussten, offenen Umgang mit der Krise, denn eine Kommunikation nach dem Motto „Offen – ehrlich – schnell“ führe schneller und mit geringerem Schaden aus der Krise heraus als eine Salami-Taktik, bei der man versuche, Informationen zurückzuhalten.

Die Mitarbeitenden nicht vernachlässigen

Die PR-Agentur Sputnik weist zudem darauf hin, dass es zwar eine der wichtigsten Aufgaben der Krisen-PR sei, die Öffentlichkeit und insbesondere die Medien zu informieren, Ängste abzubauen und so eine Vertrauensbasis zu schaffen. Aber auch die interne Kommunikation dürfe nicht vernachlässigt werden: „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verdienen eine wertschätzende und zeitnahe Kommunikation – besonders im Fall einer Krise.“ Der einzelne Mitarbeitende müsse nicht alle Details der Krisensituation kennen, aber die Unternehmensführung sollte beruhigend und klärend kommunizieren, sachlich sein und zeigen, dass sie an einer Lösung arbeitet. „Auch wenn es hektisch wird, sollten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer auf dem Laufenden gehalten werden.“

Eine Krise kann sich auf viele Bereiche des Unternehmens auswirken, darauf weist die Kommunikationsberatung FleishmanHillard hin – die Produktion, die Lieferketten, die wertvollen Unternehmensdaten oder auch den Ruf der jeweiligen Firma und Führungskräfte. Das sensibelste Gut, das es zu schützen gelte, sei jedoch immer die Reputation. Daher zähle neben der eigentlichen Sacharbeit auch und vor allem der Eindruck, den das Krisenmanagement nach außen vermittelt. „Eine Krise muss nicht selbstverschuldet sein – der Umgang mit ihr ist es“, so der zertifizierte Krisenexperte Volker Pulskamp (siehe auch Know-how-Beitrag auf Seite 10/11). Nicht zuletzt deshalb sei es so wichtig, jederzeit transparent und dialogorientiert aufzutreten – vor der Öffentlichkeit, aber vor allem auch vor den Stakeholder-Gruppen. Und Pulskamp fügt hinzu: „Gerade dann, wenn eine Krise faktisch beendet ist, beginnt ein wesentlicher Teil der Arbeit: das Vertrauen in das Unternehmen zu bewahren oder erneut zu stärken.“

Nach der Krise ist vor der Krise

Aus diesem Grund ist es wichtig, die Krise aufzuarbeiten, wenn sie überstanden ist. Nach der Krise ist vor der Krise – und auf die nächste sollte man sich deshalb vorbereiten. Es geht darum, im Team zu hinterfragen, was in den Prozessen und in der Kommunikation gut gelaufen ist und was weniger. Von dieser Bewertung ausgehend, kann man dann die notwendigen Anpassungen vornehmen. Und so kann das gelingen, was der Autor Max Frisch empfohlen hat: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“