Seit Elon Musk im Jahr 2022 Twitter gekauft hat, ist die Plattform immer wieder in die Kritik geraten. Der Unternehmer hat unter anderem mit fragwürdigen Entscheidungen und problematischen persönlichen Äußerungen von sich reden gemacht. Die Werbeerlöse sind massiv gesunken, dafür haben Hate Speech und Desinformation deutlich zugenommen und ein Klima geschaffen, in dem sich immer mehr Nutzende, Organisationen und Unternehmen unwohl fühlen. In der Folge beschränkten immer mehr von ihnen ihre Aktivitäten auf X oder stellten diese sogar ganz ein. Zuletzt verließ die Deutsche Aidshilfe e.V. im November vergangenen Jahres das Netzwerk.
Die Deutsche Aidshilfe reagierte damit nach eigener Aussage auf die Zunahme von Falsch- und Desinformation sowie menschenfeindlicher Inhalte auf X. Queer- und Transfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Misogynie brächen sich „ungehindert Bahn“. Hassnachrichten und -kommentare würden immer häufiger und mächtiger, das Netzwerk biete damit keinen sicheren Rahmen mehr für die Communitys, welche die Aidshilfe mit ihrer Arbeit anspricht und die sie mittragen. Dazu Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe: „Aktivitäten auf einer Plattform, die Menschenfeindlichkeit Raum gibt und sogar fördert, sind nicht mit unserem Selbstverständnis vereinbar. Wir ziehen die Konsequenz und hoffen, dass viele andere Organisationen und Individuen das auch tun. Gemeinsam können wir deutlich machen: Hassbotschaften und Falschinformationen sind nicht akzeptabel.“
■ Pharmafirmen beklagen Negativentwicklung
Auch der Pharmakonzern Boehringer hat seine Aktivitäten bereits eingeschränkt. Julia Gussmann, Teamlead Channels & Engagement bei Boehringer Ingelheim, sagt dazu: „Die Entwicklungen der vergangenen Monate bei Twitter/X beobachten wir sehr aufmerksam und passen unsere Nutzung der Plattform entsprechend laufend an. Die vom Betreiber der Plattform eingeführten Änderungen haben bei den Nutzenden zu Unsicherheiten geführt – sowohl in Bezug auf die gesicherte Identität von Absendenden als auch die Moderation von Inhalten. Aus diesem Grund haben wir uns bereits im Jahr 2022 dazu entschieden, alle unsere werblichen Aktivitäten auf X vorerst einzustellen.“ Da einige von Boehringers Kernzielgruppen die Plattform weiterhin für den fachlichen Austausch frequentieren, nutzt die Firma sie seit einigen Monaten ausschließlich für die Veröffentlichung einzelner nicht werblicher Posts, insbesondere Pressemitteilungen. Das Unternehmen bewerte die Nutzung von X entsprechend den aktuellen Entwicklungen und Kenntnisse laufend neu. „Die jüngsten Entwicklungen geben weiter Anlass zur Sorge“, so Gussmann.
Ähnlich sieht es Dr. Kay Rispeter, Ass. Director Communications, Public Affairs, Communications & Sustainability bei MSD Sharp & Dohme. Sein Unternehmen hat unmittelbar nach der Übernahme durch Elon Musk organische und werbliche Beiträge eingestellt, war aber in einer beobachtenden Form auf der Plattform geblieben. Ende letzten Jahres hat MSD schließlich die Entscheidung getroffen, die Aktivitäten auf dem Corporate Profil für MSD Deutschland endgültig einzustellen. Rispeter gibt dafür drei Gründe an: „Erstens: Die Verbreitung von Desinformation und Hate Speech hat zugenommen. Diese von unabhängigen Medien und Journalistinnen und Journalisten aufgezeigte Entwicklung deckt sich mit unserem persönlichen Eindruck. Zweitens: Eine Prüfung der Integrität von Profilen fand nicht mehr statt. Eine Legitimierung erfolgte vielmehr gegen Bezahlung. Drittens: Bereits unmittelbar nach Übernahme von Twitter wurde ein Großteil der Mitarbeitenden entlassen, die unter anderem für eine Content-Moderation auf der Plattform verantwortlich waren. Dies war sicherlich ein Grund für die inhaltlichen Probleme auf der Plattform und deckt sich darüber hinaus nicht mit unserem Verständnis eines Umgangs mit Mitarbeitenden.“ Einen Verbleib auf der Plattform habe sein Konzern als Reputationsrisiko gesehen.
Der Dienst war für viele Unternehmen ein zentraler Kanal, um vielfältige Zielgruppen – vor allem Medienschaffende, Personen aus der Politik, Wissenschaft und Forschung – zu erreichen. Im Gegenzug lieferte X den Konzernen wertvolle Erkenntnisse darüber, welche Themen und Trends die Menschen umtreiben. „Man hat oft gesehen, dass auch unbekannte Stimmen und kleine Accounts auf Twitter ein Sprachrohr gefunden haben, wenn ihr Beitrag einen Nerv getroffen hat. Das war relevant, bewegend und richtungsweisend. Von all dem sehen wir heute so gut wie nichts mehr“, beklagt Monika Zureck, Manager Communications, External Engagement, Corporate Communication bei Pfizer Pharma. Sie kündigt an, dass sich ihr Unternehmen daher auch von X zurückziehen wird.
■ Wer füllt die Lücke?
Es bleibt die Frage, wohin die Firmen ihre Aktivitäten verlagern wollen. „Aktuelle setzen wir verstärkt auf LinkedIn und beobachten parallel, wie sich alternative Plattformen wie Mastodon, Threads uns Bluesky entwickeln – und welche davon von der Healthcare Community angenommen wird“, so Zureck. Andere Pharmafirmen verfolgen eine ähnliche Strategie. Die aufkommende Lücke zu füllen, sei jedoch gar nicht so einfach, gibt auch Rispeter zu bedenken. „Twitter/X hat als Kurznachrichtendienst ein Profil, das sich von anderen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, LinkedIn, TikTok deutlich unterscheidet. Mehrere Dienste haben versucht, die entstandene Lücke zu füllen, wie zum Beispiel Mastodon, Blue-sky und jüngst auch in Europa Threads. Wir beobachten die Entwicklung und sind mit persönlichen Profilen auch auf diesen Plattformen aktiv. Wir evaluieren, ob einer dieser Dienste künftig für uns als Kanal für unsere Corporate Botschaften infrage kommt.“
Als neue Alternative für X präsentiert sich derzeit Threads, der Kurznachrichtendienst des Internet-Konzerns Meta. Der Dienst war in den USA bereits im Juni 2023 an den Start gegangen und ist im Dezember auch in Deutschland angekommen und macht X direkte Konkurrenz. Um ihn nutzen zu können, ist ein Instagram-Konto erforderlich. Nutzende können Kurztexte von bis zu 500 Zeichen, Videos, Bilder, Sprachnachrichten, Links und GIFs posten und teilen. Außerdem können sie andere Beiträge lesen, kommentieren, Inhalte zitieren und im eigenen Feed reposten. Ob sich die neue Plattform durchsetzen wird, muss die Zeit zeigen.