LinkedIn werde häufig als einer der naheliegendsten Social-Media-Kanäle für die Ansprache von Ärzt:innen angesehen, da es sich um ein berufliches Netzwerk handele und gezielte Targeting-Möglichkeiten biete, wie Niko Gabrielides, Partner & Director Business Development bei BrainersHub, sagt. Laut Erhebungen nutzen rund 16  bis 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte LinkedIn regelmäßig zur Informationsbeschaffung – für Deutschland bedeutet dies, dass circa 75.000 Ärzt:innen auf LinkedIn erreichbar sind. Dennoch zeigt sich, dass andere, fachspezifische Kanäle für die Ansprache besonders in spitzen Zielgruppen effektiver sein können, so Gabrielides.

Tobias Schwaiger, Executive Creative Director bei Wefra Life Solutions, merkt zudem an, wer heute Ärzt:innen erreichen wolle, sollte bedenken, dass LinkedIn und Facebook seit über 15 Jahren auf Deutsch verfügbar seien. Man spreche also mit Ärzt:innen, für die soziale Netzwerke seit Beginn ihrer Laufbahn selbstverständlich dazugehören. „Damit ist Social Media längst ein zentraler Bestandteil moderner Fachkommunikation“, betont Schwaiger. Genau darin liegt für ihn aber auch die große Herausforderung: Eine digital sozialisierte Zielgruppe, die sofort erkenne, welche Inhalte von Menschen, und welche von Marken stammen – egal, wer als Absender fungiert. „Die häufige Reaktion: ‚Nervt mich‘ statt Mehrwert.“

LinkedIn bleibt für Sebastian Aumüller, Experte für Healthcare-Marketing im Bereich Social Media bei Suxeedo, das zentrale Netzwerk für die B2B-Kommunikation. Dennoch lohne es sich, über den Tellerrand hinauszublicken. Facebook etwa biete durch geschlossene Gruppen einen geschützten Raum für ärztlichen Austausch – „ideal, um dort über Ads oder Partnerschaften mit Moderator:innen Zugang zu Fachdialogen zu erhalten“, so Aumüller. Auch X (ehemals Twitter) könne sinnvoll sein, vor allem im englischsprachigen Raum, wo viele Ärzt:innen aus Forschung und Klinik aktiv seien. Wichtig ist für Aumüller aber vor allem: „Die Wahl des Kanals sollte sich nach Fachgruppe, Altersstruktur und Nutzungsverhalten richten. „Während junge Ärzt:innen oft digital-affiner sind, erreicht man etablierte Fachkräfte teils besser über etablierte Plattformen oder gezielte LinkedIn-Kampagnen, die auf konkrete Sub-Spezialisierungen und Inhalte ausgerichtet sind“, so Aumüller.

Den einen perfekten Kanal gibt es nicht

Niko Gabrielides nennt zusätzlich Ärztenetzwerke wie coliquio, esanum oder DocCheck, die wegen der Möglichkeit zur Interaktion ebenfalls Social-Media-Charakter haben. Damit eigneten sie sich besonders gut für den Austausch zu fachlichen Themen, das Teilen von wissenschaftlichen Inhalten oder Leitlinien-Updates. Welche Kanäle im Detail sinnvoll sind, hänge aber immer stark von der Zielgruppe, dem Alter sowie der jeweiligen Facharztgruppe ab. „Jüngere Ärztinnen und Ärzte, insbesondere in Ausbildung oder im niedergelassenen Bereich, lassen sich zunehmend auch über Instagram, YouTube oder Podcasts ansprechen – von den Pharmaunternehmen wird dies jedoch bis dato noch sehr wenig gemacht“, stellt Gabrielides fest. Diese Formate eigneten sich vor allem für visuell aufbereitete Inhalte, kurze Wissensimpulse oder authentische Einblicke in den Praxisalltag oder Patientenstories. Aber die unterschiedlichen Facharztgruppen „ticken“ auch unterschiedlich: Nach Gabrielides‘ Erfahrung nutzen beispielsweise Onkolog:innen verstärkt Podcasts und multimediale Formate, während Allgemeinmediziner:innen nach wie vor stärker auf Plattformen wie coliquio oder klassische E-Mail-Newsletter zurückgreifen.

Aber auch Third-Party-Kanäle seien für bestimmte Zielgruppen an gewissen Stellen wirksam – insbesondere E-Mail-Newsletter und Advertorials über medizinische Fachportale oder Verlagsplattformen. „Diese bieten eine hohe Glaubwürdigkeit und erreichen Ärztinnen und Ärzte dort, wo sie ohnehin nach fachlichen Informationen suchen. Ergänzend dazu zeigen innovative Spezialkanäle wie Orange Salamander, die mit interaktiven und kreativen Contentformaten arbeiten, regelmäßig sehr gute Ergebnisse“, so Gabrielides.

