Herr Dr. Marx, heute nehmen im Grunde alle Agenturen für sich in Anspruch, Kommunikationsstrategien und Kampagnen auf der Basis von Daten zu entwickeln. Jäger Health positioniert sich explizit als „data-driven agency“. Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?
Dr. Eduardo Marx: Sicherlich würden sich viele Agenturen als data-driven bezeichnen. Für uns ist diese Formel einerseits eine sehr griffige, klare Positionierung. Andererseits wäre in unserem Fall wohl „fully data-driven“ die genauere Formulierung, und die kommunizieren wir auch, wenn wir uns bei potenziellen Kunden vorstellen.
Die meisten, wenn nicht alle Kunden und Agenturen arbeiten mit Daten. Es gibt aber vor allem auf der Agenturseite häufig einen Gap. Es gibt Datenbereiche und Datentypen, die aus den verschiedensten Gründen nicht einbezogen werden. Dadurch, dass wir zu IQVIA gehören, verfügt Jäger Health über so gut wie alle Arten von Daten.
Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Nehmen wir mal den Apothekenmarkt: Wir können auf Real-World-Daten zum Sell-out für die stationären und für die Online-Apotheken zugreifen und bekommen so ein sehr klares Bild von der Markt-
realität – und zwar on demand! Und dieses Bild immer aus dem Blickwinkel, der gerade zielführend ist, wie etwa aktuelle aktuelle Marktanteile, Entwicklung der letzten Jahre, Umsatz- und Absatzzahlen und vieles mehr.
Ein anderes gutes Beispiel sind Daten zu Verschreibungen im Rx-Bereich. Auch hier sehen wir, was ganz real im Markt stattfindet. Das heißt, wir stützen uns nicht wie viele andere nur auf die Intentionen von Ärzten nach dem Motto „Wollt Ihr das Produkt X verschreiben oder nicht?“, sondern wir sehen die tatsächlichen Verschreibungszahlen.
Für unsere Arbeit ist es ein Privileg, zu IQVIA zu gehören, und das war auch die Geschäftsidee dahinter: Beide Seiten haben Vorteile von dieser Partnerschaft, und unsere Kunden aus der Industrie profitieren ebenfalls davon.
„Fully data-driven“ sagt also nicht nur etwas über Ihre Arbeitsweise als Agentur aus, sondern auch über die Qualität der Daten, die Sie nutzen?
Exakt. „Fully data-driven“ – oder auch „market data-driven“ – heißt, dass wir bei dem, was wir unseren Kunden empfehlen oder was wir für sie entwickeln, immer Real-World-Daten zugrunde legen, denn das sind nun einmal die harten KPIs, auf welche die Unternehmen in erster Linie schauen. KPIs wie zum Beispiel die Verweildauer auf einer Webseite, die Zahl der Klicks oder auch die Art der Interaktionen liefern mir zwar ein Bild des Verhaltens von Patienten oder Ärzten, aber vor allem wollen die C-Level doch wissen, was in der realen Welt der Verschreibung passiert ist. Wir haben einfach ein besseres, umfassenderes Bild von dem, was für Marketing- und Vertriebsverantwortliche wichtig ist. Diese Bandbreite an Daten und die Relevanz dieser Daten sind ein echter Mehrwert, den wir unseren Kunden bieten können.
Können Sie von IQVIA alle Daten beziehen, die Sie im Rx- und im OTC-Markt benötigen, oder greifen Sie auch auf andere Datenquellen zurück?
IQVIA hat eine ziemlich gute Abdeckung beider Märkte. Es gibt nur wenige Daten, die wir bei anderen Anbietern beziehen. Das betrifft beispielweise die Consumer-Werbespendings. Manchmal muss man projektbezogen auch eine Marktforschung machen, entweder über das Consumer-Panel von IQVIA oder auch gemeinsam mit spezialisierten Marktforschungsunternehmen.
Über relevante Daten zu verfügen, ist ja schon mal gut. Aber wie kommen diese Daten dann bei der Entwicklung einer Kommunikationsstrategie oder auch in der Kreation zum Einsatz?
Aus der Betrachtung der verschiedenen Daten-Puzzleteile gewinnen wir ein Bild, das aufzeigt, welche Möglichkeiten es im Markt gibt. Was im Markt passiert, also den Status quo, zu betrachten, ist das eine. Das andere ist, und darauf kommt es an, den Status quo zu verstehen. Wenn ein Produkt zum Beispiel besonders viele Marktanteile gewinnt mit einer Kampagne, die auf einer bestimmten Positionierung fußt, dann fange ich schon an zu verstehen, wie ich mich in diesem Markt kommunikativ bewegen kann.