Balanceakt in der Fachkommunikationeinen

Für Karin Reichl, Managing Director bei den health angels, ist in der Fachkommunikation die Journey der Schlüssel: Entlang der Journey werden die richtigen Kanäle für die richtige Zielgruppe mit der richtigen Botschaft zur richtigen Zeit ausgewählt. „Das kann Social Media sein, muss es aber auch nicht immer. Es richtet sich immer nach Zielsetzung, Zielgruppe und Strategie“, so Reichl. Wenn man sich für Social Media entscheide, sei das aber auch ein „Balanceakt“: Einerseits seien die Chancen immens: Social Media ermögliche eine präzise Zielgruppenansprache und hohe Reichweiten innerhalb von Fachkreisen, der direkte Dialog fördere Interaktion und Community-Bildung und zudem sei Social Media auch ideal, um sich als Thought Leader zu positionieren oder um aktuelle Informationen schnell zu verbreiten. Gleichzeitig bergen diese Kanäle aber auch spezifische Risiken, wie Reichl feststellt: „Reputationsschäden durch schnelle Verbreitung von Falschinformationen sind gravierend, Botschaften können in der Informationsflut untergehen, und die Einhaltung regulatorischer Vorgaben ist auf Social Media komplex. Hinzu kommt ein gewisser Kontrollverlust über einmal geteilte Inhalte.“

Unternehmensaccount vs. Corporate Influencer

Auf die Frage, ob man in Social Media besser als Unternehmen auftreten sollte oder ob es sinnvoller sei, Menschen – ob nun Mitarbeitende als „Corporate Influencer“ oder Key Opinion Leader – für sich sprechen zu lassen, antwortet Sebastian Aumüller, beides habe seine Berechtigung: „Unternehmensaccounts bieten die nötige Struktur, um wiedererkennbar und konstant zu kommunizieren, besonders bei regulatorisch sensiblen Themen wie Rx. Doch echte Wirkung entsteht oft durch Gesichter – persönliche Kommunikation durch Mitarbeitende schafft Vertrauen und Nähe.“ Da aber die Gefahr bestehe, dass man Reichweite verliert, wenn ein Corporate Influencer das Unternehmen verlässt, emfiehlt Aumüller, mehrere Stimmen im Unternehmen zu stärken. Zusätzlich böten Kooperationen mit externen Key Opinion Leadern große Chancen, etwa in Form von Co-Content, Gastbeiträgen oder gemeinsamen Panels. „So erweitert man organisch die Reichweite und profitiert vom Vertrauen, das diese Personen bereits in ihrer Zielgruppe genießen“, erklärt Aumüller. 

Für Niko Gabrielides bietet der Einsatz eines Unternehmensaccounts den Vorteil klarer Markenführung, kontrollierter Inhalte und konsistenter Kommunikation. Gerade, wenn die Marke bereits etabliert sei, könne dieser Kanal effektiv genutzt werden, um Informationen zu neuen Studien, Therapien oder Indikationen gezielt zu platzieren. Gleichzeitig erzielten aber persönlich geteilte Inhalte deutlich höhere Interaktionsraten, denn die persönliche Komponente schaffe Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Nähe. Eine ideale Strategie kombiniert für Gabrielides beide Ansätze: „Der Unternehmenskanal liefert validierte, markenkonforme Informationen, während persönliche Stimmen – ob intern oder extern – Authentizität und Relevanz in die Kommunikation bringen.“ Wichtig sei aber, dass die Rollen klar definiert sind und sowohl Tonalität als auch Inhalte aufeinander abgestimmt werden, um die Zielgruppe nicht zu verwirren. Allerdings müssten Pharmaunternehmen dabei sicherstellen, dass sämtliche veröffentlichten Inhalte – auch die von Mitarbeitenden geteilten – den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. „Sie tragen eine Mitverantwortung für Aussagen, die im Namen des Unternehmens oder im Kontext der beruflichen Tätigkeit veröffentlicht werden“, betont Gabrielides. 

Fester Bestandteil einer Omnichannel-Strategie 

Social Media sei längst kein „nice to have“ mehr, sondern ein relevanter Baustein in der digitalen Fachkommunikation, stellt Sebastian Aumüller fest. Insbesondere im Bereich der Informationsvermittlung und beim Sichtbarmachen von Expertise sei Social Media heute entscheidend. Medizinischen Fachzielgruppen böten Plattformen wie LinkedIn eine niedrigschwellige Möglichkeit, sich über Studienergebnisse, Therapieansätze oder gesundheitspolitische Entwicklungen zu informieren – „im Idealfall wissenschaftlich fundiert, gut kuratiert und visuell aufbereitet“, so Aumüller. 