Ein Beispiel aus der realen Welt, mit dem wir im letzten Jahr Effie-Finalist waren: „Granu Fink Femina“ ist ein Produkt zur Behandlung von Blasenschwäche, die ab einem gewissen Alter sehr häufig bei Frauen auftritt. Dennoch ist der Markt sehr klein und die Player, die dort vertreten sind, machen relativ wenig. Bei der Datenanalyse haben wir festgestellt, dass sich der Einlagen-Markt, also ein komplementärer Markt, in einer Größenordnung bewegt, die im Vergleich zum Markt der therapeutischen, ursachenbekämpfenden Produkte beeindruckend ist. Da ist dann erstens klar, dass unser Kunde als Anbieter eines Therapeutikums viel Potenzial liegen lässt, und zweitens ist die strategische Überlegung naheliegend, die Käuferinnen auf den Gedanken zu bringen, ihr „Problem“ statt mit Einlagen doch mal kurativ anzugehen.
Beginnt die Kreativität Ihrer Arbeit also schon bei der Interpretation von Daten?
Es ist ein bisschen wie Detektivarbeit. Man entwickelt einen Blick für die White Spots, also für die Punkte, an denen man möglicherweise strategisch ansetzen kann, um Potenziale zu heben. Das ist auch gar keine trockene Angelegenheit, denn auf den Daten liegen die Ideen. Wenn man einen White Spot als strategische Chance erkannt hat, schaut man sich an, wer in diesem Markt vertreten ist, wie diese Anbieter kommunizieren und welche Konsumenten- oder Patientenbedürfnisse es gibt. Daraus ergibt sich mit der Zeit ein Big Picture, aus dem sich die Richtung herauskristallisiert, in die man kommunikationsstrategisch gehen könnte. Und dann geht es darum, die kreative Idee zu finden, die das auf die richtige Weise dramatisiert.
Müssen die Kreativen von Anfang an eingebunden sein?
Sicherlich nicht schon bei der Datenanalyse, man sollte ihnen aber auch nicht die fertige Strategie vorsetzen, sondern sie in den Prozess integrieren. Ich finde es wichtig, dass unsere Kreativen verstehen, auf welchen Analysen und Erkenntnissen die Strategie basiert, denn dann haben sie eine gute Basis, die zudem auf einer gewissen Evidenz basiert, um Ideen zu entwickeln.
Im Grunde ist aber das Ganze ein kreativer Prozess, der auf der Datenebene startet und bis zur Entwicklung reicht – es ist ein großer Bogen. Wenn man als Agentur nicht über alle relevanten Daten verfügt – häufig sind die Daten, die man vom Kunden bekommt, in irgendeiner Form gefiltert und damit nicht komplett – dann wird dieser Bogen nicht rund.
Nochmal kurz zur Detektivarbeit: Sprechen wir dabei ausschließlich von menschllichen „Detektiven“ oder nutzen Sie auch KI-Tools, die Ihnen dabei helfen, White Spots zu identifizieren?
Das ist keine Aufgabe, die wir an die Künstliche Intelligenz delegieren können. Denn wir können nur mit evidenzsicheren Daten arbeiten, und das sind unsere IQVIA-internen. Diese Daten können wir aber natürlich keiner externen Künstlichen Intelligenz geben. Für bestimmte Aufgaben setzen wir natürlich eine interne KI ein, aber nicht für Dinge, für die Kreativität unverzichtbar ist.
Die KI ist beispielsweise noch nicht so weit, dass sie diesen Sherlock-Holmes-Blick hat, den man bei den Daten unbedingt braucht. Und in der Kreation zeigen KI-generierte Bilder zwar das, was man sehen wollte, aber sie haben immer eine Aura von Künstlichkeit. Genauso ist es bei der Strategie: Unsere Strategie muss so sitzen wie das genau passende Gesicht einer Person, die echt und natürlich ist und nicht irgendwie nur annäherungsweise. Diesen Gap bekommen wir im Moment noch nicht geschlossen.
Ich vermute, am Ende des von Ihnen beschriebenen Bogens landen wir dann aber wieder bei Daten?
Genau, der Bezug zu den Daten ist in zwei Phasen entscheidend. Am Anfang, wie ich es schon beschrieben habe, und am Ende messen wir natürlich den Erfolg unserer Kampagnen mit einer Datenpalette, die insbesondere auch die Verschreibungszahlen bzw. die Sell-out-Daten als härteste KPIs berücksichtigt. Wie aussagekräftig eine Erfolgsmessung ist, hängt davon ab, welche Daten man zugrunde legt, welche Referenzpunkte man wählt und von vielem mehr – das ist eine kleine Wissenschaft für sich. Unsere Kunden erwarten natürlich einen Return on Invest. Deshalb wollen wir diesbezüglich immer sehr transparent agieren und ihnen das gesamte, datenbasierte Bild zeigen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Marx.