Neben dem Content spielt aber auch eine wichtige Rolle, dass die Kommunikation über Social Media in ein ganzheitliches Omnichannel-Kommunikationskonzept eingebettet sein sollte. Entsprechend lautet bei Wefra Life Solutions die Strategie „Context is King“. Wie Tobias Schwaiger erklärt, geht es darum, „kommunikative Plattformen zu schaffen, die wir über alle Kanäle hinweg immer neu aufladen und passend erzählen können“. Denn nur, wenn man verstehe, wo sich die Zielgruppe wann aus welchem Grund aufhält, und dann entsprechend targete und poste, schalte man das volle Potenzial von Fachkommunikation frei. Ein gutes Beispiel seien Kongresse, denn hier könnten Brands wirklich relevanten Content schaffen – durch Postings aktueller Event-Highlights, tägliche Recaps eigener Corporate Influencer, gezielte Geo-Targeting-Ads und KOL-Statements im Nachgang. „Und wenn die Zielgruppe nach Feierabend auf Meta-Plattformen wechselt, begegnen wir ihnen dort im Umfeld von Medfluencern und relevanten Nischen-Accounts mit emotionaleren Takes der vorher fachlich-informativ behandelten Themen“, so Schwaiger.
Auch Niko Gabrielides unterstreicht, Kanäle wie Social Media, medizinische Plattformen oder Fachnewsletter gehörten mittlerweile ganz selbstverständlich zum Kommunikationsmix dazu. Die größte Herausforderung besteht für ihn weniger in der Verfügbarkeit der Kanäle, sondern darin, die relevanten Botschaften auch wirklich wirksam und zielgerichtet zu platzieren, weshalb man bei BrainersHub einen stark nutzerzentrierten Ansatz verfolge: „Wir gestalten Inhalte so, dass sie einen echten Mehrwert bieten, zum Beispiel durch sehr kurze und prägnante edukative Formate, kurze Impulse oder fachliche Diskussionen. So bauen wir eine Brücke von Social Media zum Content Hub und incentivieren Ärztinnen und Ärzte bewusst sich in geschützte Bereiche einzuloggen, wo tiefgehende fachliche Informationen geteilt werden dürfen.“ Gabrielides weist zudem darauf hin, dass man ohne Media-Budget keine – oder nur eine kleine – Reichweite erziele: „Pharmaunternehmen müssen sich zunehmend daran gewöhnen, für Sichtbarkeit auf Plattformen wie LinkedIn zu zahlen.“ LinkedIn zeige Inhalte häufig nur einem kleinen Bruchteil der eigenen Kontakte oder Follower, daher sei es essenziell, wichtige Posts gezielt als sponsored Post zu bewerben, damit sie die relevante Fachzielgruppe auch tatsächlich erreichen.
 
Das Verständnis der Journey ist entscheidend 

Der Erfolg in der Fachkommunikation hänge maßgeblich vom Verständnis und der Bespielung der gesamten Journey der Zielgruppe ab, sagt Karin Reichl. „Das ist nicht neu, aber bei Social Media bzw. der Vielfalt, der unterschiedlichen Tonalität und der diversen Zielgruppe innerhalb der Kanäle besonders entscheidend.“ Die Kunst sei es, entlang der individuellen Journey der Fachkraft die richtigen Kanäle für die richtige Zielgruppe mit der richtigen Botschaft zur richtigen Zeit auszuwählen. Nur so entfalte Social Media die volle Stärke. Und dabei gilt für Karin Reichl: „Persönliche Kommunikation schlägt Reichweite“ – die Zukunft liege im orchestrierten Zusammenspiel von Marke, Corporate Voices und KOLs, und das eingebettet in klare Guidelines und mit Fokus auf Authentizität. „Eine Kombination ist also die Lösung: Der Unternehmensaccount sollte die Basis bilden, über die alle Inhalte professionell distribuiert werden. Für Reichweite und Dialog braucht es aber authentische Personen“, so Reichl. Für die aber nicht die Frage nach dem Kanal, sondern die Frage nach dem Format immer wichtiger wird. Denn, so Reichl: „Wenn die Inhalte stimmen und zur Journey passen, wird der Kanal irrelevanter.“ Habe ein Kunde einen superstarken Außendienst, sei der gegebenenfalls der beste Kanal um Registrierungen für ein Webinar zu bekommen. „Ein Startup dagegen, das die Zielgruppen noch nicht genau kennt, wird sich damit sicherlich besser über LinkedIn und den Sales Navigator nähern können“, so Karin Reichl.